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Prognosen: die süßeste Form der Rache

Es ist erstaunlich. Alles, was in diesen Tagen und zu diesem Anlass an Ansichten, Meinungen, Analysen, vermeintlichen Gewissheiten und Spekulationen geschrieben und aufgenommen wird, war schon einmal da. Ob in den Nachrichtensendungen, den politischen Journalen, in allen möglichen Diskussionsrunden, in den Predigten von der Kanzel und im Wort zum Sonntag: Appelle an die Vernunft, Klagen, über die Boshaftigkeit der Welt im Allgemeinen, über die Unbelehrbarkeit des Menschen im Besonderen und bestimmter Artgenossen im Spezifischen, das Beteuern der Fragilität der menschlichen Existenz und der Entwurf von Szenarien, die den unvermeidlichen Untergang schmücken werden. Manche derer, die da kommentieren, schluchzen förmlich laut auf und andere, von denen es nicht wenige gibt, ergötzen sich an den verschiedenen Versionen des Untergangs, als handele es sich jeweils um eine lang ersehnte Erlösung mit dem kleinen Preis höchst möglichen Schmerzes. Und wiederum andere Kommentatoren des Zeitgeschehens werden nicht müde, die tatsächlichen oder nur gefühlten Bedrückungen als Notwendigkeiten auf dem Weg zur Erlösung zu sehen. Denn diese steht genauso vor der Tür wie die sprichwörtliche Hölle auf Erden. Auch das Paradies ist nicht fern. 

Es sollte beruhigen, dass beide Varianten, die des Untergangs wie die der Befreiung, immer dann Hochkonjunktur haben, wenn sich die Verhältnisse ändern. Wenn die Krise, als Chance wie als Verhängnis, von den Menschen und ihren Ordnungen Entscheidungen verlangen, weil es so, wie es für einen bestimmten Zeitraum war, nicht mehr weitergehen kann. Da reichten mal kleine technische Erfindungen und mal waren es große, blutige Revolutionen, die die Zustände nicht mehr so zuließen, wie sie sich eingerichtet hatten. Und dann tauchten sie alle auf, die Untergangsphilosophen wie die Heilsbringer. Und zumeist erging es ihnen so, wie sie es prophezeit hatten. Manche endeten auf dem Scheiterhaufen und andere im Götzentempel. Die Verhältnisse hingegen, die aus dem Tumult entstanden, waren da weitaus rationaler und ohne großes Pathos. Vieles wurde ohne großes Aufheben gelöst und anderes, was vorher als Unglaublichkeit gefürchtet war, interessierte plötzlich nicht mehr sonderlich. 

Wenn aus dem, war wir momentan an Erhitzung in der einen wie der anderen Richtung erleben, ein Schluss gezogen werden kann, dann ist es, dass es eine typische Erscheinung in Krisenzeiten ist, die emotional das hochspielt, was sich zu einem späteren Zeitpunkt, wenn die Kühlung eingesetzt hat, ganz pragmatisch lösen lässt. Oder, um einen Umkehrschluss nicht außer Betracht zu lassen: alles, was derzeit als kochend heißes Problem beschrieben wird, wird sich in nächster Zeit nicht lösen lassen oder ändern. Und alles, was schon lange als problematisch beschrieben wurde, aber von der Hitze aktueller Fragen überstrahlt wird, ist kurz vor der Möglichkeit einer vernünftigen Lösung. 

Noch eine Schlussfolgerung? Ja. Lasst die Schreier schreien, lasst sie Hölle wie Paradies versprechen. Es wird nichts mit dem zu tun haben, wie eine von Menschen gemachte Zukunft aussehen wird. Betrachten Sie das als ein Theaterstück zum Ende der wabernden Wechsel. Und sehen Sie zuversichtlich in die Zukunft. Nicht nur die Rache ist etwas, um eine alte sizilianische Weisheit zu zitieren, das man eiskalt serviert. Die Lösung heikler Fragen ebenso. Es ist die süßeste Form der Rache.