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Das Quieken der Schweine

Die Vorahnung dramatischer Ereignisse äußert sich in unterschiedlicher Form. Bis heute zählt es zu den unerschlossenen Phänomenen, dass Säugetiere so etwas verspüren. Die Grundlagenforschung zeitigt immer wieder die Entdeckung bestimmter Details, die in Bezug auf das Nervensystem und den Stoffwechsel den Rückschluss zulassen, dass etwas in Vorbereitung ist, ohne dass es Anhaltspunkte im Ablauf der Ereignisse dafür gäbe. Dieses Mysterium führt nicht selten zu dem Schluss, Säugetiere seien mystische Wesen. Belegbar ist das nicht, es bleibt ein Punkt der Spekulation.

Neulich, bei einem Gespräch, erinnerte sich jemand an eine Beobachtung aus seiner Kindheit auf dem Land. Er berichtete, dass Schweine beim Abtransport zum Schlachthof in wildes Quieken ausbrachen, weil sie, so seine Vermutung, ahnten, wohin die Reise ging. Die Beobachtung ist kein Einzelfall. Jeder, der so etwas schon erlebt hat, kommt zu dem gleichen Schluss. Das Quieken der Schweine ist die Vorahnung des eigenen Todes, auch wenn ansonsten keinerlei Indizien wie der Geruch des Blutes, Geräusche bereits verendender Tiere oder sonst etwas zu vermerken wäre. Selbst fern des Schlachthofes ahnen sie, was auf sie zukommt.

Der geschätzte Mann, der dort in seiner Erinnerung kramte, ist nicht irgendwer. Er blickt nicht nur auf diese berichtete Beobachtung zurück, sondern er hat ein Leben voller Erfahrungen hinter sich, er war in der aktiven Politik und bekleidete hohe politische Ämter. Es handelt sich um einen gelassenen Mann, der viel gesehen und vieles begriffen hat. Er knüpfte in dem erwähnten Gespräch den Faden weiter und sprach davon, dass die ganze Atmosphäre, die sich in diesem Land ausgebreitet und alles durchdrungen hat, mit dem Quieken der Schweine aus seiner Kindheit etwas gemein hat. Er sprach von einer kollektiven Vorahnung, dass sich eine Katastrophe anbahne.

Er vermute, so weiter, dass tief im Innern mittlerweile die Befürchtung dieser Katastrophe einen breiten Platz eingenommen hätte und die laute Empörung, das Geschrei um relative Nichtigkeiten, die Überhitzung und die vollen Zorndepots etwas mit dieser Vorahnung als Grund zu tun hätte. Denn die Betrachtung der Realität gebe bereits eindeutige Hinweise, dass es tatsächlich zu einer großen Katastrophe käme. Trotz aller gegenteiliger Bekundungen hätten die Institutionen des Landes längst nicht mehr alles im Griff, um es gelinde auszudrücken, sie seien chronisch überfordert. Längst seien militärische  Konflikte vorprogrammiert, die nicht in weiter Ferne, sondern direkt vor der Haustür zum Ausbruch kommen müssten, längst sei deutlich, dass die wissenschaftlich-technische Vormachtstellung verspielt sei und woanders herrsche, längst seien die Fähigkeiten der Funktionsträger in Wirtschaft, Politik und Verwaltung den Anforderungen nicht mehr gewachsen und längst glaube niemand mehr an eine bessere Zukunft.

Nur eingestehen wolle das niemand. Man orientiere sich an Symbolen, die keine Wertigkeit für die eigene, reale Lebenswelt besäßen, man echauffiere sich über Ungerechtigkeiten wie Unzulänglichkeiten in fernen Ländern, ohne eine Analogie zu tatsächlichen Missständen im eigenen Lebensbereich herzustellen. Niemand sei mehr in der Lage, hier, im eigenen Land, aufzustehen und für Verbesserungen selber, mit eigenen persönlichen Konsequenzen, einzutreten, sondern man beschränke sich auf Verweise, die kein eigenes Zutun erforderten.

Doch tief im Innern ahne man, dass das nicht auf Dauer gutgehen könne. Seine Erinnerung an das Quieken der Schweine sei kein Zufall. Mir geht die Geschichte nicht mehr aus dem Kopf.

Die schöne neue Welt und das Sektierertum

Kann etwas, das als Bewegung gegen Unrecht entstanden ist, ins Gegenteil umschlagen? Können Maßnahmen und Aktionen, die sich gegen Diskriminierung richten, selbst zu dem alten Übel zurückkehren? Die Antwort ist schlicht wie beklemmend. Ja, das kann so sein und es ist, historisch betrachtet, gar nicht so selten. Bevor ein solches Phänomen sich ins Bewusstsein hocharbeitet, vergeht Zeit. Und diejenigen, die früh darauf hinweisen, stehen schnell am Pranger. Das Argument, das ihnen entgegen stürmt, bezieht sich jedoch auf die Ausgangslage. Es besteht aus dem Vorwurf, den alten Missstand zu vertreten.

Dass wir in Zeiten leben, in denen der beschriebene Umstand bereits zu voller Blüte gereift ist, dürfte all jenen, die sich ein wenig mit den Schwingungen der Kommunikation beschäftigen, längst aufgefallen sein. Alles, was aus den Anti-Diskriminierungskampagnen entstanden ist, hat einen Zustand erreicht, der seinerseits hinter den Ausgangspunkt zurückgegangen ist. Aus der Abwehr gegen Diskriminierung ist eine neue Art der Diskriminierung entstanden, die fröhliche Urstände feiert. Beispiele dafür gibt es genug, ob es um das fleißige Gendern bei positiven Erscheinungen geht, oder ob umgekehrt der alte Sprachgebrauch beibehalten wird, wie bei Terroristen, Gewalttätern, Kinderschändern, Kriminellen oder auch, man mag es kaum glauben, bei Mutanten, das alles bleibt selbstverständlich maskulin, oder ob es die alten weißen Männer sind, unabhängig von ihrer Lebensbilanz, das, was heute so unsinnig als Bashen bezeichnet wird, ist erlaubt. 

Daraus ist ein Gestus entstanden, der sich mit dem der alten Kolonialisten trefflich messen lassen kann. Bei der Betrachtung der Historie ist es noch abseitiger. Dass Mozart und Beethoven nicht mehr gehört werden sollen, weil sie ihrerseits Verklärer des Kolonialismus gewesen sein sollen wird immer weiter gesponnen, da ist man bereits an dem Punkt, dass Julius Cäsar aus den Geschichtsbüchern verschwinden soll, weil er den Müll nicht getrennt hat.

Das, was in der Geschichte immer wieder als der Abweg des Sektierertums bezeichnet wurde, hat sich in der heutigen bundesrepublikanischen Gesellschaft zur Staatsräson gemausert. Nichts ist unversucht, um den gesellschaftlichen Diskurs in diesen Sog einer totalitären, gleichwohl verkommenen Logik der Spaltung und Ausgrenzung und der daraus folgenden inquisitorischen Meinungsbildung zu ziehen. Sieht man genau hin, dann wird deutlich, dass das, was Arthur Koestler in seinem Roman „Sonnenfinsternis“ so bedrückend thematisiert hat, den öffentlichen Diskurs beherrscht: die Befolgung einer totalitären Logik bis zum bitteren Ende der Selbstverleugnung. 

Die Blindheit derer, die diesen Diskurs beherrschen, und das ist die gute Nachricht, führt dazu, dass sie im Rausch der ideologischen Unangefochtenheit den Blick für die Realität immer mehr verlieren. irgendwann, und dieser Zeitpunkt ist bereits erreicht, glauben sie tatsächlich, dass das verhängnisvolle Produkt ihrer eigenen Verblendung dem entspricht, wie das Gros der Gesellschaft, auch das von ihnen malträtierte, tatsächlich empfindet. Die Folge lässt sich historisch eindeutig dokumentieren. Es führt zum Zusammenbruch, zur nachhaltigen Diskreditierung aller gut gemeinten Anliegen und zu einer radikalen mentalen Umkehr. 

Die Bilder von der schönen neuen Welt, aus der das Unrecht verbannt ist, zerfließen zu einem höllischen Inferno, weil die Zorndepots der Beleidigten, Ausgegrenzten und ins Unrecht Gesetzten randvoll sind und in der Gegenreaktion kein Platz mehr ist für Vernunft und Maß. Aber, auch das lehrt die Geschichte, die die Inquisitoren unserer Tage aus gutem Grunde meiden wie der Teufel das Weihwasser, Sektierertum führt immer zu einem unheilvollen Ende, auch wenn viele glauben, ganz so schlimm werde es schon nicht werden.