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Das Hoeneß-Syndrom

Die demokratischen Institutionen, auf denen eine demokratische Republik basiert, haben zunehmend an Autorität verloren. Parlamente, die Gesetze beschließen, Gerichte, die nach Recht Urteile fällen und Behörden, die bei Vergehen ermitteln, sie alle werden einerseits von einer alles durchdringenden Öffentlichkeit heimgesucht, die es den Akteurinnen und Akteuren immer schwerer macht, nach bestem Wissen und Gewissen zu handeln. Und diese Institutionen werden zunehmend gebeugt von mächtigen Interessengruppen, die über starke Lobbys verfügen. Beides führt nicht zur Stärkung der demokratischen Institutionen. Ihr Handeln steht aus Sicht der großen Masse der Bevölkerung längst nicht mehr über allen Vorbehalten.

Stattdessen haben vor allem Talkshows das übernommen, was den demokratischen Institutionen vorbehalten ist. Sie beraten nicht nur bestimmte Fälle, sondern sie fällen auch bestimmte Urteile. Dazu werden spektakuläre und prominente Vorkommnisse behandelt, anhand derer abgeklopft wird, inwieweit welche Position bei der Bevölkerung mehrheitsfähig ist. Genau betrachtet ist das ein sehr perfides Spiel, weil dabei nicht nur herausgefunden wird, mit welchen Positionen Wahlen gewonnen werden, sondern welche politischen Projekte auch ohne großen Widerstand verwirklicht werden können, ohne dass sie zu einem demokratischen Land passten.

Der Fall des Ex-Bayerpräsidenten Uli Hoeneß ist so einer. Vor ihm gab es viele andere. Robert Enke, Michael Schumacher, Kachelmann, Eva Herrmann, Alice Schwarzer etc.. Solche Fälle erzeugen Aufsehen und schon ist die mediale Austarierungsmaschine auf Hochtouren. Im Falle Hoeneß lässt sich die Angelegenheit sehr nüchtern zusammenfassen: Ein überaus erfolgreicher Manager, der in hohem Maße an der Börse aktiv war und der nach einem Hinweis mit Steuerhinterziehung in Verbindung gebracht wird. Er greift zum Mittel der Selbstanzeige, das in dieser Republik eine Sonderbehandlung einer bestimmten Straftat garantiert. Bei den Ermittlungen und im Prozess wird deutlich, dass aufgrund von massiven Ungereimtheiten das Delikt genauer betrachtet werden müsste. Und obwohl anfänglich von einer Hinterziehungssumme von 3 Millionen ausgegangen wird, dann von 27 und schließlich von 30 Millionen geredet wird, ist der Prozess in wenigen Tagen vorbei, der Delinquent akzeptiert das milde Strafmaß, ihm wird vom bayrischen Ministerpräsidenten wie von der Bundeskanzlerin hoher Respekt gezollt und tritt kurz danach die Haftstrafe an, die bereits nach sieben Monaten zum Freigang gemildert wird.

Allein bei der nüchternen Betrachtung der Fakten wird deutlich, was dort nicht zusammenpasst. In einem gesellschaftlichen Diskurs, der sich immer wieder um den Begriff der Gerechtigkeit dreht, besteht eine gewaltige Dissonanz zwischen der geschilderten juristischen Milde und gerichtlichen Entscheidungen wie dem Berliner Bienenstich-Urteil, das die Kündigung einer Beschäftigten sanktionierte, die ein nicht verkauftes und zum Wegwerfen bestimmtes Stück Bienenstich verzehrt hatte. Und die findigen Juristen werden jetzt erklären, dass beides rechtlich einwandfrei sei. Das ist sicherlich der Fall, sollte jedoch dazu führen, den Diskurs zu politisieren und danach zu streben, die Legislative dahin zu bringen, die Gesetze so zu verändern, dass eine derart Gesetzes konforme, jedoch skandalöse Rechtsprechung nicht mehr möglich ist.

Die Diskussionen, die nun wieder in der medialen Öffentlichkeit um den Fall Hoeneß geführt werden werden, haben zum Ziel, ihn wegen seiner Verdienste und seiner Reue zu exkulpieren. Das hat mit dem Interesse eines demokratischen Rechtsstaates nichts zu tun. Jener muss exklusiv dafür Sorgen, dass er, seine Institutionen und das ihn tragende Volk Attacken unbeschadet übersteht. Verfolgt der Rechtsstaat dieses Interesse nicht, dann tritt vielleicht einmal ein Zustand ein, den Bertold Brecht in seinem Resolutionslied so beschrieb:

In Erwägung unsrer Schwäche machtet
Ihr Gesetze die uns knechten solln.
Die Gesetze seien künftig nicht beachtet
In Erwägung dass wir nicht mehr Knecht sein wolln.

Bayern: Einheitspartei und Nomenklatura

Ein Freund aus früheren Tagen vertrat in Bezug auf die zentraleuropäische politische Zukunft zuweilen eigenartige Thesen. Aber, das musste man ihm immer konzedieren, nichts von dem, was er von sich gab oder vorschlug, war undurchdacht oder von einem niederen Affekt getrieben. Eine seiner Thesen wird mir anlässlich der sich häufenden Meldungen aus dem Freistaat Bayern wieder gegenwärtig. Er vertrat die Auffassung, dass sich die Bundesrepublik anders orientieren müsse. Dazu gehöre, sich von Bayern und Baden-Württemberg zu trennen. Diese Länder seien eher kulturell zu Österreich gehörig. Der Rest der Republik solle dagegen eher mit den Niederlanden und Dänemark eine Staatenkonföderation anstreben. Dann, so seine Vision, seien viele Irritationen, die aus einer unterschiedlichen Betrachtung und Mentalität resultierten, nicht mehr ein tägliches Ärgernis. Dass er dann, vor allem in Bezug auf Bayern, die neue südliche Union als Habsburger Klüngel bezeichnete, gehörte zu dem geringen polemischen Anteil seiner Ausführungen.

Die Affäre um das Kirch-Imperium, die mysteriösen Tode lokaler Prominenter, Justizskandale wie der um Gustl Mollath, die abenteuerlichen Unternehmensgeschichten wie die einer alpinen Bank, mit der Milliarden verbrannt wurden und nun der Fall um den Bayernpräsidenten Uli Hoeneß weisen schon auf etwas hin, was aus anderen Ländern der Republik betrachtet in hohem Maße befremdet. Nicht, dass es nicht ausgewachsene Affären, Skandale und selbst verursachte Katastrophen auch in anderen Teilen der Republik gäbe. Aber, betrachtet man sie näher, ob es die Elbphilharmonie, der Berliner Flughafen, Stuttgart 21 oder die Duisburger Love Parade sind, allen gemein sind politische Friktionen, die etwas mit einem Wertewandel zu tun haben und eine Planungsüberforderung der Politik in Zeiten explosiver Komplexität. Das ist aber nicht das, was das Phänomen Bayern ausmacht.

Wie kaum woanders herrscht dort seit dem Anschluss an die Republik ein Einparteiensystem, nicht erzwungen, wohl bemerkt. Innerhalb dieser herrschenden Partei hat sich eine Nomenklatura herausgebildet, die Schlüsselpositionen in Wirtschaft, Politik, Sport, Verwaltung und Justiz innehat. Dieser Münchner Zirkel ist der geschäftsführende Ausschuss der tatsächlichen Bayern AG, die zunächst gar nichts mit der gleichnamigen des FC Bayerns zu tun hat, sondern von ihrem Selbstverständnis aus auf kurzem Wege die Geschicke des Landes betreibt. Der Slogan, dem diese Nomenklatura folgt, ist das bekannte Mia san mia. Das, was dieser Zirkel tatsächlich gestaltet, ist weder durch ein Mandat gedeckt noch für die Öffentlichkeit transparent. Hinweise aus dem jüngsten Prozess wegen Steuerhinterziehung weisen auf Verbindungen, die nicht Gegenstand der Ermittlungen waren, deren Enthüllung aber Aufschlüsse geben könnten auf die Geschäftspraktiken der gesamten Nomenklatura. Derartige Ergebnisse wären allerdings kurz vor den bevorstehenden Kommunalwahlen brandgefährlich für die Einheitspartei.

Der verurteilte Hoeneß nahm das Urteil an und opferte sich vermutlich damit für die Diskretion dieser Nomenklatura. Dafür bekommt er jetzt Respektbezeugungen von allen Seiten. Nun ja. Solange die Medien mitspielen, die das Wort der kritischen Investigation nicht einmal mehr buchstabieren können, ist die Welt wieder in Ordnung. Und noch ein Schmankerl am Rande: In München steht nach der langen Amtszeit des Christian Ude auch ein neuer Oberbürgermeister zur Wahl. Kapitale Kandidaten sind ein Sozialdemokrat und einer der CSU. In der Münchner Tradition wäre der Sozialdemokrat der Favorit. Diesen Bonus hat dieser allerdings eingebüßt, weil er, notabene, eine Einladung des FC Bayern zum Endspiel der Champions League nach London angenommen hatte. Ob der Verein dem Kandidaten der CSU auch ein solches Angebot gemacht hat, stand bei Redaktionsschluss noch nicht fest.

Oberschichtenkriminalität

Nun haben wir wieder eine schöne, emotional aufgeladene Symboldiskussion. Es geht nicht um klare Gedanken und Sachverhalte, sondern um emotionale Zonen und intellektuelles Niemandsland. Der „Fall“ des Bayernpräsidenten ist nur insofern interessant, als dass er in beeindruckendem Maße das vorexerziert, was die meisten hierzulande eben nicht zu Staatsbürgern im modernen Sinne macht.

Dadurch, dass eine Person des öffentlichen Lebens, die sich nicht nur gerne mit dem Erfolg, sondern auch mit einem hohen moralischen Anspruch geschmückt hat, nun als krimineller Vergehen schuldig herauszustellen droht, hat eine Debatte entfacht, die mit dem Sachverhalt nur noch wenig zu tun hat. Da werden plötzlich Sympathien und Antipathien für oder gegen einen Fußballverein mobilisiert, da werden Kritiker des kriminellen Verhaltens als Hasser und Schlammwerfer diskriminiert, aber die staatsbürgerliche Räson, die bleibt auf der Strecke.

Letztere muss in erster Linie muss nur betonen, dass vor dem Gesetz alle gleich sind. Und sie muss klären, ob es Sinn macht, sich einer unterschiedlichen, inkonsistenten Logik hinsichtlich verschiedener Strafdelikte zu verschreiben, weil der Staat Geld braucht. Keine Diebin und kein Dieb, keine Räuberin und kein Räuber und keine Mörderin und kein Mörder können sich mit einer Selbstanzeige exkulpieren. Es wäre auch ein Skandal für jedes Rechtsempfinden. Die Ausnahme für den Steuerbetrug, die aus dem 19. Jahrhundert stammt, muss schlichtweg revidiert werden.

Was aus der Perspektive der Staatsräson so einfach aussieht, wird aus der der Emotion zu einem Gemisch aus Ressentiment und intellektuellem Desaster. Der Schlüssel zu dieser sanguinischen Aufladung liegt an der moralisierenden, moralistischen Chiffrierung von Hoeneß´ Handlungsweisen. Wer moralisiert und fällt, fällt bekanntlich tief. So gesehen, sind wir momentan Beobachter des Falles Wulff, Teil II.

Und das wäre alles gar nicht so tragisch, wenn es nicht etwas andeutete, was die Republik noch schwer wird erschüttern können. Hinsichtlich der Eliten und ihres Verhaltens beginnen wir es mit einem Massenphänomen zu tun zu bekommen. Es geht nicht nur um Sonderinteressen in der Schulpolitik, um die Privilegierung des eigenen Stadtteils oder die Steuermillionen, die in Form des Kulturetats den Oberschichten nahezu exklusiv zugutekommen, sondern es geht um eine Massenflucht der Elite aus dem Solidarpakt der gesamten Gesellschaft. Es hat sich ein Egoismus etabliert, der durch keine Form der punktuellen Wohltätigkeit kompensiert werden kann.

Das einzige Mittel, das die Gesellschaft hat, um der Tendenz der Entsolidarisierung Grenzen zu setzen, ist das Gesetz. Dieses in dem historischen Kontext, in dem wir uns befinden, relativieren zu wollen, ist nicht nur unverantwortlich, sondern auch lebensgefährlich. Gleiches für Gleiches und die Gleichheit vor dem Gesetz ist das Mindeste, was zu fordern ist.

Das Recht allein und seine Anwendung jedoch werden nicht ausreichen, die moralische Erosion der als Moralisten durch die Welt krakeelenden Elite aufzuhalten. Ihre gesellschaftliche Ächtung wird wohl kommen, aber nur, wenn sich auch diejenigen, die rechtskonform und vorbildlich handeln, endlich die Courage aufbringen, die Luftikusse aus dem eigenen Lager zu kritisieren. Ein anderes Kapitel sind die Moralisierer per se. Von ihnen wimmelt es in der gegenwärtigen Politik. Werden sie ähnlich entlarvt wie gegenwärtig der Bayernpräsident, dann rauscht das gesamte politische System in eine Existenzkrise.