Als wir zum ersten Mal in Pangandaran waren, einem Küstenort auf der Insel Java, der am Indischen Ozean gelegen ist, gab uns unser damaliger Indonesien-Mentor, Gero von Harder, den Tipp, doch das Tempo Doeloe aufzusuchen. Der Name bezeichnete die alten, vergangenen Zeiten und ich wusste nicht, was ich davon halten sollte, als ich erfuhr, dass das Lokal einem Holländer gehörte. Doch mit dem Betreten des Lokals war sofort klar, dass damit nicht die koloniale Vergangenheit gefeiert werden sollte. Peter IJsseling bot ausschließlich traditionelle Javanische Küche an und der gesamte Staff stammte aus Pangandaran. Mit dem Lokal wollte sich der Holländer, der einfach Land und Leute liebte, eine Existenz schaffen, um in Indonesien bleiben zu können. Doch wie so oft, ist die Idee, Gastronomie zu betreiben und davon leben zu können eine schöne Illusion, vor allem, wenn man nicht vom Fach ist. Denn Peter war Physiotherapeut. Und zwar ein guter wie geschätzter. Und als er einsah, mit seinem Tempo Doeloe nichts verdienen zu können, schloss er den Laden und versuchte es in Indonesien als Physiotherapeut. Das Geld, das er damit verdienen konnte, reichte allerdings nicht und so begann er, für Urlaubsvertretungen in Deutschland und der Schweiz mehrmals jährlich seine sieben Sachen zu packen und mit für javanische Verhältnisse viel Geld jedesmal zurückzukehren.
Ein schönes Haus hatte er bereits, in einem Kampung, wo ausschließlich Bauern und Fischer lebten. Peter sprach ein ausgezeichnetes Indonesisch und seine immer freundliche, respektvolle zu zugewandte Art sorgte dafür, dass er dort, wo er wohnte, gut leben konnte. Hinzu kam, dass er einen javanischen Partner hatte, der aus Pangandaran stammte. Immer, wenn er in den folgenden Jahren in Jakarta zu tun hatte, um Dinge in der niederländischen Botschaft zu erledigen oder Arbeit als Physiotherapeut zu suchen, kam er zu uns. Es war, als käme ein Familienmitglied, wir genossen immer seine Gesellschaft, aßen zusammen, tranken Bintang Bier und hörten Jazzmusik. Peter wusste soviel über unser Gastland, er kannte nicht nur seine Sonnen-, sondern auch seine Schattenseiten. Trotzdem, was immer überwog, war seine Liebe zum Land. Und man sah dem einstigen Taekwondo-Kämpfer zunehmend an, dass er die dortige Küche wohl am meisten liebte.
Einige Jahre, nachdem wir nach Deutschland zurückgekehrt waren, entdeckte ich ihn wieder in den sozialen Medien. Mittlerweile arbeitete er Fulltime als Physiotherapeut in Zürich und fuhr mehrmals jährlich nach Pangandaran, zu seinem Partner und seinem Haus. Er erzählte mir dann, dass er das noch so bis zu seiner Verrentung machen wolle, um dann endgültig zurück nach Indonesien zu gehen. Das realisierte er dann und wir hielten Kontakt. Immer, wenn etwas geschah, von dem er dachte, dass das auch meine alten Kontakte beträfe, informierte er mich und hielt mich auf dem Laufenden. Und fast täglich hatten wir Spaß an den Bildern aus Pangandaran, vor allem jenen aus der Küche, wo täglich ein kulinarisches Fest veranstaltet wurde. Und einmal im Jahr fuhr der Mann aus Delft zurück in seine Heimat zu Pa Piet, seinem uralten Vater, um mit ihm an Weihnachten beim Chinesen Essen zu gehen. Bei seinem letzten Besuch ging er auch in das Viertel, in dem er aufgewachsen war, lief dort die Straßen entlang, besprach die Aufnahmen, die er machte und erzählte, was er als kleiner Junge und Jugendlicher dort erlebt hatte. Und man konnte heraushören, dass er den Blues hatte. Und mir wurde deutlich, dass vieles meiner Jugend glich. Für kurze Zeit schmerzten die Narben des Vergangenen.
Und als führte das Schicksal einmal wieder Regie, geschah es, dass wir, die wir uns momentan in den Niederlanden aufhalten und kurz nach dem Besuch in einem indonesischen Lokal die Nachricht von Shirin, der Tochter von Freunden aus Pangandaran, die heute in Heidelberg lebt, erfuhren, dass Peter plötzlich gestorben ist. Todesursache ungeklärt. Der freundliche Holländer ist, wie die Javaner sagen, vergangen. Jetzt ist Peter IJsseling auch Tempo Doeloe. Jalan berbeda, Jiwa bersama. Die Wege sind unterschiedlich, die Seelen bleiben zusammen.


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