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Endspiel: Emotion gegen Verstand

Sie läuft. Die mediale Vernichtungsmaschine. Kein Tag vergeht, an dem nicht ein Ereignis für einen Sturm der Entrüstung sorgt. Bei genauer Betrachtung geht es um Dinge, die einen kühlen Kopf verlangen, um mit ihnen adäquat umgehen zu können. Was auffällt, ist die Tatsache, dass die genauen Hintergründe, die zu einem Ereignis führten, keine Rolle mehr spielen. Wer nachfragt, was denn eigentlich passiert ist, wer was aus welchem Grunde gemacht oder gesagt hat, wird sogleich stigmatisiert als jemand, der die vermeintliche Tat unterstützt. Dabei sind die Fragen berechtigt, und eigentlich sollten sie von denjenigen gestellt werden, die sich professionell mit Berichterstattung beschäftigen. Die jedoch blasen in das gleiche Horn, sie haben sich in toto disqualifiziert. Erschreckend ist, dass sie momentan eine Macht ausüben, die die Politik vor sich herzutreiben in der Lage ist.

Politik ist die Branche, die mit Distanz und klarem Verstand die Dinge analysieren und daraus abgeleitet Vorschläge machen sollte, wie Probleme gelöst werden können. Begibt sie sich, wie allgemein festzustellen, in den Sog der organisierten Hysterie, dann ist von ihr nichts mehr zu erwarten. Die Bilanz ist schäbig. Die Prognose: die Gesellschaft befindet sich in einem unaufhaltsamen Prozess des Niedergangs. Der Verstand ist abgemeldet, die Emotion derer, die die mediale Welt beherrschen, dominiert die öffentliche Meinung, beherrscht die Politik und führt zu einem irrationalen Orkan, der das Ausmaß der gegenwärtigen Naturkatastrophen in den Schatten stellt.

Wer an der Diagnose zweifelt, sollte sich die Stimmen derer anhören, die das Schauspiel von außen, aus gesicherter Distanz betrachten. Von allen Kontinenten, unabhängig von der jeweiligen politischen Orientierung, gehen die Reaktionen auf die Zustände in unserem Land von verstörtem Unglauben über große Sorge bis hin zu beißendem Spott. Die inländische Reaktion darauf ist Resilienz und Belehrung. Wer einmal den Verstand verloren hat, dem ist kaum noch zu helfen. 

Das einzige, was hilft, sind Fakten. Und selbst auf diesem Terrain sind wir Zeugen eines Dramas, das seinesgleichen sucht. Da werden Fakten, die nicht in das eigene Weltbild passen, in Konkurrenz gestellt zu Sachverhalten, die den eigenen Standpunkt untermauern. Es versteht sich von selbst, dass die Form der Realität, die nicht genehm ist, in summa als Fake News und Verschwörungstheorien diskreditiert wird. Da hilft kein Versuch, die Lage von der Emotion bereinigen und in ein Stadium der Analyse überführen zu wollen. Wer einmal das hysterische Geschrei verweigert, der ist out. Die Wohlfühlblase entpuppt sich als martialische Killermaschine.

Interessant ist, dass man aus der Ferne begonnen hat, sich zurückzulehnen und Wetten abzuschließen, wie lange eine Gesellschaft eine solche Entwicklung wohl aushält. Ob sie weiter den Weg beschreitet, der im Fiasko endet oder ob es Kräfte gibt, die in der Lage sind, das Ruder noch einmal herumzureißen. Es sei darauf hingewiesen, dass die Wetten auf einen Wechsel von der Hysterie zur Vernunft im Moment sehr schlecht stehen. Und es wird darüber spekuliert, wie das Ende des Weges wohl aussehen wird. Da tauchen schon Vorstellungen auf, die von einer chinesischen Kolonie oder einem amerikanischen Protektorat sprechen. Und selbst im Land selbst mehren sich die Stimmen, die das eine wie das andere als ein geringeres Übel ansehen wie die jetzigen Zustände. Kann die Verzweiflung markanter zum Ausdruck kommen? 

Das Dilemma mit der Verschwörung

Glaubt man dem Erscheinungsbild, das sich darbietet, so leben wir in einem Zeitalter der Verschwörungstheorien. Um sich ein zutreffendes Bild verschaffen zu können, ist es zunächst einmal erforderlich, sich mit dem zu befassen, woher der inflationär verwendete Bericht eigentlich kommt. Leider ist es so, dass er in seiner Entstehung aus Zusammenhängen stammt, die eines sehr deutlich belegen: als Verschwörungstheorie wurde, etymologisch, zumeist ein der Versuch bezeichnet, tatsächlich drastische Verhältnisse zu beschreiben und zu erklären. Und er wurde verwendet von denjenigen, die etwas zu verbergen hatten. Und, ob man es will oder nicht, in den Anfängen seiner Hochkonjunktur tauchte der Begriff auf, wenn Geheimdienste, in besonderer Weise die amerikanische CIA, sich des Begriffes bemächtigten, wenn sie sich entlarvt fühlten. 

Dass nicht alles, was unglaubliche Vorgänge beschreiben will, frei ist von absonderlicher Spekulation und irrsinniger Deutung, ist die andere Seite der Wahrheit, die zu einer Aufklärung gehört. Heute, in Zeiten dramatischer Ordnungsauflösung, ist der Verdacht, dass sich hinter vielem dunkle Mächte verbergen, eine naheliegende, jedoch auch oft nicht zutreffende Erklärung. Nein, weder jüdische Finanzhaie an der amerikanischen Ostküste, noch russische Spione oder chinesische Bots sind Ursache für die dramatischen Veränderungen, die die globalisierte,  krisenhafte Welt und beschert. Diese Form der Interpretation läuft nicht nur auf diskriminatorische Feindbilder hinaus, sie lenkt auch ab von einer präzisen, kalten Blutes durchgeführten Analyse der Verhältnisse.

Der unbeschränkte Austausch von Waren, der globale Zugriff auf Ressourcen, das allmächtige Gesetz der Verwertung und der massenhafte, direkte Kontakt von Menschen in der ganzen Welt sind die Quellen für Raubbau, soziale Spaltung, Umweltvernichtung und Epidemien. Selbstverständlich spielen, wie beim allem, konkrete Individuen und Organisationen eine Rolle, aber ohne die logischen Prinzipien, die sie treiben, könnten sie diese Rolle nicht spielen. Es greift zu kurz, sich auf die Individuen und Organisationen zu fokussieren. Es geht um das Prinzip.

Im Grunde ist das, was als Verschwörungstheorie bezeichnet wird, Ausdruck einer gewissen Unbeholfenheit der Welterklärung. Und so sehr die zum Teil abstrusen Erklärungsmuster auch daherkommen mögen, sie haben, was das Prinzip, sprich die Produktions- und Eigentumsverhältnisse anbetrifft, eine nützliche Rolle. Sie lenken von den Ursachen ab und bieten einen wunderbaren Anlass, um sich zu mokieren über die Abseitigkeit der Interpretation von Missständen. Ja, auch Verschwörungstheorien haben einen Doppelcharakter. Sie sind zum einen eine Spielart der verwegenen Illusion, zum anderen jedoch ein Aufbegehren gegen Verhältnisse, die nicht mehr richtig erscheinen. Wie bei der Religion, wie bei der Romantik und wie bei der Illusion schlechthin.

Den absurden Part spielen in diesem Spiel diejenigen, die sich darauf konzentrieren, den Erklärungsversuch als solchen pauschal zu diskreditieren. Sie sehen sich als die Besitzer einer Wahrheit, die nichts erklärt. Sie verkaufen den Status quo als das natürlich Gegebene, zu Erstrebende und Unausweichliche und schließen die Notwendigkeit einer Analyse, die der Sache auf den Grund geht, aus. Sie machen sich somit zu Verfechtern einer Realität, die mit ihren Ordnungsprinzipien im Zerfall begriffen ist und grenzen diejenigen, die dem Prozess hilflos gegenüberstehen, als Begriffstutzige, von der Komplexität Überforderte aus. 

Ja, es ist ein Dilemma. Da stehen sich Apologetik und absurde Theorie diametral gegenüber. Weiter führt weder das eine noch das andere. Helfen kann nur die Analyse, mit scharfem Verstand und ohne Tabus. 

China: Nicht jede Verschwörungstheorie muss schlecht sein!

Gestern war es wieder soweit. Der Qualitätsjournalismus aus dem Hause ZDF hatte seine Ikone Ulf Röller losgeschickt und aus dem Inneren Chinas berichten lassen. Wenn er dort ein- oder herumreist, wissen die Chinesen gleich, was auf sie zukommt. Er kann es sich nämlich nicht verkneifen, mit einer Baseball Cap, auf deren Frontseite stolz der Name Hongkong prangt, sich als ein Fan der historisch wohl dunkelsten Seite des britischen Kolonialismus zu outen. Jede Chinesin und jeder Chinese hat in der Schule gelernt, dass das britische Kolonialreich sich in einem der dreckigsten Kriege in der Gattungsgeschichte das Recht auf Drogenhandel und die Belieferung Chinas mit indischem Opium militärisch durchzusetzen und dafür gleichzeitig den Hafen Hongkong unter den Nagel zu reißen. Gut, dass ein deutscher Journalist sich gleich so positioniert. Da wissen alle, der freie Westen kommt ins Haus, und es sicher, er bringt uns die lang ersehnte Perspektive der Demokratie.

Die Bilder, die gezeigt wurden, in dieser Sondernummer des Auslandsjournals, zeigten ein China, das von der Corona-Krise, die übrigens eindeutig von der Kommunistischen Partei zu verantworten ist, das wirtschaftlich am Boden liegt und dessen Bevölkerung völlig demoralisiert ist. Es wird im Land herumgereist und immer mal wieder jemand interviewt, den der chinesische Shutdown hart getroffen hat, der oder die die Arbeit verloren hat oder auf Investitionen sitzen geblieben ist, die sich nicht amortisieren konnten. Nicht, dass die Existenz solcher Schicksale angezweifelt würde, fraglich ist jedoch, ob sie ein realistisches Abbild dessen geben, was sich in China derzeit tatsächlich abspielt. 

Beim betrachten der Reportage störte vor allem der omnipräsente Unterton des Besserwessis, der sich einer permanenten Schadenfreude nicht enthalten konnte und alles, aber auch alles in einer einzigen politischen Verantwortung enden ließ. Unreflektiert, und darauf setzte das Kompositum des Berichts, konnte man zu dem Schluss kommen, das Ganze sei ohne das politische System Chinas gar nicht erst passiert. Liegt da auch der Schluss nahe, der Befall des Virus in ca. 150 Ländern dieser Erde sei ein Bock, den die chinesische Kommunistische Partei geschossen hat? 

Als das Team, gleich zu Beginn der Reportage, angewidert darüber berichtete, sie hätten einen QRL-Code mit ihrem Smartphone einscannen müssen, um sich einem Corona-Tracing-Programm auszuliefern, einer willkommenen Gelegenheit für die chinesische Diktatur, Land und Leute nun komplett zu überwachen, drängte sich der Vergleich mit Argumenten hierzulande auf, die von der gleichen journalistischen Zielgruppe sofort und laut mit dem Terminus der Verschwörungstheorie überzogen würde. In Bezug auf die Einschätzung hiesiger Verhältnisse, versteht sich. 

Der Rückschluss wäre, zu akzeptieren, dass keine Verschwörungstheorie zu abstrus ist, wenn sie eine Schuldzuweisung auf politische Feinde enthält.  Ja, Feinde, denn so, wie das ZDF-Team da über China nicht zum ersten Mal berichtet, existiert kein anderer Begriff, der das Ressentiment besser beschriebe. Und irgendwie wird man den Eindruck nicht los, das in guten Zeiten der Profession geforderte distanzierte Auge des Journalismus sei in irgendeinem Gully der geschilderten Märkte mit Reptilien und Meeresgetier beim Ausspritzen verloren gegangen. 

Alle, die wissen wollen, wie schnell man sich den Vorwurf der Verschwörungstheorie einhandeln kann, nimmt die Reportage und wendet die Verdächtigungen, Anspielungen und Bezichtigungen und wendet sie auf bundesrepublikanische Verhältnisse an. Ob es bei dem Vorwurf der Verschwörungstheorie bliebe, ist anzuzweifeln. Es könnte auch zu drastischen Maßnahmen führen, an deren Ende nicht mehr das Recht auf Freizügigkeit steht. 

Was daraus zu lernen ist? Verschwörungstheorien sind per se nicht schlecht. solange sie auf politische Feinde angewendet werden. Im eigenen Hause jedoch sind sie jedoch ekelerregend. Wer das auseinanderhalten kann, hat nichts zu befürchten.