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Welche Qualität erfordert der Wandel?

Kaum ein Terminus wird öfters gebraucht in unseren Tagen. Wenn es darum geht, das zu beschreiben, was uns bewegt und was als erforderlich erachtet wird. Der Wandel, oder oft auch in dem beliebten und zu Slogans verarbeiteten Change, ist zu einem magischen Wort geworden. Wie alle Begriffe dieser Art lässt die Magie alle möglichen Assoziationen zu. Ob sie den Kern treffen oder zielführend sind, steht auf einem anderen Blatt. Tatsache ist, dass es ein kollektives Bewusstsein zu geben scheint, das seine Häufigkeit rechtfertigt. Eine Erklärung dafür ist die profane Erkenntnis, dass die Lebensumstände, in denen wir uns befinden, immer wieder Veränderungen unterliegen. Die Ursache sind die verkürzten Halbwertzeiten der Instrumente, mit denen wir unseren Alltag organisieren. Immer neue Technologien und Techniken beeinflussen uns dabei. Sowohl als private Individuen als auch als Arbeitsfaktoren. Der Mensch ist umringt von einer Technik, die er, gleich der Metapher von Goethes Zauberlehrling, selbst schuf und die ihm in der Steuerung zunehmend entgleitet.

Die Eigendynamik des technischen Fortschritts hat vor allem in der Arbeitswelt dazu geführt, mit so genannten Change-Projekten die organisatorischen und qualitativen Veränderungen in den Griff zu bekommen. Neue Techniken werden eingeführt, sie erfordern eine andere Ordnung, die in dem Produktionsprozess befindlichen Menschen müssen die neue Ordnung verinnerlichen und sie müssen sich die Kenntnisse und Fertigkeiten aneignen, die erforderlich sind, um den neuen Prozess erfolgreich zu gestalten. Diese Art der Change-Prozesse ist allerdings mittlerweile das tägliche Brot jeder Arbeitsorganisation. Deshalb ist es sinnvoll, von Anpassungs- und Justierungsprozessen zu sprechen. Beschleunigung allein ist jedoch kein Wandel. Eigentlicher Wandel verändert die Denkweise. Dieser Umstand scheint dafür verantwortlich zu sein, dass der große Irrtum vorherrscht, wir befänden uns quasi in einem revolutionären Zeitalter. Doch wenn die alte Ordnung nur beschleunigt wird, wird sie dann moderner?

Die Arbeitswelt hat dieser optischen Täuschung bereits Rechnung getragen, indem sie die normalen Anpassungsprozesse nicht mehr als Wandel bezeichnet. Dort wird der Begriff nur noch dann benutzt, wenn er mit etwas korrespondiert, das als Paradigmenwechsel bezeichnet werden muss. Nur dann, wenn ein so genannter Philosophie- oder Denkwechsel stattfindet, wird noch von Change gesprochen. Ein Paradigmenwechsel kann auch neue Techniken und Instrumente zur Folge haben, aber das Augenmerk richtet sich auf die notwendige Veränderung im Denken. Ändert sich nicht die Strategie, dann ist die alte Ordnung festgeschrieben, ändern sich jedoch die Ziele, dann sind die Change-Prozesse nach altem Muster nutzlos.

Eine neue Strategie, die eine anders geartete Denkweise voraussetzt, kann nicht durch neue Rechner oder Messinstrumente erreicht werden. Eine neue Strategie erfordert andere Denkweisen, ein anderes Verhalten und die Beschreibung neuer Qualitäten der Zusammenarbeit. Technisches Gerät reicht da nicht, das Management eines derartigen Prozesses erfordert neue kommunikative, neue pädagogische und didaktische Maßnahmen wie die Etablierung neuer Belohnungssysteme. Alles, was auf die Veränderung menschlichen Verhaltens setzt, muss andere Zeiträume einkalkulieren als die, welche zur Justierung technischer Innovation erforderlich sind. Eigebettet in die Dominanz der Technik und der Etablierung der Technokratie als semantischem Pendant scheitern die meisten Vorhaben, die tatsächlich auf die Veränderung des Denkens und Handelns setzen an diesem profanen Umstand. Die Trivialisierung des Menschen zu einem technischen Gerät verursacht den Misserfolg. Kommunikative Kompetenz, die Institutionalisierung von Lernprozessen und die Neudefinition des Lohnes sind die Grundlagen, die ein Paradigmenwechsel berücksichtigen muss. Nicht alles, was als Wandel bezeichnet wird, hat den Titel verdient.

Revisionismus der Eliten

Es gibt einen interessanten Zusammenhang zwischen dem Zustand eines Staates und dem allgemeinen Befinden und Verhalten der eigenen Eliten. Sind letztere einigermaßen eingeschworen auf Staat und Gesellschaft und begreifen sie den Konnex zwischen eigenem Verhalten und der Legitimationsfähigkeit des gesamten Staates, dann kann in der Regel davon ausgegangen werden, dass eine Kohärenz zwischen den verschiedenen sozialen Klassen besteht. Das ist logisch. Denn wer von anderen fordert und selbst zu verstehen gibt, dass das auch für ihn gilt, der kann erwarten, dass man ihn zumindest für glaubwürdig hält. Herrschen andererseits Verhältnisse, die an das berühmte Zitat Heinrich Heines erinnern – ich kenne die Weise, ich kenne den Reim, ich kenn auch die Herren Verfasser; sie tranken heimlich Wein und predigten öffentlich Wasser -, dann befindet sich die Herrschaft bereits in einer Legitimationskrise.

Eine böse Evidenz für das Versagen von Eliten und daraus resultierende gesellschaftliche Dauerkrisen liefern die so genannten Schwellenländer. Bezeichnend für diese sind auf der einen Seite in der Regel nationale Reichtümer wie Bodenschätze etc., eine Juvenilisierung der Gesellschaft und ein damit verbundener Sturm auf die Bildungseinrichtungen sowie das Überspringen technologischer Entwicklungsstufen im Rahmen einer rasanten Modernisierung. Konterkariert werden derartig traumhafte Bedingungen für die Weiterentwicklung des Gemeinwesens zumeist durch eine fatal resistente Korruption im Staatsapparat und eine Illoyalität der etablierten Eliten, die durch Raub an nationalem Eigentum und der strikten Weigerung, ihren kometenhaften Reichtum zu versteuern. Flankiert wird dieses Verhalten zumeist durch eine äußerst biegsame Justiz.

Betrachtet man die Entwicklung der Befindlichkeit der Eliten in den so genannten zivilisierten und entwickelten Ländern, dann könnte der Verdacht aufkommen, dass ein Revisionismus im Zuge ist. Revisionismus deshalb, weil bei Staaten, die durch die bürgerliche Revolution beflügelte Quantensprünge vollbracht haben, eben auch weil die Loyalität der Eliten zu dem neuen Staatswesen gegeben war, eine Rückorientierung auf das alte System der Privilegierung ohne Verdienst ins Auge gefast haben. Das passiert nicht schlagartig, sondern es handelt sich um einen schleichenden Prozess. Das alte protestantische Ideal von dem Chef, der als erster im Betrieb ist und als letzter geht, der sich dadurch auszeichnet, dass er sparsam ist und für sich selbst immer den geringsten Anteil verlangt, es sei denn, es kommt dem großen Ganzen zu Gute, dieser Chef oder diese Chefin sind passé. Um das zu bemerken, dazu muss man kein Mythendeuter sein. An seine stelle sind mehrheitlich die Coupon-Schneider getreten, die über Beteiligungen Gewinne einstreichen und deren Verbundenheit mit denen, die ihren Reichtum schaffen, gegen Null geht.

Ein weit verbreitetes Phänomen dieser Besitzenden ist ihr ständiges Streben, ihren Erwerb nicht zu versteuern. Um diesem Ziel näher zu kommen, flüchten sie in so genannte Steueroasen oder operieren dort teilweise. Das Inakzeptable besteht genau in diesem Punkt: Bildung, Infrastruktur und die mentale Disposition derer, die produzieren, sind genau die Verdienste des Landes, das sie mit ihrem Verhalten betrügen. Sie entziehen sich der Investitionen, derer es erfordert, dass Reichtum geschaffen wird. Dass ein Land wie die Bundesrepublik in diesem Kontext noch mit einem Gesetz unterwegs ist, das aus kaiserlichen Zeiten stammt und die Amoral der Eliten hofiert, in dem sie diesen eine Straffreiheit garantiert, wenn sie Reue zeigen ob ihres Deliktes der Steuerhinterziehung, das spricht wieder einmal für den tatsächlich lauen Geist, der die Demokratie in diesem Lande prägt. Und die Eliten, und gerade die mit einer exponierten medialen Präsenz, die leuchten schon wie ihre Brüder und Schwestern in den Schwellenländern.