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Wie wird die Zukunft aussehen?

Momentan gibt es keinen Guten Morgen mehr. Weder in der Ukraine, noch in Deutschland, noch in Russland. Die Beschränkung auf diese drei Länder soll nicht alle Regionen ausgrenzen, in denen sich Menschen Sorgen machen, wenn ein heißer Krieg geführt wird. Aber die drei von mir genannten Länder sind die eigentlichen Verlierer. Sie werden Jahre, wenn nicht Jahrzehnte brauchen, um sich von diesem Desaster zu erholen. Noch wird diese Perspektive ausgeblendet, weil das Spiel noch heiß ist und man auf der einen oder anderen Position glaubt, man könne das Spiel noch gewinnen. Kann man nicht. Keiner.

Die Ukraine, das Opfer, wurde vollumfänglich angegriffen. Auch wenn dort, sofern man im Moment irgendwelchen Medien Glauben schenken kann, entschlossen gekämpft wird und die russischen Invasoren auf einen Widerstand stoßen, mit dem sie nicht gerechnet haben, werden sie nicht standhalten können. Zu groß ist die Übermacht. Die Ukraine in ihrem jetzigen Zustand wägte sich in einer falschen Sicherheit. Sie wird nicht militärisch, sondern nur semi-militärisch und diplomatisch unterstützt und sie ist zum Objekt der Betrachtung geworden, wie schlagkräftig und durchsetzungsfähig die russischen Streitkräfte tatsächlich sind. Das Schicksal des Landes ist düster und es hängt von der Dauer bis zur Kapitulation ab, in welchem traurigen Ton die Zukunft gestaltet wird.

Russland, der Aggressor, hat sich bei der Einschätzung der Lage gewaltig geirrt. Die eigenen Schäden, d.h. die Anzahl der eigenen Toten und der vernichteten Kriegsmaschinerie wird weitaus höher sein als veranschlagt. Noch größeren Schaden wird jedoch die internationale Ächtung auslösen, ökonomisch, politisch und kulturell. Russland ist für Jahrzehnte aus Europa verschwunden. Nichts, keine Verträge mit China oder Indien, werden diesen Verlust wettzumachen imstande sein. Russland ist für Europa verloren und es wird eine tiefe Depression folgen. In Russland, aber auch im Rest Europas, auch wenn das im Moment kaum jemand wahrhaben will.

Und Deutschland? Deutschland hat in diesem heißen Konflikt gesehen, wo es wirklich steht. Ja, fest im Bündnis, werden viele sagen, aber wohl nur deshalb, weil es auf die Artikulation der eigenen Interessen verzichtet hat. Wenn die Mitgliedschaft in der Gemeinde der Freien darin besteht, die eigenen Positionen nicht mehr vertreten zu dürfen, dann ist etwas gehörig schief gegangen. Unter dem Strich werden die Kosten der Sanktionen für Deutschland am größten sein, die Lieferung von Waffen an einen Kriegsgegner Russlands ist bereits de facto heikel, in Bezug auf die Kriegsparteien des II. Weltkrieges wahrscheinlich auch de jure. Einmal  abgesehen von dem alles ausdrückenden Bild, auf dem ein amerikanischer Präsident dem Bundeskanzler mitteilt, wann das Aus für Nord-Stream II besiegelt sei, wo eine Widerrede angebracht gewesen wäre, aber ein Schweigen nur demütigend war, hat die Zurückweisung der ursprünglichen deutschen Position durch die NATO, intensiv auf Verhandlungen zu setzen, die wahren Kräfteverhältnisse aufgezeigt.

Und ein weiterer Verlierer ist die deutsche Gesellschaft, der nach der bereits gravierenden Spaltung durch Corona nun eine zweite Entzweiung folgt. Und die Gesellschaft dokumentiert, dass sie nicht in Form eines demokratischen Diskurses damit umgehen kann, sondern in einer verhärteten, totalitären Logik nur noch in der Lage ist, den Hammer der Ausgrenzung zu schwingen. Freundschaften gehen zu Bruch, Ehen sind in der Krise, die Zahl derer, die dem Land den Rücken kehren wollen, nimmt dramatisch zu. Und eine große Mehrheit fühlt sich wie immer auf der Seite des exklusiv Guten. Sie verbietet es, nach Ursachen im eigenen Handeln zu suchen, das womöglich zu dem zweiten Desaster in kurzer Zeit geführt hat. 

Der Westfälische Frieden war das Dokument all derer, die sich nach dem langen, zehrenden Dreißigjährigen Krieg als Verlierer fühlten. In dem Dokument war zum ersten Mal die Denkweise zu erkennen, dass man bei der Interaktion mit anderen Staaten die Souveränität des anderen respektiere und auf den Versuch einer Intervention verzichte, auch wenn die inneren Angelegenheiten des Gegenübers widerstrebten. Der Westfälische Frieden war die Geburtsstunde der internationalen Diplomatie. Die Verletzung seiner Prinzipien ist seit langem zum Prinzip geworden. Und, leider muss so etwas auch und besonders in traurigen Momenten gesagt werden, einer der schlimmsten Elefanten im Porzellanladen war dabei das westliche Bündnis.

Wie wäre es, wenn der Rauch verzogen ist und die Akteure durch andere ersetzt sind, daran zu denken, dass die Verlierer dieses Krieges, Ukrainer, Russen und Deutsche, sich an einen Tisch setzten und versuchten, Regeln des friedlichen Zusammenlebens für die Zukunft zu entwickeln? Das klingt wie die Vision eines Phantasten. Dass allerdings in diesen Tagen gar nicht an die Zukunft gedacht wird, ist alles andere als phantastisch.

Krieg und Coronoia

Was für ein Debakel! Nun formuliert der Präsident der Ukraine, Selenski, den Wunsch seines Landes nach NATO-Mitgliedschaft. Es mutet an wie ein grausiges Déjà-vu. So als hätte es den vergeblichen Versuch 2014 nicht gegeben, mit der Ukraine das letzte Glied in die Kette mit aufzunehmen, die die Einkreisung Russlands schließt. Ein Blick in die jüngere Geschichte genügt, um die ganze Perfidie und Verlogenheit ins Gedächtnis zu rufen, mit der das Entgegenkommen Russlands bei der Beendigung des Kalten Krieges und der Wiedervereinigung Deutschlands seitens der USA und ihrer sich als Mündel benehmenden Staaten beantwortet wurde. Keine Osterweiterung der NATO, hieß es da. Man sehe sich die Landkarte heute an. Vom Baltikum bis zum Schwarzen Meer stehen die Truppen der NATO bereit, jeweils an der russischen Grenze. 

Man stelle sich ein ähnliches Szenario einmal jenseits des Atlantiks vor. Russische Truppen in Kanada, in Mexiko, in der Karibik. Es ist kaum zu glauben, dass die USA lediglich mit Truppenbewegungen auf dem eigenen Territorium antworten würden, was momentan als eine Bedrohung und aggressiver Akt auf der anderen Seite Russland vorgeworfen wird. Da werden Truppenkonzentrationen und Truppenbewegungen auf russischem Hoheitsgebiet als einen Krieg vorbereitende Handlungen interpretiert. So ist das. Doppelte Standards auf allen Ebenen. Von Assange bis Nawalny, der Kotau vor der Türkei und Saudi Arabien und die scharfe Verurteilung der Vorkommnisse in Hongkong, der geduldete Genozid im Jemen und die Klage gegen das Schicksal der Uiguren. Es ist das alte Lied, wer seine Freunde wüten lässt, darf sich über den Spott der vermeintlichen Feinde nicht wundern.

Das, was nicht nur auch, sondern gerade der neue us-amerikanische Präsident in der kurzen Zeit seiner Amtszeit bereits an Säbelrasseln gegen die „Feinde der Demokratie“ von sich gegeben hat, lässt keinen Raum mehr für Vermutungen, sondern liefert ein nüchternes Faktum: Die alten Feindbilder werden befeuert, und, von seiner strategischen Wirkung noch schlimmer, die Grundsätze der Diplomatie, die seit dem Westfälischen Frieden der globalen Zivilisation einen Schub verliehen haben, werden nicht mehr angewendet.

Der Dreißigjährige Krieg hatte die Beteiligten zu der Erkenntnis kommen lassen, dass die Verhandlungen zwischen Staaten unterschiedlicher Wertvorstellungen von einem Ausgleich der Interessen geleitet werden müssen, und nicht durch den Versuch, das eigene Weltbild zum allumfassenden Maßstab zu machen. Das hat immer wieder funktioniert, bis auf die Feldzüge des Kolonialismus sowie Nationalismus, Chauvinismus und Faschismus. Wissen die Akteurinnen und Akteure, die sich heute dem Kurs des vermeintlich politisch korrekten Imperialismus verschrieben haben, in welches Geschichtskapitel sie sich da eintragen? Die Antwort ist unerheblich, denn der augenscheinliche Revisionismus hat das Urteil bereits gefällt.

So, wie es scheint, sind die ersten Schritte der neuen US-Administration in Sachen Konfrontationspolitik und militärischer Drohung, die von den Chorknaben der hiesigen transatlantischen Gefolgsleute euphorisch besungen werden, in ihrer harten Währung, dem Krieg, bei Großteilen des von der Coronoia benebelten Publikums noch nicht so richtig erkannt worden. Das kann, wenn man sich die Psychostruktur der handelnden Akteure genau vor Augen führt, mit großer Wahrscheinlich zu deren Fehlschluss führen, das Schweigen bedeute Zustimmung. Jenseits der irren Vorstellung, man könne Kriege noch gewinnen, könnte diese Selbsttäuschung allerdings noch zu einem bösen Erwachen führen. Was nicht das Schlechteste wäre.  

Hegemonen, Warlords und religiöse Eiferer

Herfried Münkler. Der Dreißigjährige Krieg. Europäische Katastrophe, Deutsches Trauma 1618 – 1648

In einer Zeit, die geprägt ist von einer medialen Berichterstattung, die sich nicht mehr auf das Feld der Geschichte bezieht oder schlichtweg keine Kenntnis davon hat und in der die kriegerischen Formen vor allem im Nahen Osten das vermitteln, was als große Übersichtlichkeit beschrieben werden kann, in einer solchen Zeit drängt es sich geradezu auf, sich mit dem Dreißigjährigen Krieg   von 1618 – 1648 zu befassen. Der Politikwissenschaftler Herfried Münkler hat das gemacht. Es ist deshalb besonders erwähnenswert, weil er als Politologe sich nicht nur mit der Rekonstruktion historischer Fakten und der Chronologie der Ereignisse befasst, sondern vor allem die soziologischen, wirtschaftlichen, politischen und religiösen Handlungsmuster und Strukturen unter die Lupe nimmt und sie als Folie anbietet, auch Phänomene der Gegenwart damit abzugleichen.

So ausführlich wie erforderlich wird zunächst das Geschehen und seine Protagonisten dargestellt. In der sachlichen Art und Weise und der distanzierten Berichterstattung bietet sich ein Bild, das das ganze Panorama dieses gewaltigen Krieges und seiner Konsequenzen erfasst. Alles, was irgendwo in der Erinnerung des kollektiven Gedächtnisses abgespeichert ist, erscheint in diesem Panorama: der Prager Fenstersturz, der Aufstieg und die Ermordung Wallensteins, die erfolgreichen Feldzüge und der Tod des Schwedenkönigs Gustav Adolf, Tillys Siege und Niederlagen, die grausame Zerstörung Magdeburgs, der pfälzischen König ohne Land, der Diplomat Richelieu, die marodierenden Soldaten und die geschändeten Bauern. 

Nichts bleibt aus und das gezeichnete Panorama macht deutlich, welche Auswirkungen eine derartige Kriegsführung auf das Kernterritorium und seine Bevölkerung ausgeübt haben mag und im Unbewussten noch ausübt. Deshalb ist der gewählte Titel von europäischer Katastrophe und deutschem Trauma treffend. 

Münkler macht in seiner Analyse deutlich, welches Amalgam von Motiven zu dem Krieg in seiner Komplexität und nicht enden wollenden Energie geführt hat. So spielten hegemoniale Motive eine gewaltige Rolle, die immer, wenn es passte, mit religiösen angereichert wurden. Zudem herrschte eine Eigendynamik durch die vor allem von Warlords gestellten Heere, denen es vor allem auf Sold und Karriere ankam und die, nach Niederlagen, problemlos in die Verbände des obsiegenden Feindes eingegliedert werden konnten. So standen sich das katholische Habsburg und, nach einem misslungenen Versuch durch Dänemark, das protestantische Schweden gegenüber. Die Kurfürsten verfolgten ihre Ihre eigenen Interessen und sie waren mal dem Katholizismus und mal dem Protestantismus zuzuordnen. Herausragende Kräfte mit einer starken Eigendynamik waren Bayern einerseits und Sachsen andererseits.

Dann spielte der spanisch-niederländische Krieg eine Rolle und es kamen die Interessen Frankreichs hinzu. Jedes Scharmützel auf deutschem Territorium bot Implikationen für das zu einem internationalen Konflikt ausgeweiteten Geschehen. Was Münkler gelingt, ist eine strukturelle Analyse des Geschehens in seiner Vielschichtigkeit. Positiv hinzu kommt, dass er sich nicht dazu hinreißen lässt, die heutige Lage im Vorderen Orient komplett mit der des Dreißigjährigen Krieges zu vergleichen. Wo es Analogien, zeigt er diese jedoch auf. In diesem Kontext zitiert er Ernst Blochs These von der Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen, was als gedanklicher Hinweis sehr nützlich ist. 

Der Westfälische Frieden, mit dem der Dreißigjährige Krieg beendet wurde, wurde vor allem in der amerikanischen Literatur als „Westfalian Order“ beschrieben und markiert einen Punkt in der Entwicklung zwischenstaatlicher Beziehungen und der Disziplin, die sie gestaltet, der Diplomatie. Spätestens seit Henry Kissinger’s Buch „World Order“ wird darüber gesprochen, diese Zeit sei nun vorüber. Damit ist gemeint, dass sich in dem Dokument zu Münster alle Seiten darauf verständigten, religiöse Fragen beim Umgang miteinander außen vor zu lassen und sich auf etwas zu einigen, was heute als das Prinzip der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten des Gegenübers beschrieben werden kann. Ein Blick in die täglichen Nachrichten vermittelt ein Bild darüber, wie es sich damit verhält.

Eine andere Schlussfolgerung des Jahrzehnte langen Krieges war die Monopolisierung und staatliche Unterhaltung der Heere und das damit verbundene Geschäftsmodell der Warlords. Auch das hat sich geändert und unter diesem Aspekt sind die gegenwärtigen Konflikte in der Welt um ein wesentliches, kaum politisch rationalisierterer Motiv angereichert.

Die hegemonialen Interessen sind nach dem Westfälischen Frieden nicht verschwunden. Aber die religiösen und weltanschaulichen Motive wurden domestiziert und die Söldnerheere eliminiert. Gegenwärtig sind alle drei Faktoren wieder im Spiel.