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Raue Monologe

Calvin Russell. Crossroad

Calvert Russell Kosler, Jahrgang 1948, genannt Calvin Russell, Sohn eines Kochs und einer Kellnerin, geboren in Austin, Texas, Tramp, Jobber, Outcast und Inmate, gestorben 2011 an Leberkrebs, war sicherlich eines der großen Unikate des texanischen Blues. Niemand wie er hatte ein derartiges soziales Umfeld, das sich beschränkte auf Spelunken und Knäste, niemand wie er pendelte so monothematisch zwischen Barhocker und Gitterstab. Der Mann, der soff wie ein Loch und rauchte wie ein Schlot, wagte sich mit 37 Jahren, natürlich während eines Gefängnisaufenthaltes, das erste Mal an eigene Kompositionen. Das Setting des Knastes bestimmte die Authentizität seines Spiels. Mit seiner staubigen, verrauchten und sonoren Stimme intonierte er den Blues der texanischen Steppe, cool, zurück gelehnt, mit schwieligen Händen auf den Stahlsaiten seiner Western Gitarre begleitend, die Angst bereits weit hinter sich, die Erwartung verpufft in der schwirrenden Hitze.

Calvin Russels Aufnahmen mit Band sind gut, teilweise sehr gut, sie geben alles, was der texanische Blues zu bieten hat. Calvin Russell alleine, nur mit seiner Western, das ist ein Ereignis, das so nie wieder kommt. Es ist wahrscheinlich kein Zufall, dass Calvin Russell im Jahr 2010, ein Jahr vor seinem Tod, das nach Robert Johnsons und seinem eigenen größten Erfolg benannte Album Crossroads auf den Markt brachte. Mit dem Stück, das als Epitaph des Blues gilt, als Namensgeber, unplugged, nur Calvin Russell, der Schemel, das Mikro und die Western Gitarre. Live!

Where The Blues Get Born, dem Auftaktstück, setzt gleich den thematischen Rahmen und erklärt die Kongruenz: Dort, auf den staubigen Straßen und in der endlosen Weite, wo sich die Seele im Nichts verirrt, von dort kommt nicht nur der Blues, sondern auch sein Sänger, Calvin Russell. Und was sich wie ein lyrisches und stilistisches Intro gibt, wird zum Auftakt einer dramatischen Reise, von der man sich nicht mehr absetzen will. Ob One Meat Ball, A Crack In Time, Time Flies oder Soldier, die von Russell aus dem Leben in die Stille soufflierten Weisen sind voller Gefühl, wie es nur der Blues zum Ausdruck bringt und ebenso voller Erkenntnisse, die sich, natürlich in der Semantik des Blues, auf die Vergeblichkeit und Vergänglichkeit des herumziehenden Individuums bezieht. Rats And Roaches, die Metapher für uns alle, schwirrt fast herzlos am Horizont, und um Crossroads, den Klassiker, wird erst gar kein Gewese gemacht, wie das nun mal so ist, wenn man immer unterwegs ist und keinen Ort hat, an dem sich Routinen etablieren könnten. Wild Wild West und This Is Your World setzen die Reise fort und beschreiben somit den Mikrokosmos dieses ins Mark gehenden Musikers. Er kam aus Texas, wo er lange blieb, dann ging er nach Europa, wo man ihn mehr schätzte als zuhause und schließlich kehrte er dahin zurück, woher er kam, um mit dem irdischen Dasein abzuschließen.

Crossroads ist ein ans Herz gehendes Goodbye eines knüppelharten Hundes, der die Zähne fletschte, wenn es notwendig war und den Mond anheulte, wenn ihn die Sehnsucht übermannte. Es ist ein rauer Monolog vor dem Tod, harsch und sanft, rhythmisch mit hartem Absatz, elegisch und augenzwinkernd. Ein richtiger Kracher für Männer mit Herz.