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Vive la France?

Seit nunmehr fünf Jahren wehren sich große Teile der französischen Gesellschaft gegen die Formalisierung des Wirtschaftsliberalismus als Regierungssystem. Wer in der Lage ist, sich zu erinnern, wird noch im Gedächtnis haben, dass die Wahl Emmanuel Macrons zum Präsidenten Frankreichs das Ergebnis einer kompletten Abstrafung des parlamentarischen Systems war. Alle Parteien, egal welcher Couleur, wurden zum Teufel gejagt. Macron ist das europäische Pendant zu Donald Trump. Der Überdruss gegenüber einem verkrusteten, behäbigen, zu keiner Innovation mehr fähigen, im Stellungskrieg des Lobbyismus geübten politischen Treibens führte zum totalen Sieg Macrons. Und sobald sich dieser Hoffnungsträger als das entpuppte, was er war, nämlich ein Broker des Neoliberalismus, setzte eine Protestbewegung ein, die in dieser historischen Phase in Europa einzigartig ist. Die Reaktion darauf staatlicherseits ebenso. Brutale Repression. Und, so wie es aussieht, tritt der Kampf zwischen dem parlamentarischen System und einer neuen Form der Oligarchenherrschaft in seine entscheidende Phase.

Wenn ein Aspekt der Politik falsch ist, muss der andere nicht gleichzeitig verworfen werden. Und so ist zu verbuchen, dass Macron mit seinen außenpolitischen Einschätzungen ein französischer Traditionalist ist. Da setzt er auf eine stärkere europäische Souveränität und spricht sich gegen die absolute Dominanz der USA aus. Was nicht schwer zu entziffern ist, sieht er auch: es besteht mitnichten eine Kongruenz zwischen den amerikanischen Interessen und denen der in der EU Vereinigten Staaten. Vom Rest Europas ganz abgesehen. Und er sieht, wohin das führt. Während die EU unter deutscher Führung sich zu einem bewaffneten Arm der von den USA geführten NATO gemausert hat, sieht er die essenziellen Widersprüche. Der Ansatz, Europa sollte bei seiner Außenpolitik zunächst von den eigenen Interessen ausgehen, gilt in den USA bereits als subversiv und das ist entlarvend genug. 

Macron hat diese Haltung nach seinem China-Besuch bekräftigt und davor gewarnt, sich den kriegstreibenden und feindlichen Positionen der USA gegenüber China bedingungslos anzuschließen und stattdessen nach einem eigenen, souverän definierten Verhältnis gegenüber der aufstrebenden Supermacht zu trachten. Wie bestellt, haben gerade diese Äußerungen im politischen Berlin zu „Entsetzen“ geführt. Mit dieser Reaktion, die nicht einmal erlaubt, über eine selbstbestimmte Definition der eigenen Politik nachzudenken, ist die Diagnose bereits offensichtlich. Die Vasallen stehen Gewehr bei Fuß.

Es gehört zum Wesen der politischen Analyse, die unterschiedlichen Aspekte und Wirkungsweisen der politischen Kräfte zunächst zu beschreiben und dann zu bewerten. Dass Frankreich dabei kein einfaches Feld darstellt, ist offensichtlich. Denn einerseits ist dort der letzte Kampf der bürgerlich konstituierten Gesellschaft gegen das neoliberalistische Oligarchentum zu beobachten. Andererseits werden dort Interessen formuliert, die mit den Show-Down-Plänen der USA auf Kosten Europas kollidieren. Insofern ist ein differenziertes Bild erforderlich.

Betrachtet man die Reaktionen östlich der Rheins auf die Geschehnisse in Frankreich, dann beschleicht den Beobachter den Verdacht, mit einem Land zu tun zu haben, das am besten mit dem Titel „von Sinnen“ bezeichnet wird. Die Kämpfe für die Demokratie und die bürgerkriegsmäßigen Operationen dagegen werden kommentarlos hingenommen und die Besinnung auf eigene Interessen im internationalen Kräftespiel wird mit Entsetzen aufgenommen. Es ist wohl Überforderung, die in einer beschämenden Kapitulation geendet hat. Das bullige Geschrei nach Panzern, in denen andere verbrennen, täuscht nicht über die eigene Armseligkeit hinweg.

Dabei ist alles so einfach: Vive la France? Ja, wenn es sich um den Widerstand gegen die Abrissbirnen des Neoliberalismus handelt. Und ja, wenn es sich um eine selbstbestimmte Außenpolitik handelt. Und ja, wenn es sich um die Zivilgesellschaft handelt, die etwas anderes darstellt als einen woken Kochzirkel. Wer das nicht mehr beantworten kann oder will, dem fehlt die Substanz. 

Ein Gruß nach Frankreich!

Bei guten Nachbarn ist es Brauch, sich bei freudigen Ereignissen jenseits der eigenen Schwelle mit Glückwünschen zu erkennen zu geben. Heute, am 14. Juli, da habt Ihr Euren Tag. Den Tag, an dem ein Knast namens Bastille gestürmt wurde. Der war halb leer und die Ausbeute war karg. Das  schien Eurem letzten König so trivial, dass er es in seinem Tagebuch keiner Erwähnung wert fand. Dass er auf der Jagd war, schien ihm wichtiger. Am Abend des 14. Juli 1789 schrieb er den Eintrag: drei Hasen, ein Fasan. Ihr dagegen hattet das Symbol der Unterdrückung geschleift. Das hatte der Mann nicht begriffen. Sein Kopf, so wissen wir, lag dann irgendwann im Weidenkorb. 

Ihr könnt, das wissen wir östlich des Rheins allzu gut, Ihr könnt verzeihen und Gnade walten lassen. Bei uns war ein Napoleon, den viele hier begrüßten und feierten, bei Euch war Hitler, der Euer Herz, Paris, noch zerstören wollte, als alles entschieden war. Wir wissen, dass Ihr verzeihen könnt. Nur, wenn die Dummheit und die Dreistigkeit Überhand nehmen, dann werdet Ihr radikal. Und dann haut Ihr nicht nur auf den Tisch. Dann fließt das Blut in Strömen, wie Euer Kampfslogan, die direkt ins Blut gehende Marseillaise, es beschreibt. Dann gibt es kein Halten mehr. Den kulturlosen Dreisthahn, der in den Suppentopf der Gemeinschaft rotzt, dem zeigt Ihr, wie die Tischsitten sind.

Wenn Ihr heute den 14. Juli feiert, dann habt Ihr andere Sorgen, als Euch an den Taten zu laben, die vor 231 Jahren der gesamten westlichen Zivilisation einen neuen Weg wiesen. Zu viel habt Ihr in den letzten Jahren erlebt, als dass Ihr das beiseite legen könntet. Ihr habt gesehen, wie die von der Revolution geschaffenen Parteien und Institutionen erschöpft und müde wirkten, wie sich Bestechlichkeit und Dekadenz eingeschlichen hatten. Und tief in Eurem Innern, da habt Ihr einen Instinkt, angelegt an jenem Tag an der Bastille, und dieser Instinkt, der treibt Euch umgehend in den Aufstand. Mit dem derzeitigen Präsidenten quittiertet Ihr dem gesamten System Euer Misstrauen und Eueren Überdruss.

Doch was dann kam, Ihr lieben Nachbarn, das kennen wir hier, östlich des Rheins, zur Genüge. Ihr  beauftragtet einen Heilsbringer. Das kennen wir, und wir wissen, das geht nie gut aus. Nun, Ihr habt es selber ausprobiert. Euer Instinkt hat sich früh gemeldet, und bis heute musstet Ihr teuer bezahlen. Aber, dass wisst Ihr, dessen Zeit ist abgelaufen und dann geht Ihr wieder an die Arbeit und baut etwas Neues. Wenn Ihr in Rage seid, und das ist etwas sehr Kostbares, dann seid Ihr nicht nur zerstörerisch, nein, dann werdet Ihr auch immer schöpferisch und schafft etwas, das die Herzen springen lässt. Das, so der Wunsch aus der Nachbarschaft, wird wieder so kommen. Wo die Revolution zu Hause ist, da ist sie nicht zu vertreiben.

Was wir, als Nachbarn, bis jetzt geleistet haben, um Euch, die Ihr den ganzen Kontinent befreit habt, jetzt, in der Stunde der Not, um zu helfen, ist leider furchtbar wenig, wenn nicht gar nichts. Was uns, einmal wieder, die Herzen bricht. Wir wissen das, wir schämen uns dafür. Aber das kennt Ihr von uns. Wir sind Experten in der großen Theorie, wenn es aber ums praktische Leben geht, dann sind wir immer etwas begriffsstutzig. Wir arbeiten daran. Aber habt die Gewissheit, dass wir bei Euch sind. Ihr steht wieder einmal in der ersten Reihe! Und Euer Instinkt, den wir nicht haben, wir Euch vor weiterem Unheil bewahren.

Vive la France! Vive la Révolution!