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Ostenmauer – 69. Schreiben

Walter Benjamin schrieb in der Aphorismensammlung „Die Einbahnstraße“, dass man, auch wenn einem nichts mehr einfällt, einfach weiterschreiben soll, es würde sich schon etwas ergeben. Benjamin selbst war ein Meister der geistigen wie schriftstellerischen Montage, wohl am stärksten dokumentiert in seinem Werk über die Pariser Passagen. Die kolportierte Aussage, die, wenn ich sie zitierte, sehr oft Gelächter oder Verwunderung hervorrief, hat zumindest mich immer durch ihre Klugheit bestochen. Ich habe mir die Aussage zu einem Prinzip gemacht. Einfach einmal los schreiben, sich weder durch eine vorgegebene Struktur noch durch ein zu eng gesetztes  Thema eingrenzen zu lassen und beim Schreiben zu sehen, was sich da entwickelt. 

Ich sehe dabei eine Parallele zu Heinrich von Kleists kurzer Ausführung mit dem Titel „Über die allmähliche Entwicklung der Gedanken beim Reden.“ Im Grunde vollziehe ich seit Jahrzehnten nahezu täglich diese Übung. Die Texte, die dabei entstehen und die einen Großteil der Veröffentlichungen auf Blog M7 ausmachen, sind quasi eine Signatur dessen, was in meinem Kopf bezüglich bestimmter Themenstellungen vor sich geht. Nichts davon ist vorher skizziert, nichts strukturiert. Alles entsteht nach der Maxime Thema – und los. Es sind Etüden meines eigenen Geistes und dem Vermögen oder Unvermögen, diesen in Worte zu fassen. 

Alles, was ich vorher versucht habe und machen musste, um akademische Abschlüsse zu erlangen, empfand ich als Fessel. Nicht,  dass ich das Erlernen einer Schreibstruktur und Schreibtechnik und einer wissenschaftlichen Herangehensweise für falsch hielte! Ganz im Gegenteil, eine derartige Schule des Denkens sollte größtmögliche Verbreitung finden. Nur meine Fortführung des Schreibens nach der Ausbildung nahm einen anderen Weg. Ich nenne es das Schema Benjamin-Kleist, ohne in den Größenwahn zu verfallen, mich mit diesen beiden Giganten des schreibenden Gewerbes vergleichen zu wollen. Die Freiheit, einen Text beim Schreiben selbst zu weben, hat mir als kleinem Individuum eine Welt eröffnet, in der ich mich täglich bewege und in der, das muss ich gestehen, auch in vielerlei Hinsicht das Schreiben eine therapeutische Wirkung erzeugt. Wenn ich schreibe, ertrage ich die Welt besser, als wenn ich sie nur betrachte und mich nicht dazu verhalte. 

Schreiben

Es ist, wie es ist!

Jedes Spiel hat seine Regeln. Und wenn diese gelten, dann heißt es in kritischen Momenten: Es ist, wie es ist. Doch was geschieht, wenn deutlich wird, dass weder das Spiel noch dessen Regeln an Bedeutung verlieren? Dann ist es anders, aber, und damit können sich viele nicht abfinden, es ist trotzdem, wie es ist. Auch wenn das Spiel nicht mehr gespielt wird. Ob das eine komplexe Situation ist, sei dahin gestellt. Weil die Erkenntnis bleibt, dass die Verhältnisse, so wie wir sie vorfinden, so sind, wie sie sind. Wem das zu profan ist, der hat sich bereits einen Vorsprung erarbeitet, weil sich das allgegenwärtige Lamento über den Verlust der Gewissheiten auf das Vergangene konzentriert. Das, werte Freundinnen und Freunde, ist verlorene Zeit.

Was bleibt, ist die Frage, ob, angesichts der veränderten Situation, alles, was bisher galt, über Bord geworfen werden muss, weil jetzt alles anders wird? Oder, ob es nicht ratsam ist, das, was sich bewährt hat, zu erhalten und mit in die neue Zeit zu nehmen? Und das, was nicht mehr in die erwünschte Zukunft passt, stattdessen in die historischen Archive zu verfrachten? Darum nämlich geht es zumeist. Es bleibt niemandem erspart, die Welt, die sich vor uns ausbreitet, selbst mit gestalten zu wollen oder sich dem zu ergeben, was anscheinend nicht mehr zu ändern ist.

Da existiert seit der Moderne die Vorstellung, dass Fortschritt immer das Allheilmittel ist und das Bewahren eine einfältige Nostalgie. Oder anders herum. Alles, was da kommt und unbekannt ist, sei des Teufels und alles, was auf dem großen Müllhaufen der menschlichen Existenz liegt, müsse gerettet werden. Beide Positionen, exklusiv für sich, sind wenig hilfreich. Sie führen ins Verderben. Wichtig ist und bleibt, sich dessen bewusst zu sein, dass Menschen zumindest die menschliche Geschichte machen. Also müssen Menschen auch die Entscheidung darüber treffen, wie sie das, was vor ihnen liegt, gestalten wollen. Subjekt – Objekt, dieses Begriffspaar, ist der Kompass, an dem wir uns orientieren sollten. Und wenn wir Subjekte bleiben und nicht zu verdinglichten Monstren werden wollen, müssen wir selbst bestimmen, wohin die Reise gehen soll.

Was wollen wir mitnehmen, und was wollen wir verlieren? Das ist die Aufgabe, der wir uns stellen müssen, wenn wir an einem Punkt angelangt sind, an dem wir uns die Muße erlauben, das Dasein noch einmal von einem bestimmten Punkt aus zu reflektieren. Der ist jetzt, heute wie morgen, gegeben. Wir sollten den Zeitpunkt nutzen, zu entscheiden, ob die zukünftige Geschichtsschreibung von uns als Objekten oder Subjekten berichten wird. Wer sich nicht entscheidet, und alles so weiter laufen lässt, wie es sich momentan entwickelt, hat sich für die Kategorie Objekt entschieden und damit – sein letztes Kapitel selbst geschrieben.

Und für alle, die das mit dem Subjekt ernst meinen, bricht eine spannende Zeit an, die vieles von ihnen verlangt: die Reflexion des Geschehenen, die Entwicklung einer Vorstellung davon, wie das Zukünftige aussehen soll und ein Plan davon, wie das Erstrebte erreicht werden kann. Nicht einfach, aber fordernd, nicht bequem, aber inspirierend. 

Insofern ist der Angelpunkt, an dem wir uns befinden, ein aufregender Standort. Wer standhalten will, schrieb Adorno, darf nicht verharren in leerem Entsetzen. Und manchmal, schrieb Walter Benjamin, kann Revolution auch bedeuten, die Notbremse zu ziehen. Und wer sich fragt, wie das alles zusammenpassen mag, der hat die Schwelle zu Zukunft bereits überschritten. Und, so schrieb uns Bertolt Brecht ins Pflichtheft, Wut alleine hilft nicht. So etwas muss praktische Folgen haben! 

Bewahren Sie die Ruhe, besinnen Sie sich Ihrer Kraft, und nähren Sie Ihre Zuversicht!  

Schreiben und Schweben

Jeder, der sich mit dem Verfassen von Texten beschäftigt, kennt das Phänomen. Es existiert eine Idee oder auch keine, aber irgend etwas hat dich dazu getrieben, dich an dein Schreibgerät zu setzen. Das ist, je nach Alter, Sozialisation oder Kultur, ganz unterschiedlich. Entweder es ist noch eine Schreibmaschine, am besten eine alte Triumph. Oder es ist ein Blatt Papier und ein Bleistift. Oder ein tablet, vielleicht mit einer externen Tastatur. Aber egal, was es ist, du sitzt dort alleine und hast ein Vorhaben. Das des Schreibens. Und los geht´s? Mitnichten.

Walter Benjamin hat es, ich glaube in seinem Buch Die Einbahnstraße, einmal so beschrieben, dass ich es nie vergessen habe. Wenn du am Schreibtisch sitzt, dann schreibe, auch wenn dir nichts einfällt. Das war klug, das war richtig klug. Denn natürlich wusste Benjamin, dass da etwas in unserer Unterstruktur ist, das arbeitet, auch wenn wir denken, der Kopf sei leer. Das mache ich auch gerade. Jetzt. Ich folge Benjamin und schreibe, ohne dass mir was einfiele. Es wird etwas werden, da bin ich mir sicher.

Andere kluge Köpfe machten es sich schwerer, sie sprachen vom Geheimnis des künstlerischen Schaffens. Aber keinem gelang der große Coup. Nur Walter Benjamin, der sich an den Pyrenäenausläufern, in Port Bou, ins Mittelmeer stürzte, weil er die Verfolgung durch die Gestapo nicht mehr aushielt, dieser großartige Intellektuelle, der Schöpfer der Figur des Flaneurs, des großen Assoziators in der Moderne, der durch die Pariser Passagen streunt und das Weltgeschehen anhand der vorgefundenen Versatzstücke neu komponiert, hat es erfasst. Und zwar mit der Klarheit und Unverfrorenheit einer Berliner Schnauze. Schreib einfach weiter, auch wenn dir nichts einfällt. Da staunste, wa? Auch die Schlauen saugen an einer Mutterbrust. Benjamins Sensorik stammte aus Berlin, dem jüdisch-bürgerlichen, dem unverwechselbaren, das es nicht mehr gibt.

Und dann bist du drin. Das Probieren ist der Beweis. Wenn die Sätze laufen, wunderst du dich, wie das geht. Ein perpetuum mobile der menschlichen Ideengebung. Bis der Sensenmann kommt und den Schalter umlegt. Doch das muss noch warten. Mach ihm einfach nicht auf. Du bist jetzt am Schreiben. Und wie. Schnell, immer schneller. Bis ein Schwebezustand erreicht ist, der alles mitbringt, was einen richtigen Rausch ausmacht. Die Schwebezustände des Schreibens sind unbändig. Sie vermitteln ein Gefühl, natürlich das des Schwebens, das alles beinhaltet, was das Außerkraftsetzen der Gravitation beinhaltet. Leichtigkeit, Grenzenlosigkeit, Sphäre. Tempo nicht unbedingt. Das ist eine Verwechslung. Wer meint, Tempo sei es, um das es ginge, der kann gleich Kokain nehmen. Das führt zur Beschleunigung, erzeugt aber nie das Erhabene des Schwebens. Und damit wäre auch schon die Lehre gezogen: Wer bereit ist, Risiken einzugehen, und das ist der Fall, wenn man einfach anfängt zu schreiben, der erreicht irgendwann einen Schwebezustand. Und der versetzt den Mutigen in den Zustand temporärer Erhabenheit. Die Rauschzustände, die das Schweben zuweilen mitbringt, entstammen der körpereigenen Chemie. Genial. Unbedingt versuchen. Wer die Angst überwunden hat, der muss sich nicht mehr fürchten!