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Weisheit, Stärke und Schönheit – oder doch ein Gläschen Champagner?

Irgendwie wirkt die Ritualisierung der weihnachtlichen Friedensbotschaft und ihre unerträgliche Adaption durch die Werbung wie eine groß angelegte Verfremdungsveranstaltung. Der Wunsch nach Frieden, der den meisten Menschen innewohnt, wird durch die tatsächlichen Verhältnisse gegengezeichnet. Ja, Kriege hat es immer gegeben, und ja, die Betroffenheit steigt mit der geographischen wie mentalen Nähe. Kann es sein, dass bei steigender Frequenz von Tod und Gewalt durch private, staatliche und terroristische Beteiligung gerade dort, wo im Augenblick nicht geschossen wird, sich eine Gleichgültigkeit breit macht, die ihresgleichen sucht? Die bevorstehenden und mit Glückseligkeit verheißenden Liedern angekündigten Festtage sind garniert mit unbeschreiblichen Formen von Leid und Vernichtung – woanders!

Man muss das erst einmal hinbekommen: Krieg in der Ukraine, Krieg in Gaza, Krieg im Jemen. Bei genauem Hinsehen wird man gewahr, dass es sich bei allen drei Kriegen um sehr unterschiedliche Veranstaltungen handelt. Opfer sind immer die, die das Massaker weder beauftragen noch selbst inszenieren. Die größte Friedensdividende, um einen ehemaligen Bundeskanzler zu zitieren, wäre die Verfolgung und Entmachtung der Täter. Und komme mir niemand mit der Schuldzuweisung nur nach einer Seite! Alle drei Beispiele zeigen, dass es jeweils auf beiden Seiten Akteure gibt, die mit Frieden nichts im Sinn haben. Es geht, auch bei allen drei Beispielen, immer um Ressourcen. Land, Menschen, Güter, Bodenschätze, geostrategische Vorteile. Wer sich da auf der Seite der Guten weiß, der bekommt es hin: Oh, du fröhliche auf der einen und Streubomben auf der anderen Seite.

Die Wahrheit ist nicht nur erregend, sie bringt auch Unangenehmes hervor: die eigene Nonchalance, die Wurstigkeit gegenüber dem Leid anderer und die eigene, sich in ekeligem Egoismus ergötzende Befindlichkeit. Da muss kein Krieg kommen, da reicht schon ein billiges Shirt aus den Sweat Shops in Bangladesh. Oder eben ein sattes Erbe, aus dem man nachhaltig erzeugte Produkte kaufen und verschenken kann, für die andere ein Lebensjahr den Dreck von Müßiggängern wegräumen müssen. Und für viele, gerade in den jetzigen Tagen, ist es ein Affront, diese Missverhältnisse und Fehlentwicklungen anzusprechen. Hier. Woanders nicht. Diese Erkenntnis hat sich noch nicht herumgesprochen, aber sie kommt näher. 

Nicht, dass die Mahnung auch zum Ritual verkommt! Der Aufbruch in eine neue Form des Zusammenlebens verlangt vieles, und er wird nicht von heute auf morgen zu bewerkstelligen sein. Und – viele wird es enttäuschen – es bedarf mehrerer Sterne, denen zu folgen ist: Der Weisheit, sich selbst aus dem System der Bewertung herauszunehmen, der Stärke, den hohen Preis der Gerechtigkeit auch zahlen zu wollen und dem Versprechen, nach Schönheit und nicht nach Nutzen zu streben. Das klingt sehr pathetisch und wenig handhabbar, aber machen Sie sich die Mühe, und deklinieren Sie es durch. Sehr schnell wird deutlich werden, wie sehr Sie und ich und wir alle, hier im Rayon der westlichen Welt, davon betroffen sind und wie hoch der Preis sein wird, den wir zu bezahlen haben, wenn wir es ernst meinen.

Ist es jedoch nur eine Floskel, und geht es lediglich um den Besitz von Rechten und Dominanz, dann lassen Sie das!  Stürmen Sie die Paläste des Luxus, stopfen Sie sich die Bäuche mit Erlesenem voll und singen Sie Ihre Lieder vom Stall in Bethlehem – ach, da ist gerade Krieg! Dann trösten Sie sich mit einem Gläschen Champagner! 

One of these days

In allen Sprachen existieren Redewendungen, die treffen es einfach. Aus ihnen spricht die Unendlichkeit der kollektiven Erfahrung. Deshalb haben sie sich etabliert, deshalb haben sie sich gehalten. One of these days, dieses Beispiel aus dem Englischen, gehört dazu. Ich habe es überall gehört, auf verschiedenen Kontinenten. Es hat Musiker wie Filmemacher inspiriert und ist zu einem spirituellen Evergreen avanciert. 

Die Bedeutung ist so wuchtig wie einfach. Es geht darum, eben einen jener Tage zu benennen, an denen nichts so geschieht, wie es üblich ist, an denen etwas schief geht, in denen Verkettungen von Ereignissen zu absonderlichen Reaktionen führen, in denen das Kalkulierbare auf der Verliererstraße ist. Diejenigen, die diese Redewendung benutzen, sind allerdings alles andere als entsetzt oder depressiv, was hinsichtlich des Anlasses durchaus möglich wäre. Nein, sie wollen mit der Redewendungen signalisieren, dass es zwar jene Tage, an denen die eigene Absicht und Hoffnung eine Abfuhr erhalten hat, zur menschlichen Existenz gehören. Die Redewendung relativiert das Desaster zu einem nicht sonderlich gewünschten, aber immer wieder realistischen Ereignis. 

One of these days birgt die Kenntnis, dass es Niederlagen gibt, dass Fehler gemacht werden und dass nicht alles so wird, wie man sich das wünscht. Bezüglich der Geschichte unserer Gattung handelt es sich also quasi um einen pädagogischen Hinweis aus der kollektiven Weisheit, dass Scheitern zum Leben gehört und Gram die schlechteste aller möglichen Antworten darstellt. Das Leben ist so, wie es ist. Es existieren Tage des Glücks wie des Unglücks und der Verlauf des Ganzen hängt auch davon ab, wie man mit dieser Gewissheit umgeht. Vielleicht ist die beste Eigenschaft, die es ermöglicht, mit dieser harten Tatsache umzugehen, die schlichte Gelassenheit.

In unseren Tagen, wie wir sie erleben, könnte man allerdings sehr oft, vielleicht sogar täglich diese Redewendung anbringen. Es vergeht derzeit kein Tag, an dem sie nicht angebracht wäre. Ob in der Politik, national wie international, in der Kultur, im öffentlichen Leben wie im privaten Bereich. 

So ist das, wenn die Zeiten bewegt sind. So ist das, wenn Ordnungen erodieren und neue noch nicht etabliert sind. Es sind Tage, Monate und Jahre, in denen alles im Fluss ist und immer und immer wieder etwas passiert, was man sich so nicht vorgestellt hat und das die Vorstellungen von Verlauf und Zukunft enttäuscht. 

Wer da resigniert den Kopf senkt, gibt das Pfund, das dazu ermächtigt, Einfluss auf die Zukunft zu haben, im Kleinen wie im Großen, einfach aus der Hand. Und ja, oft ist es schwer, aber die erwähnte Gelassenheit ist das Einzige, was oft bleibt, wenn man konfrontiert ist mit dem konfusen, irren, nostalgischen, reaktionären und unsinnigen Gestammel, das sich im Äther verbreitet angesichts des rasenden Tempos der Veränderung. Es ist Ausdruck der Panik über den Verlust von Gewissheit. 

Aber es hilf nichts. Auch heute, und morgen, und übermorgen werden wir wieder Grund dazu haben, one of these days zu sagen, aber indem wir das tun, gestehen wir ein, dass es diese Tage eben gibt. Manchmal mehr davon, manchmal wenige, zur Zeit sehr viele. Denken wir an den Sinn dieser Formulierung, aus dem die Weisheit spricht. Verzagen wir nicht! Bleiben wir gelassen!