Ein kluger Lehrer meinerseits gebrauchte oft die Formulierung „das kann man doch auch einmal so sehen“. Damit vermied er, seinen Schülern zu sagen, dass sie falsch lägen oder etwas nicht bedacht hatten und er ging ebensowenig in die Falle, Partei zu ergreifen. Unseren Diskussionen hat dieser Einwurf oft gut getan. Denn wir lernten, einen Perspektivenwechsel ohne Parteilichkeit zu vollziehen. Übriges etwas, das in unserer durch verbale wie tatsächliche Gewaltexzesse zunehmend kontaminierte Gesellschaft kaum noch vorstellbar ist. Ganz im Gegenteil. Käme dieser exzellente Lehrer heute aus seinem Grab und formulierte seine Anregung, dann wäre er sehr schnell als was auch immer ausgedeutet. Denn Perspektivenwechsel sind per se suspekt. So ist das nun einmal in Kriegszeiten.
Letztere sind vor allem in unserer Gesellschaft geprägt durch den Gedanken, dass die Guten gegen die Bösen kämpfen. Wobei alles, was die Guten tun, durch ihre noble Absicht als akzeptabel und legitim gedeckt ist und alles, was die Bösen machen, den ganzen Frevel ihrer Existenz dokumentieren. Dass sich die Methoden meistens gleichen, vom Mord an Zivilisten, dem Einsatz von Drohnen gegen zivile Ziele, die Nutzung von Streubomben etc., verführt nahezu zu einem Perspektivenwechsel. Man kann es auch einmal so sehen: die Nutzung tödlicher und Qualen verbreitender Mordwerkzeuge sind der beste Garant für eine tödliche Spirale der Eskalation. Je mehr Schmerz verbreitet wird, desto nachhaltiger die Rachlust. Es klingt zwar furchtbar, ist aber leider menschlich.
Man kann es auch einmal so sehen: der aktuelle Schlag gegen die Hisbollah im Libanon, der tausende ihrer Mitglieder sowie Zivilisten tötete, indem Pager oder Walkie Talkies am Körper explodierten, werden momentan von allen, die Israel jegliches Recht auf Selbstverteidigung einräumen, als ein Husarenstück heimlich gefeiert. Es handelt sich dabei tatsächlich um ein Novum der Kriegsführung mit einer hohen Erfolgsquote. Aber, nachdem diese Art nun publik wurde, was passiert, wenn so etwas in unseren Breitengraden vonstatten geht, wenn jemand, der neben einem am Gemüsestand steht, plötzlich in die Luft fliegt, oder wenn der Bundeskanzler, der sein Smartphone zückt, plötzlich nicht mehr ist? Gut, dann wird ritualisiert von feige, hinterhältig und bestialisch schwadroniert. Und warum? Weil es die eigene, gute Seite trifft? Was interessieren da die so genannten Kollateralschäden auf einem fernen Markt in Beirut? Diesen Konnex herzustellen, ist bei Strafe verboten.
Es ist an der Zeit, dass man sich, wenn man den Anspruch einer guten Sache vertritt, ohne Wenn und Aber festlegt: terroristische Akte, und darum handelt es sich, gegen Zivilisten, sind zu bannen. Wer sie duldet oder schönredet, hat das Lager eines zivilisierten Anspruchs verlassen. Unter diesem Aspekt sind wir momentan Zeugen einer konzertierten Aktion terroristischer Propaganda auf Staatskosten und durch Staatsträger. Man kann es auch einmal so sehen: Wie tief sind wir gesunken?
