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Warum Voltaire?

Als man vor einigen Jahren bei der National Library in Washington beschloss, auch alles für die Nachwelt zu speichern, was auf Twitter geäußert wurde, war für manchen Spott gesorgt.  Viele derer, die zum Lager der Kritik gehörten, sprachen von Trash, Müll, der es nicht wert sei, der Nachwelt überliefert zu werden und man verwies zudem auf die enormen Kosten, die der dadurch benötigte Speicherplatz verursachen würde. Was spontan als ein durchaus vernünftiger Einwurf gelten kann, ist bei näherer Betrachtung jedoch zu kurz gedacht. Das vielleicht gravierendste Argument gegen eine solche Position ist bereits mehr als eineinhalb Jahrhunderte alt und wurde von einem Mann geliefert, der seinerseits in wilden Zeiten lebte, in denen auch so mancher Unsinn gezwitschert wurde. Es handelt sich um Heinrich Heine, der die Wirren und absonderlichsten Diskussionen in seinem Pariser Exil hautnah miterlebte, immerhin der Stadt, die zu seiner Zeit den Ruf der globalen Metropole genoss. Heine sprach bei allem, was er selbst an Äußerungen, Positionen und Meinungen wahrnahm, als von einer Signatur der Zeit. Einer Art Stempel, der dokumentierte, wie die Menschen in einem historischen Kontext dachten und fühlten. Wie, so muss man auch aus heutiger Sicht zustimmen, kann man auf diese Signatur verzichten, wenn man die heutigen Zeiten einmal verstehen will?

Betrachten wir das, was ganz aktuell in den verschiedenen Medien, ob in den selbsternannten Qualitätsorganen oder durch die subjektivsten Einwürfe in den sozialen Medien das Licht der Welt erblickt, so können wir viel Emotion orten, die immer gepaart ist mit Verletzung und Aggression, wir registrieren Feindbilder und Sündenböcke, wir erblicken sehr viele Allerweltsweisheiten und so manches Zitat, von dem man tatsächlich den Eindruck hat, dass es die große Unsicherheit, in der wir uns befinden, sehr gut auf den Punkt bringt oder sogar mögliche Wege aufzeigt, wie man wieder da herauskommen kann.  Die so genannten großen Geister der globalen Philosophie haben da ihren Platz, ob Konfuzius, Platon oder Sophocles, wir finden Räsonnements über den Umgang mit Macht, wie bei Machiavelli und Geister der aufgehenden Moderne wie Nietzsche. Alles gut und alles richtig. Aber, das muss gesagt werden, außer dass es eine Signatur der Zeit ist, in unruhigen Zeiten die Leuchttürme der Vergangenheit anzuzünden, sagt das alles nichts aus.

Mit einer Ausnahme. Ein Name taucht immer wieder mit einem Zitat auf. Und immer trifft es das, was eine große Mehrheit der Menschen als bitteres Defizit unserer Tage auszumachen scheint. Damit ist das gemeint, was wir als gesellschaftliche Substanz eines demokratischen Modells ansehen. Seine Säulen werden brüchig und stürzen ein. Und der Name dessen, der in diesem Kontext immer wieder auftaucht, steht für den Bau dieses semantischen Gebäudes. Es ist Voltaire. Er trifft den Nerv unserer Tage, er katapultiert uns in die Zeit, in der die Fundamente für das angelegt wurden, auf das wir uns über Generationen berufen haben. Wenn es eine personifizierte Signatur für das gibt, was wir heute vermissen und was nahezu systematisch absurderweise von jenen eingerissen wird, die glauben machen wollen, sie würden es verteidigen, dann ist es Voltaire. Der Mann aus dem Pariser Pantheon. Er ist die Signatur unserer Zeit. Mit ihm ist die Krise zu dechiffrieren.   

Warum Voltaire?

Facebook, Twitter und demokratische Institutionen

Die Mickey Mäuse der kontemporären Meinungsindustrie arbeiten fleißig an der Illusion. Sobald irgendwo auf der Welt ein Herrscher stürzt, blinzeln sie in die schnell aufgestellten Kameras und erklären den längst überfälligen Sturz als das Werk der neuen Social Networks. Vor allem die Posts der Widerständler auf Facebook haben dabei einen hohen Stellenwert. Wer da was unter welchen Umständen ins Netz gestellt hat, ist nicht unbedingt zu ermitteln. Das spielt in derartigen Situationen auch keine Rolle. Das andere Medium, das die Schnipsel in den Äther jagt, die erforderlich sind, um das Puzzle zu vervollständigen, ist Twitter. Schöner geht es nicht, denn wie bei einem Gesellschaftsspiel können sich die Schlauen einen Volltext erstellen, der plausibel erscheint. Die Generation Facebook, so die Botschaft, wirft die Ungerechten dieser Welt vom Sockel.

Und tatsächlich sind genau die taktischen Vorteile, die Mächtige genießen, die ihre Macht nicht der Demokratie verdanken, mit den Kommunikationsmedien unserer Tage so ziemlich dahin. Ihre alten Monopole auf Funk und Fernsehen nützen kaum noch. Die Vernetzung der an den Protesten beteiligten Individuen ist genauso wenig ein Problem wie die Herstellung einer eigenen Öffentlichkeit, soweit CNN und BBC ein Interesse daran haben könnten. Ist dieses der Fall, dann kann jeder Tweed in jeden Haushalt dieser Welt gelangen. Taktisches Wissen ist keine Macht mehr. Moralische Empörung hingegen wird internationalisiert und fördert einen Prozess zutage, der mittlerweile wie ein Ritual funktioniert. Mit einem kleinen Wermutstropfen. Denn zumeist ist die lokale Empörung über Internationales in den Hochzentren dieser Welt groß, die Mobilisierungskraft gegen Machtmissbrauch in der eigenen Wirkungssphäre meistens gering. Totale Entrüstung gegen einen Polizeieinsatz auf dem Istanbuler Taksim Platz steht einer Nicht-Kenntnisnahme von der rechtswidrigen Einkesselung von Bankengegnern in Frankfurt gegenüber.

Trotzdem: Die durch die Kommunikationstechniken ermöglichte neue Öffentlichkeit ist tatsächlich dazu geeignet, politische Systeme zu destabilisieren, die keine hinreichende programmatische Verankerung in der Bevölkerung haben. Die letzten 15 Jahre sind ein beredter Beleg für diese These. Was allerdings durch diese Medien nicht geleistet werden kann und auch dazu geführt hat, ihre Rolle zu überschätzen, ist die Qualität, die erforderlich ist, um nach einem Sturz etwas Neues aufzubauen. Gerade der so genannte arabische Frühling hat gezeigt, dass sowohl ein Ben Ali in Tunesien wie ein Mubarak in Ägypten die Substanz nicht mehr hatten, um so weiterzumachen wie zuvor. Die Massenmobilisierung und die hergestellte Weltöffentlichkeit haben die Protestbewegung nicht nur davor bewahrt, einfach hingeschlachtet zu werden, sondern auch dazu beigetragen, die Machthaber zu stürzen. Der Zauber hinsichtlich einer Demokratisierung der besagten Länder blieb allerdings aus. Zunächst einmal setzten sich die best Organisierten durch, in Tunesien die islamistische Enahda, in Ägypten die Muslimbruderschaft. Beide Bewegungen sind von ihrer fundamentalistischen Radikalität her weiter von der Demokratie entfernt als die ehemals autokratischen Herrscher.

Facebook und Twitter sind in der Lage, in taktisch zwingenden Situationen eine lebenswichtige Öffentlichkeit herzustellen. Facebook und Twitter können keine demokratische Institutionenbildung ersetzen. Letzteres ist der einzige Weg hin zu einer Demokratisierung von Gesellschaften. Das ist den Oppositionen weder in der arabischen Welt gelungen noch sieht es in der letztlich so viel diskutierten Ukraine danach aus. Der Prüfstein für Demokratie sind unabhängige Parteien, Gewerkschaften, Streik- und Koalitionsrechte, freie, gleiche und geheime Wahlen, Gleichberechtigung von Mann und Frau, der Schutz von Minderheiten und Religionsfreiheit. Und natürlich eine freie Presse. Dahin muss der Kompass zeigen. Alles andere ist Illusion.