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The German Angst

Gesichter sagen alles. Macht einen Spaziergang durch die Welt. Und dann kommt wieder zurück. Ihr werdet feststellen, dass es große Unterschiede gibt. Nicht, dass in den unterschiedlichen Regionen dieser Welt das Glück eine weit verbreitete Erscheinung wäre. Überall existieren Probleme, sind Nöte zu verzeichnen und lauern Gefahren. Und dennoch, unabhängig von den Befindlichkeiten einzelner Regionen, hier und dort sind Unterschiede zu verzeichnen, die belegen, dass die Menschen mit ihrer Situation unterschiedlich umgehen. Aus den Augen der einen strahlt Zuversicht, aus denen anderer Unzufriedenheit, teilweise auch Defätismus. 

In Deutschland ist die Bilanz derweil nicht sonderlich ermutigend. Generell, und das sagen Beobachter aus anderen Kulturkreisen, überwiegt eine Physiognomie, aus der tiefer Grimm spricht. Sehen Sie sich die Menschen an, wenn sie unterwegs sind und glauben, unbeobachtet zu sein. Auf dem Weg zur Arbeit, bei der Verrichtung alltäglicher Routinen und selbst bei der Freizeitgestaltung. Selten sind Menschen zu sehen, die in sich hinein lächeln. Was daraus spricht? Die Antwort wäre für viele wiederum sehr einfach. Sie würden wahrscheinlich sagen, dass es die Verhältnisse seien, die keinen Anlass zur Zuversicht geben. Was sicherlich stimmen mag, es ist jedoch nicht die Ursache.

Die Frage, wie ein Mensch durchs Leben geht, hängt in sehr starkem Maße davon ab, welche Perspektive für die Zukunft dominiert. Wer sich nur mit dem Status quo beschäftigt, ist an ein Band gebunden, das auf Erhalt geeicht ist. Alles, was kommt und kommen mag, wird als eine Gefahr betrachtet für diesen Status. Es entsteht eine Übermacht der Ängste. So ist es kein Wunder, dass sich international ein Begriff etabliert hat und die hiesige Befindlichkeit beschreibt: The German Angst. 

Angst, so wissen wir, ist ein schlechter Ratgeber. Sie kann zwar Leben retten, wenn es darum geht, in akuten Gefahrensituationen das Weite zu suchen. Sie kann aber zu einer existenziellen Bedrohung werden, wenn sie sich zum alles überragenden Motto etabliert. Angst ist, was die Planung der Zukunft betrifft, tatsächlich ein schlechter Ratgeber. Sie hält davon ab, an das  Wünschenswerte zu glauben und sich das Unmögliche vorzustellen. Stattdessen ebnet sie den Weg zur Panik und verleitet zu Kurzschlusshandlungen. Diese führen in der Regel, und die Ereignisse der jüngsten Zeit belegen dieses auf eindrückliche Weise, zur Akzeptanz von Maßnahmen, die zwar vorgeben, die Gefahr zu bannen, die von ihrem Wesen allerdings dazu führen, den Zustand der eigenen Entmündigung zu verschlimmern und damit neuen Stoff für die tödliche Droge der Angst zu liefern.

Der Blick in die Gesichter belegt das Dilemma. Angst, Unzufriedenheit und eine tiefe Blockade für befreites Denken überwiegen das Bild. Das tägliche Spiel der Empörung, des Entsetzens und der wütenden Reaktion auf jede Erscheinung, die die Verhältnisse mit sich bringen, hält davon ab, eine Zukunft, die das Lächeln zurückzubringen vermag, frei von Bedenken zu entwerfen. 

Eine ganze Industrie hat sich herausgebildet, die ununterbrochen damit beschäftigt ist, das Spiel der Angst am Laufen zu halten und die Emotionen, die daraus resultieren, zu kanalisieren. Das größere Unterfangen wird sein, diese Industrie stillzulegen und zu beseitigen. Beginnen muss es mit ihrer Ignorierung und Isolierung. Hinsichtlich der Bedeutung von Zuversicht ist das wichtiger als alles andere. Nur wenn der Blick auf die Zukunft frei wird, ungetrübt von Angst, kann etwas entstehen, das die tödliche Starre beendet. 

„Und dann stehen wir auf den Champs-Élysées“

Heute, an einem Sonntagmorgen, nach dem Sport, im Dampfbad, ertönte beim Eintreten aus den wabernden Schwaden gleich eine schrille Ansage, jetzt, so tönte es, geht es im Halbfinale nach Marseille, da wird entweder Frankreich zerlegt oder den Isländern das Licht ausgepustet, und dann stehen wir auf den Champs-Élysées und haben den Triumphbogen fest im Auge. Trotz des aufkommenden Gelächters ließ sich der Sender nicht beirren und fuhr fort, in einer Diktion, die an die alte Landserrhetorik erinnerte, seine Phantasien in den Nebel zu senden. Bei näherem hinsehen entpuppte sich der Militärstratege alle ein etwas älterer kleiner Mann mit verkniffenen eisgrauen Augen, der den Eindruck vermittelte, als stünde er mitten im Leben. Eine Episode, die sicherlich kein Alleinstellungsmerkmal genießt. Der Sieg der deutschen Nationalmannschaft über Italien hat auch wieder jene Kräfte freigesetzt, die zeigen, was tief im Innern immer noch in dem kollektiven Bewusstsein steckt, selbst wenn es um nichts anderes als um ein sportliches Ereignis geht.

Die Weltmachtsphantasien sollten vielleicht einer kleinen Prüfung standhalten und auf Dilemmata hinweisen, mit denen Deutschland immer wieder zu kämpfen hat. Eine Voraussetzung, sich mit anderen zu messen ist immer die, sich seiner eigenen Mittel bewusst zu sein, bevor man sich auf einen Wettkampf einlässt. Im Hinblick auf die zurückliegenden Spiele dieser EM wären da einige taktische Varianten, die zu den bisherigen Erfolgen geführt haben. An ihnen festzuhalten, wäre eine kluge und weitsichtige Entscheidung. Sobald jedoch der Name Italiens auftaucht, scheint sich diese Erfahrung in das große Nichts aufzulösen. Gleich einer großen Wolke scheint dann nämlich regelmäßig das aufzutauchen, was selbst international nicht unzutreffend The German Angst bezeichnet wird. Dann starren die Akteure wie das Kaninchen auf die Schlange und disponieren um. Sie definieren sich und ihr Spiel im überdimensionierten Abgleich zu dem System, das die Italiener spielen.

Trotz schmerzhafter Niederlagen und Erfahrungen tat dieses diesmal auch wieder der Bundestrainer, der sich nicht beirren ließ und die Kaninchenstrategie wählte. Die Folge war ein an Melodramatik nicht zu überbietendes Spiel, das dieses eine Mal jedoch nicht in einer Niederlage endete. Sie war wahrscheinlich und setzte sich deshalb nicht durch, weil in einem aberwitzigen, weil reihenhaft fehlerhaften Elfmeterschießen auch die Italiener einen rabenschwarzen Tag erwischt hatten. Gewinnen hätten beide Teams können, verdient hätte es keines. Denn der Fußball, den sie boten, war von Taktik regelrecht zerfressen. Und wer behauptet, das Spiel hätte für die Zuschauer mehr Gehalt und Spannung gehabt als die anderen vorhergegangenen Spiele, nach denen ein Elfmeterschießen notwendig geworden war, der kam nur zu dem Schluss, weil er emotional betroffen war. Schön war das nicht, fußballerisch exzellent war es auch nicht und, wie es so schön heißt, verdient zu gewinnen hatte es auch keiner.

Aber manchmal reicht es eben, wenn zum Schluss nichts als der Erfolg steht, kalt und leblos, nachdem alle, die sich von diesem Spiel begeistern lassen, mit den Nerven völlig am Ende waren. Ja, das Viertelfinale gegen Italien war ein schlechtes Spiel mit hohem Nervenverschleißcharakter. Daraus nun den Schluss zu ziehen, irgendwer hätte geniale Einfälle gehabt, ist eine jener Täuschungen, die zerrüttete Nerven nicht selten hinterlassen. Nun geht es weiter und die Großmachtsbüchsen sind schon wieder geladen. Solange das im Dampfbad passiert, ist das völlig in Ordnung. Zu mehr besteht nun aber gar kein Anlass.