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Die Parabel als Notwendigkeit der emotionalen Kühlung

Angesichts der oft hitzigen und teils überhitzten Diskussionen, die aus den heißen Botschaften der medialen Welt gespeist werden, stellt sich die berechtigte Sorge nach dem Verbleib kühler Rationalität ein. Letztere kommt immer mehr zu kurz, das Tempo und die Emotion bestimmen unsere Diskussionen. Und dieses, obwohl wir vor vielen Fragestellungen stehen, die richtungsweisend und von großer strategischer Bedeutung sind.

In den frühen Jahrzehnten des letzten Jahrhunderts, als das Theater noch stand für einen Ort, an dem das Geschehen dargestellt und reflektiert wurde, platzierte der Dramaturg und Stückeschreiber Berthold Brecht mit seiner Theorie der Verfremdung eine Strategie der Inszenierung, die bewusst Kühle und Distanz schuf, um das Wirken der Ratio zu begünstigen. Unter der Überschrift der Parabel komponierte er alltagstypische Handlungen, die entweder geographisch, kulturell oder historisch weit genug entfernt waren, um nicht gleich die typischen Reflexe der Betroffenheit und Parteilichkeit der Betrachtenden auszulösen. So ließen sich diese zunächst auf die Handlung ein, um nach und nach die Parallele zum eigenen Sein zu entdecken. Vom Kaukasischen Kreidekreis, über den Guten Menschen von Sezuan bis hin zum allseits bekannten Surabaya Jonny schlich sich vor dem Hintergrund der Exotik Vernunft in den gesellschaftlichen Diskurs. Das Ferne hatte sehr viel mit den eigenen Problemen zu tun, wurde aber nüchternder diskutiert.

Die in dem Kleinen Organon zum Theater von Berthold Brecht fest gehaltenen Überlegungen sind heute nach wie vor lesenswert. Zum einen geben sie noch weitere Einblicke in sein Konstrukt der Entfremdung, zum anderen verdeutlichen sie noch einmal den so genial intendierten Effekt der Rationalisierung. Für uns, die wir als einzigem Effekt fast ausschließlich der medialen Überhitzung ausgesetzt sind, wäre es in hohem Maße spannend, aus pädagogischen und didaktischen Erwägungen die Parabel wieder zu entdecken.

Nicht selten wird die Parabel auch als Lehrstück bezeichnet, weil sie offensichtliche Unwahrscheinlichkeiten, die sich in der emotionalen Wallung nahezu systematisch einschleichen, sofort zu erkennen. Die Distanz scheint genau die Medizin zu sein, die wir brauchen, um zu schärferen Urteilen zu kommen.

Und so wären wir mit der Aufforderung konfrontiert, die stärker werdende Regelungsdichte auf eine Handlung an einem Hofe im fernen China zu verlegen, das Erschleichen von akademischen Graden in ein Land in den Tropen, das Aufbegehren gegen einen neuen geplanten Bahnhof in das ferne Alaska oder die exterritoriale Tötung eines internationalen Terroristen in die Ära der Kreuzzüge. Wir sollten die Geschichten aufschreiben und uns im Verlauf des Niederschreibens fragen, was wohl dort in der Ferne die logischen Reaktionen und Argumente wären und wie sich korrumpierte und weise Völker in der einen oder anderen Situation entschieden. Das wäre spannend und erkenntnisreich, und, die Prognose sei gewagt, in den meisten Fällen auch verblüffend.