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Die zwei Seiten des Schocks: Lassen wir es krachen!

Mit seichter Prosa können gesellschaftliche Krisen nicht überwunden werden. Entweder, den Dingen wird weiterhin der Lauf gelassen, oder es werden harte Eingriffe vorgenommen sein, um das Steuer herumzureißen. Momentan sieht es nicht nach letzterem aus, ohne dass die handelnde Nomenklatura darauf verzichten würde, Szenarien des Horrors zu beschreiben, die eintreten, wenn sie nicht mehr in der Verantwortung wären. Das könnte sogar möglich sein, wenn da nicht die Verantwortung für das gegenwärtige Desaster wäre. Wer die Teufel des Neoliberalismus aus der Box holt und sie jahrelang auf dem Tisch tanzen lässt, hat sein Recht auf Regie verwirkt.

Bis auf die Handelnden haben das immer mehr Menschen gemerkt. Es führt zu der kuriosen Situation, dass sie sprechblasenartig ihr abgelaufenes Kredo in die Aufnahmegeräte sprechen, während die sich Abwendenden zumindest bei Wahlen zum Teil noch auf die Therapie des Schocks setzen. Der Schock kann tatsächlich Heilungsprozesse in Gang setzen, vorausgesetzt, der zu betrachtende Organismus ist in Bezug auf die eine lokale Schwächung noch in Ordnung. Bei der durchgängig zu beobachtenden Morbidität des Systems kann der vermeintliche Schock auch endgültig letal wirken. Um es deutlich zu sagen: Wer jetzt auf rechtsradikale Alternativen setzt, ist dabei, endgültig die Klospülung zu ziehen.

Das Dilemma, in dem sich das Gemeinwesen befindet, besteht in der Unfähigkeit der alten, etablierten Akteure, eine Gegenbewegung zu organisieren, die aus der fundamentalen Kritik heraus in der Lage wäre, die Verhältnisse grundlegend zu ändern und damit die Situation zu verbessern. Gemeint sind vor allem die Parteien, von denen, außer dem Schock-Ensemble, das sich momentan im Aufwind befindet, keine den Eindruck macht, als könne sie den gewaltigen Unmut noch in konstruktive Politik verwandeln.

Die CDU erscheint nur noch als ein Konsortium des Apparats, die SPD rennt bei abnehmendem Gewicht jeder Mode hinterher und weiß nicht mehr, woher sie kommt, die Grünen profitieren von der Angst eines Öko-Kollapses und paktieren mit den schlimmsten Verursachern, die FDP fährt gegenwärtig die Rendite der eigenen Ideologie ein und die Linke inszenierte gerade zu dem Zeitpunkt, zu dem sie sich hätte profilieren können, ein Stück über Intrigantentum und Opportunismus, das auch im berüchtigten Hotel Lux zu Moskau hätte aufgeführt werden können.

Wenn die Parteien es nicht richten, stellt sich die Frage, wo und wie die notwendige Aktion der Veränderung organisiert werden und zu einer politischen Stimme wird geformt und erzogen werden kann? Vielleicht bilden die neuen Foren der Vernetzung, real wie virtuell, eine neue Perspektive für einen zeitgemäßen Syndikalismus. Es geht um die Organisation politischer Willensbildung genau dort, wo Menschen arbeiten und kommunizieren. Das, was dort geschieht, wird bereits heute multipel verbunden. Was noch fehlt, ist die Politisierung aller Lebenswelten. Es mangelt nicht an organisatorischer Fähigkeit, sondern an politischer Aufklärung und Willensbildung. Vielleicht sollten wir es den digitalen Syndikalismus nennen?

Daher ist es das Subversivste und damit auch Konstruktivste, in die überall schwebenden Ballons der ideologischen Seichtheit und der als cool etikettierten Interessenlosigkeit zu stechen. Es muss laut knallen, damit Bewegung in die Köpfe kommt. Der Schock ist in dieser Hinsicht ein gutes Mittel. Aber er darf nicht diejenigen entsetzen, mit denen sowieso nichts mehr zu erreichen ist, sondern er muss jene aktivieren, die in der Lage sind, etwas Gutes zu entwickeln und etwas Vernünftiges zu gestalten. Der Schock darf sich nicht gegen das Versagen der etablierten Parteien richten, denn das wäre vergeudete Energie. Er muss sich gegen die Lethargie in den Köpfen derer richten, die durch die Seichtheit des Konsumismus in einen Trancezustand verfallen sind. Lassen wir es krachen!