Manchmal sind es Momentaufnahmen, die ein Bild über das große Ganze vermitteln. Kürzlich, bei einem Forum von Journalistinnen und Journalisten, bei dem es, wie auch sonst, um die Maßnahmen der Regierung gegen die Verbreitung des Corona-Virus ging, kompromittierte sich eine junge, eloquente und sehr erfolgreiche Vertreterin des Gewerbes, in dem sie den Lockdown verteidigte und dabei ihr völliges Unverständnis gegenüber denen, die momentan wirtschaftlich ruiniert werden, zum Ausdruck brachte. Sie argumentierte, was es denn Schlimmeres gebe als vom Virus infiziert zu werden. Dagegen sei so etwas wie der Verlust eines Arbeitsplatzes oder der Ruin des eigenen Unternehmens gar nichts. Das alles tat sie mit einer saturierten Arroganz und dokumentierte damit, dass sie das, was als soziale No bezeichnet werden muss, aus ihrer persönlichen Vita nicht kennt.
Was sich dahinter verbirgt, ist die wachsende, um nicht zu sagen mittlerweile exklusiv existierende Spaltung der Gesellschaft in Reichtum und Funktion auf der einen, und notwendiger wirtschaftlicher Existenzsicherung auf der anderen Seite. Entscheider wie Kommunikatoren haben mit dem, was ein Großteil der Gesellschaft noch als das „richtige Leben“ bezeichnen würde, nichts mehr zu tun.
Nun kann man sich darüber erzürnen und sich in dem Zustand der Entrüstung baden, oder es besteht die Möglichkeit, die Situation zunächst zu beschreiben und sich im Hinblick auf eine gesellschaftliche Prognose Gedanken zu machen. Letzteres führt dazu, dass das „richtige Leben“ im geschäftsführenden Ausschuss der Republik wie in den Medien nicht mehr wahrgenommen wird. Die Konsequenz? Das wissentliche wie das naive Abtun aller Argumente, die auf diesen Zustand hinweisen, als Hirngespinst und/oder als Verschwörungstheorie abzutun.
Das bewährteste Mittel zur Konservierung einer idealisierten Wahrnehmung von dem Rest der Gesellschaft ist die Systemimmanenz. Das Leben in der eigenen Blase, sowohl sozial als auch kommunikativ, hält davon ab, Erfahrungen außerhalb des eigenen sozialen Reviers zu machen, die dazu verleiten könnten, durch Unmittelbarkeit zu Erkenntnissen zu kommen, die etwas anderes hervorbringen als das Vertraute. Nur wenige der Erwähnten beschreiten diesen Weg. Und diejenigen, die sich die Mühe machen, überraschen durch die Revision ihrer vorherigen Wahrnehmung. Der Rest, vor allem diejenigen, die in der öffentlichen Wahrnehmung permanent präsent sind, senden unablässig ihre ignoranten Schallwellen in die eigene Echokammer und manche von ihnen, nicht die vollkommen gegen jegliche Außenwahrnehmung Imprägnierten, wundern sich über die wachsende Kritik, die ihnen entgegenschlägt.
Anstatt sich Gedanken über eventuell tatsächlich vorliegende Sachverhalte und Motive des Unmuts zu machen, wählen sie den leichten Weg und betätigen sich der Ausgrenzung derer, die auf die Möglichkeit einer existierenden Realität hinweisen. Was erforderlich wäre, außer dem zumindest temporären Verlassen der eigenen sozialen Blase, ist die Befähigung der Differenzierung zwischen Realität und tatsächlichem Wahrnehmungsverlust. Auch darunter leiden manche, die nicht zu der durch Macht privilegierten Gruppe gehören. Kein Mensch ist vor dem Phänomen der Täuschung zu bewahren. Ausgerechnet diese, tatsächlich kleine Gruppe, als Vorwand zu nehmen, um die Kritik in toto als absurd zu überführen, deutet allerdings darauf hin, dass die anzutreffende Workforce in den bestehenden Strukturen nicht mehr von einer außerhalb ihres eigenen Erfahrungshorizontes existierenden Realität überzeugt werden kann.
Was das heißt? Sowohl in der Politik wie in den Medien ist ein radikaler Personalshift erforderlich, und zwar einer, der das „richtige Leben“ zurück in den Fokus bringt.
