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Wikileaks, Panama Papers, Football Leaks

Wie hieß es noch in der Theorie der Avantgarde? Ein neuer, revolutionärer Impuls erscheint, er sorgt für mächtig Unruhe, ja sogar Schockzustände und das Publikum ist entrüstet. Es werden Fragen aufgeworfen, die unter normalen Umständen nicht gestellt werden und alle Beteiligten haben das Gefühl sich in einem Zustand zu befinden, aus dem heraus sich vieles ändern wird.

Doch allmählich, von Impuls zu Impuls ist festzustellen, dass sich das Verwertungssystem das ganze Setting zueigen gemacht hat und wir es mit einem ganz gewöhnlichen Produkt zu tun haben, das auf dem Markte zum Erwerb angeboten wird, ohne dass irgend jemand noch befürchten muss, durch den Konsum die Revolution auszulösen. Dada hat es in die Museen geschafft, Punk ist heute in Boutiquen zu erwerben, heiße Stühle sind zu billigem TV-Voyeurismus verkommen und Volksabstimmungen nicht selten das Ventil niederer Triebe. Der Schock und die Enthüllung, so muss folgerichtig formuliert werden, beide sind im Zeitalter ihrer technischen Reproduzierbarkeit zu kleinen Karnevalsknallern im großen Warenregal der medialen Angebote verkommen.

Wikileaks und Edward Snowden haben für einen kurzen Augenblick einen großen Teil der Öffentlichkeit daran glauben lassen, dass geheim gehaltene Erkenntnisse über diskrete wie dubiose Aktionen von Staaten und deren Diensten zu einer Aufklärung führen, die politische Konsequenzen hat. Betrachtet man es genauer, so handelte es sich um eine Fehlannahme. Die bittere Erkenntnis, die sich dahinter verbirgt, ist zwar auch nicht neu, aber sie zerstört gerade frisch erzeugte Illusionen: die Macht kommt aus den Läufen der Gewehre und wer sie hat, den schert die Wahrheit nicht, und wer sie nicht hat, der kann auch keinen stürzen, der sie hat.

Diese Erkenntnis soll nicht diejenigen entmutigen, die sich unter schwierigen, zum Teil lebensbedrohlichen Bedingungen in dieser von seichten Informationen vollgesauten Welt daran machen, die Wahrheit ans Licht zu zerren. Nur, mit ihr allein wird es nicht getan sein und wir sollten sehr darauf achten, ob bei dem Verkauf der Wahrheit, die unter so schwierigen Bedingungen geborgen wurde, nicht wieder ideologisch-propagandistische Botschaften gesendet werden, die die Wahrheit selbst in hohem Maße schänden. Denn darin ist die Branche sehr geübt.

Wikileaks ging noch relativ ruhig und unkontaminiert über die Bühne. Bei den Panama Papers, die angekündigt wurden als seien alle wirtschaftskriminellen Handlungen dieser Welt enthüllt, ist es sehr schnell sehr schweigsam geworden. Das Einzige, was sofort klar zu sein schien, war, dass Russlands Präsident Putin ein schlimmer Finger sei, der sich persönlich bereichere. Das blieb hängen, im Nachhinein wirkt es, als sei in Germanistan alles clean. Wie sollte es auch anders sein?

Nun wird mit großem Donner ein Football Leaks angekündigt, auf deutscher Seite ausgerechnet vom Spiegel, der es in Windeseile ins Inquisitorenlager geschafft hat. Und bereits die ersten Überschriften zeigen, in welche Richtung die Enthüllungsreise geht. Natürlich ist Christiano Ronaldo dabei, den die Deutschen angeblich sowieso nicht mögen und der Türke aus dem Ruhrgebiet, Mesut Özil, der unter den in der Nationalmannschaft fein Integrierten immer der war, der nicht so recht dazu passte. Man muss kein Prophet sein, um zu der Einsicht zu kommen, dass bestimmte deutsche Vereine, deren Führungspersonal gewaltig mit dem Gesetz in Konflikt gekommen ist, nicht auf den Prangerlisten auftauchen werden. Dafür aber alle, gegen die sich Ressentiments mobilisieren lassen. Die Inquisition geht auf den Markt, und verkauft wird nicht die Wahrheit, sondern die Diffamierung.

Die Transparenz und das kritische Subjekt

Dass Geschichte nie linear verläuft, bewies eine Kuriosität aus dem Osten. Ausgerechnet dort, wo man von einer Diktatur, ja einem Monolithen sprach, wurden zwei Begriffe geformt, die nicht nur in einem kausalen, sondern in einem kulturellen Zusammenhang stehen und die Welt verändern sollten: Glasnost und Perestroika, Transparenz und Umgestaltung. Michail Gorbatschow, der Mann, der aus den Reihen der mächtigen, gefürchteten KPdSU kam und ihr erster Mann wurde, fachte mit diesen beiden Begriffen ein Feuer an, das die Machtstrukturen der alten KP in lodernden Flammen aufgehen lassen sollte. Die Konstitutionsprinzipien der finsteren Hierarchie, Obskurantismus und eherne Gesetze der Macht, lagen mit Glasnost und Perestroika auf dem Schafott. Der Rest ist Geschichte. Die Sowjetunion existiert nicht mehr und mit ihrem Ende fühlte sich der Westen als die überlebende und damit überlegene Macht. Auch das ist mittlerweile relativiert, nicht nur durch das Schwächeln des ungezügelten Finanzkapitalismus, sondern auch durch das Erstarken eines gar nicht mausetoten Russlands und durch die ungeheure wirtschaftliche und politische Dynamik im pazifischen Raum.

Der kapitalistische Westen, der nach eigener Selbstwahrnehmung mittlerweile vom Industrialismus über die Dienstleistungsgesellschaft im Kommunikationszeitalter angekommen ist, sucht einmal wieder nach Prinzipien der sozialen Kohärenz. Diese wiederum findet er in den Konstitutionsprinzipien der Kommunikation selbst: Transparenz schafft nicht nur Vertrauen, sondern stellt auch eine Atmosphäre gemeinsamer Intentionalität her und bewirkt eine gesellschaftliche Gestaltung des Daseins. So zumindest die Theorie. Was das Herstellen von Transparenz anbetrifft, so ist diese Maxime nahezu zu einer Doktrin verkommen, die als Wert an sich zelebriert wird und in ihrer Exklusivität eher Frivolität als politischen Sinn verkörpert. Alles, was quasi als wichtige Information ins Netz gestellt wird, kommt daher unter dem Diktum einer für politische Entscheidungen unabdingbaren Voraussetzung.

Bei näherer Betrachtung ist das zumeist nicht der Fall. Selbst die unter großem Getöse kommunizierten Massendaten durch WikiLeaks haben nichts Neues hervorgebracht, das von politischer Virulenz gewesen wäre. Befeuert wurde die Sucht nach Gossip und das revolutionärste an Erkenntnis, welche die demokratische Urkraft der Massengesellschaft erreichte, waren Formulierungen von einzelnen Mitarbeitern des diplomatischen Korps, in denen Politiker A als Faulpelz und Madame B als begriffsstutzig oder bieder beschrieben wurden. Ob Menschen ihr Leben lassen mussten, weil die Position ihres Stützpunktes in Krisengebieten dieser Welt der Öffentlichkeit preisgegeben wurde, wissen wir nicht. Auf jeden Fall wäre es ein gerne in Kauf genommener Kollateralschaden auf dem Karriereweg des Julian Assange gewesen, dessen soziale Kompetenz amöbenhafte Dimensionen dokumentiert.

Die Ausgangsthese einstiger sowjetischer Altkommunisten, dass Offenheit und politische Transparenz zum Willen politischer Umgestaltung führen muss, trifft anscheinend nicht auf alle Gesellschaften gleichermaßen zu. Zumindest in der Bundesrepublik sind viele Veröffentlichungen, die wir der medialen Permissivität des Kommunikationszeitalters verdanken, nicht dazu prädestiniert, politische Veränderungen nach sich zu ziehen. Die Enthüllung der Massenkorruption im bayrischen Landtag zum Beispiel, wo 79 der insgesamt 187 Abgeordneten direkte Verwandte eingestellt haben, führt nicht zur Aufhebung der Immunität, Neuwahlen etc., sondern sie wird hingenommen als eine systemimmanente Funktionsstörung. Von einer eigenen politischen Gestaltungskraft geht anscheinend niemand mehr aus. Eher traut man einer Modifikation der steuernden Algorithmen. In einer Welt voller Objekte sucht man vergeblich das handelnde Subjekt. Da hilft auch keine Transparenz.