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Kontur einer neuen Guerilla: Vernunft, Bewusstsein und Wissen

Die klassisch analytische Vorgehensweise aus dem Denken der Aufklärung hat vieles hervorgebracht. Auf der Haben-Seite stehen vor allem die Verwissenschaftlichung aller Prozesse und die Einführung der Rationalität in das menschliche Denken. Der klassische Prozess einer an der Vernunft orientierten Analyse ist leicht beschrieben. Er beginnt mit einer Beschreibung des Problems, setzt sich fort mit der Zerlegung des Phänomens in die wesentlichen Einzelteile, sieht sich die gegenseitigen kausalen Abhängigkeiten der einzelnen Erscheinungen an und versucht dann, Lösungsansätze abzuleiten, die bestimmte Kausalitäten eliminieren und neue, produktivere herstellen.

Das ist nicht immer einfach, aber wer darin geübt ist, bekommt das hin. Die wesentliche Voraussetzung für eine erfolgreiche Problemlösung besteht in der Fähigkeit, mit der Vernunft zu arbeiten und in dem Bewusstsein, selbst ein historisches Subjekt zu sein, das in der Lage ist, das Leben zu gestalten.

Allein bei der Beschreibung des Prozesses fällt bereits auf, dass er nicht mehr dem entspricht, was überall als Massenphänomen beobachtbar ist. Ja, es ist kurios, aber es stimmt. Im Zeitalter der alles dominierenden formalen Logik, in der Ära der Durchdringung aller Lebensbereiche mit dem Formular der Algorithmen tun sich die Menschen immer schwerer mit dem Instrumentarium, aus dem das alles entstanden ist. Auch dabei ist wohl von einer verhängnisvollen Dialektik zu reden, die imstande ist, die Welt auf den Kopf zu stellen: Aus dem Absolutismus von Ratio und Logik resultiert eine para-religiöse, mystische Denkweise in der großen Fläche, die so im Nebel versinkt, dass sie das Irrationale der aus der Vernunft abgeleiteten Herrschaft nicht mehr als Absurdum identifizieren kann.

Was für eine Welt. Nicht umsonst liegen die alten Dystopien der Moderne wieder auf den Büchertischen und finden reißenden Absatz. Denn das anonym kollektive Wissen, das in ungeahnten Sphären schwebt, hat nicht zur Befreiung der Menschheit beigetragen. Irgendwann, und das ist der kritische Punkt in der aktuellen Gattungsgeschichte, ging die Frage der Macht, des Besitzes und der Verfügungsgewalt aus dem kollektiven Wissen und Gedächtnis der Gattung aus dem Fokus und man ließ es zu, dass wenige Privatpersonen sich nahezu das kollektive Wissen der Gattung unter den Nagel rissen und niemandem auch nur einen Cent dafür bezahlten.

Dass aus einem derartigen Raub, gegen den die Eroberungsfeldzüge Dschingis Khans oder die Befriedung Amerikas wie gut situierte High-Tea-Gesellschaft erscheinen, kein Programm der kollektiven Emanzipation entstand, liegt auf der Hand. Pervers ist es trotzdem. Alles, was das universale Kollektiv an Kenntnissen und Fähigkeiten in der Gattungsgeschichte akkumuliert hat, liegt in den gebührenpflichtigen Clouds der Amazons, Googles und Apples. Und es wird veräußert an geheimdienstliche Ganovenmilieus, die sich ausbedungen haben, das größte Kulturverbrechen an der Menschheit gegen jede Gegenwehr zu schützen.

Die Folge ist ein neues Massenphänomen, das mittlerweile die Fläche erreicht hat. Es geht nicht mehr darum, Probleme zu lösen, sondern nur noch, den Umgang mit diesen zu regeln. Bis in die Regierungspolitik wird auf diesem schmalen Rasen gespielt und ein strategischer Umgang mit den Fragen der Zeit gelingt nicht mehr.

Die Folge ist eine Verregelung aller Lebensbereiche, weil die Probleme ja nicht weniger werden, wenn  kaum eines mehr gelöst werden kann. Der Rückschluss, der naheliegt, ist ein Plädoyer für die Wiedererlangung der Vernunft, für die Rückeroberung des Bewusstseins zu dem eines Subjektes und für die Vergesellschaftung des geraubten Weltwissens. Das wäre eine neue Kontur der Guerilla, die vonnöten ist.

 

Reise ohne Kompass

Es handelt es sich nicht nur um eine pädagogische Dimension. Sie reicht bis in die Psychologie und, wenn die Idee zu Ende gedacht wird, bis in die Politik. Es handelt sich um die Frage, die klassisch in der Erziehung gestellt wird und die herausfinden will, welche Faktoren es sind, die ein erfolgreiches Leben ausmachen. Die Diskussion um das, was wir jungen Menschen mitgeben wollen für eine erfolgreiche Zukunft, sie ist nach dem PISA-Schock kurz aufgeflammt, aber letztendlich schien sie niemanden zu interessieren. Da ging es viel mehr um die Besitzstände der Lobbys, über den Zweck von Schule wurde kaum geredet. PISA entpuppte sich als ein erschreckendes Symptom für den mentalen Zustand der Gesellschaft. Sie war, wie an vielen anderen Punkten, nicht in der Lage, positiv das zu formulieren, was sie wollte. Wer es versuchte, wurde kollektiv gemobbt. Man unterhielt sich lieber über Ausstattungen und Details statt über die große Idee.

Dabei ist es nicht schwer, sich auf die Grundideen einer humanistisch definierten Erziehung zu fokussieren, denn seit der Antike existieren wunderbare Ausführungen darüber und der Test, die Probe aufs Exempel, kann jeden Tag in jeder Situation gemacht werden. Die Menschen, die im Alltag auffallen, weil sie leistungsfähig und erfolgreich sind, sie kann man untersuchen auf die Faktoren, die dazu führen. Das Auge dafür lässt sich ohne Schwierigkeiten entwickeln. Und die Ideen liegen in den Annalen. Wenn Gesellschaften keinen Konsens mehr darüber erzielen, was sie eigentlich den Zukunftsgenerationen mitgeben wollen, dann befinden sie sich in einer tiefen mentalen Krise, der die richtige, existenzielle bald folgen wird. Denn sie haben selbst kein Bild mehr von der Zukunft.

Dabei sind die Grundlagen einer humanistisch definierten humanen Existenz sehr schnell zusammengefasst. Menschen, die zumindest über die Anlage verfügen, ein erfolgreiches Leben zu führen, haben so etwas wie einen inneren Kompass. Es heißt, über das erworbene Wissen und die konkret erworbenen Fertigkeiten haben Sie eine Vorstellung davon, in welche Richtung sie sich bewegen oder was sie erreichen wollen. Und diese eigene Perspektive für die Zukunft wird gestützt durch eine Haltung, die gespeist wird von Werten, die dem Individuum wichtig sind. Was sich aus dieser Kombination von Richtung und Haltung entwickelt, ist das, was allgemein als ethisches Handeln bezeichnet wird. Es geht um die vier Faktoren Wissen, Können, Strategie und Werte. Der Konsens darüber kommt nicht mehr zustande und die Perspektive, die daraus resultiert, ist alles andere als überzeugend.

Die vielleicht böse anmutende Transponierung dieser Ausführungen in die Welt der Politik verdeutlicht die Dramatik, die gerade in diesen Tagen deutlich wird. Erfolgreiche zukunftsfähige Politik benötigt, ebenso wie jedes Individuum, Wissen und Können, eine Strategie und eine Haltung, mit der diese Strategie umgesetzt werden soll. Es ist müßig, sich darüber zu unterhalten, ob die fehlende Strategie und die nicht existierende Haltung die Aneinanderreihung von Krisenphänomenen selbst produziert hat oder ob diese Krisen jede Form von Strategie und Haltung verdrängt haben. Wichtig scheint die Erkenntnis zu sein, dass ein Fortbestehen des Gemeinwesens nur möglich ist, wenn die Politik, die es repräsentiert und gestaltet, sich dieser Notwendigkeiten bewusst ist. Es muss Konsens hergestellt werden über die Richtung, und es muss getragen werden mit der entsprechenden Haltung. Die Vorstellung der Bundesregierung angesichts der internationalen Konflikte und Krisen ist aus dieser Perspektive ein Desaster. Anlass genug, um die Diskussion für die Zukunft zu beginnen.

Brennende Archive

Dass der Umgang mit Massendaten im Zeitalter der digitalen Kommunikation zu einem zentralen Thema geworden ist, sollte nicht verwundern. Nie wurde mehr kommuniziert, und zwar aus der Eigendynamik, die die technische Möglichkeit erzeugt und nicht durch den Zuwachs von Essenz. Und nie wurde mehr gespeichert. Große Mengen profaner Interaktionen liegen in den Archiven. Und es stellt sich natürlich die Frage, wer nutzt was, d.h. ist das Wissen um die konkreten Inhalte der Kommunikation klassifizierbar als Herrschaftswissen. Letzteres sollte für Aufregung sorgen, alles andere gehört wohl zum schönen Schein des Feuilletons.

Seltsam analog zu der Entwicklung der technischen Möglichkeiten hat sich eine Rasanz im Sinne der Datenproduktion durch die Einzelnen herausgebildet. Fleißig werden Informationen von den Individuen herausgehauen, auf die Märkte der sozialen Netzwerke, der Foren und der Blogs, und mancher Leser stellt sich die Frage nach der jeweiligen Relevanz. Geht man mit Empathie an dieses Phänomen, so kommt man sicherlich zu der Erkenntnis, dass der Wille zur Mitteilung korrespondiert mit einem Prozess der Vereinsamung. Wir saugen zunehmend an digitalen statt an humanen Brüsten und letztendlich müssen wir feststellen, dass dieses nicht zu unserer Zweckbestimmung taugt und uns auch nicht gut tut.

Auf der anderen Seite braust ein Orkan der Entrüstung auf, wenn erfahren wird, dass Geheime Dienste proportional zum trivialen Output an Interaktionen die Überwachung ebendieser erhöhen. Das scheint nicht konsistent zu sein, ist aber auch egal. Denn die Öffentlichkeit im digital-medialen Zeitalter hat der Ratio wahrscheinlich mehr abgeschworen als in allen vorherigen Epochen seit der Renaissance. Da heißt es Ruhe bewahren, sonst ist die Urteilskraft in tödlicher Gefahr.

Denn noch irrationaler ist die Entstehung einer so genannten politischen Opposition, die eben aus den Produktionszusammenhängen der wirklichen oder vermeintlichen Repressionsmaschinen selber stammen. Ihr politisches Credo liegt in der totalen Transparenz. Gut, wem man nicht traut, der soll sich ausziehen, nur, wer sind sie, die selbst den Strom mit produzieren und ihn nun kollektivieren wollen? Was gewinnt eine Gesellschaft, die alle Informationen erhält, wenn sie nicht weiß, wie sie damit umgehen soll, die keine Alternative kennt, Opposition zu organisieren als den professionellen Kommunikatoren und Propagandisten eine Regieanweisung für einen neuen Schauprozess zu geben? Wahrscheinlich, so das Kalkül der IT-Nerds mit politischem Sendungsbewusstsein, sollte man ihnen den Auftrag geben, den Dissens zwischen politischer Kommunikation und tatsächlichen Handlungen für die Masse zu handeln. Angesichts der zumeist systemimmanenten Sozialisation und völligen Unbedarftheit dieser Protagonisten im politischen Diskurs dürfte die Prognose nicht übertrieben sein, dass die Gesellschaft es relativ schnell mit Parvenüs zu tun hat, deren Abgehobenheit von den wirklichen Dingen alles übertrifft, worüber schon immer großer Unmut besteht.

Alle Revolutionen in der bisherigen Geschichte wussten um die Brisanz von Herrschaftswissen. Je nach Zeitalter und der sozialen Gruppe der Revolutionäre selbst beinhalten alle Lehren, die aus erfolgreichen Umstürzen gezogen werden konnten, dass es notwendig ist, sehr schnell Herr des archivierten Wissens zu werden. Ja. Aber es war immer Bestandteil einer Gesamtstrategie, die das Herrschaftswissen, die bewaffneten Organe, das Bildungswesen und die Medien umfasste. Die Offenlegung der Archive allein wird nichts bewirken. Das wussten auch die spanischen Anarchisten in den dreißiger Jahren des letzten Jahrhunderts. Wenn sie im Bürgerkrieg gegen Franco einen Ort einnahmen, erledigten sie zwei Dinge immer sofort: Sie erschossen den Bürgermeister und den Pfarrer und verbrannten das Archiv. Und dann fing die eigentliche Arbeit erst an.