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Heiß und kalt, wahr und falsch.

Marshall McLuhan war es, der sich über die Temperatur und Elektrizität von Nachrichten Gedanken gemacht hat. Seine These, dass das Medium die Botschaft selbst ist, gehört zu dem Kognitiv-Avantgardistischsten, was in den letzten hundert Jahren formuliert wurde. Demnach müssten wir jetzt in einem Zeitalter leben, in dem durch das Tempo der technischen Übermittlung jede Nachricht nahezu kocht. Es ist aber nur auf der einen Seite so, weil der Resonanzkörper der Nachrichten menschlich ist und dort nur das angemessen gewürdigt werden kann, was kognitiv wie emotional verarbeitet werden kann. Und da zuerst der Bauch reagiert, bevor der Kopf sich zu Wort melden kann, ist der Fokus des Journalismus mehr und mehr vom Kopf auf den Bauch gerichtet worden.

Das hat das gesamte Berufsbild des Journalisten verändert. Der kühle Rechercheur, der alles zweimal checkt, bevor er es sichtbar formuliert, der versucht, seine eigene Betrachtung aus dem Geschriebenen herauszuhalten, bevor er es deutlich sichtbar als seine eigene Meinung formuliert, dieser Typus ist nahezu passé. Diese Entwicklung ist nicht unbedingt das Werk böser Geister, sondern ein Gesetz der Ökonomie: Es geht um den massenhaften Absatz von Nachrichten, es geht um Märkte. Und wenn das Entree für diesen Markt die Emotion ist, so ist es logisch, dass das Berufsbild derer, die Nachrichten zum Konsum aufbereiten, ein anderes geworden ist.

Das erste Adjektiv, das seinen Platz im neuen Journalismus bekommen hat, war die mit der Übertragungsgeschwindigkeit einher gehende Geschwindigkeit der Nachrichtenaufbereitung. Schon dort ging die seriöse Recherche unter und es gedieh seitdem die flüchtige Kolportage. Und dann geht es um die Produktion von Emotionen. Emotionalisierung entsteht über Vereinfachung und die direkte Ansprache des Bauchgefühls. Wie das geht, ist nirgendwo sicherer zu beobachten als bei der Bild-Zeitung. Dort sitzen die Meister dieses Journalismus und das Design ihrer Arbeit gilt allen als Blaupause, die schnell große Massen erreichen wollen.

Leider haben sich die öffentlich-rechtlichen Medienanstalten diesem Trend angeschlossen, obwohl sie per Gesetz einen anderen Auftrag hatten. Sie müssen so arbeiten, dass der kühle Verstand die Nachrichten empfängt und in die Lage versetzt wird, sich eine eigene, kritische Meinung zu bilden. Das ist, vor allem bei brisanten politischen Themen und Auseinandersetzungen nicht mehr der Fall. Die Ökonomie obsiegt auch hier über das Gesetz: Es muss alles sehr schnell gehen, worunter die Recherche leidet, es wird dramatisch vereinfacht und emotionalisiert. Dass die beschriebene Vorgehensweise auch mit den wissenschaftlichen Definitionen von Propaganda korreliert, versetzt niemanden in große Aufregung. Es funktioniert ganz nach dem positivistischen Motto, je mehr Klicks, desto größer der Anteil an Wahrheit.

Neben der beschriebenen Entwicklung des Journalismus in Zusammenhang mit der Digitalisierung der Nachrichtenübermittlung ist die Philosophie, die den Zeitgeist repräsentiert wie keine andere, der Positivismus. Er ist nicht der Schlüssel zu neuer Erkenntnis, sondern der letzte Sargnagel zur Verabschiedung von der Wahrheit. Das, was als emotionalisierte Ware Eingang in die menschliche Wahrnehmung findet, aufgrund seiner Massenerscheinung als die Wahrheit schlechthin zu feiern, ist die Todsünde des digitalen Zeitalters.

Wie sich die Gesellschaft mit diesem Phänomen letztendlich auseinandersetzen wird, ist noch nicht entschieden. Fest steht nur, dass der Krieg gegen die Rationalität dahin führen wird, wo das Barbarische dominiert. Es handelt sich hier nicht um ein lässliches Ärgernis, sondern es ist eine Frage zivilisatorischen Überlebens.

Das Spiel mit den Tempi

Die zunehmend schnellere Taktung der Lebensumstände führt zu einer Art Atemlosigkeit in der Reflexion. Die Zeiträume, denen wir uns bei der Betrachtung des Existenziellen widmen, werden immer kleiner, wir drohen abzusinken unter den Horizont von Amöben. Es ist kein Zufall, wie oft die verbriefte Konversation zwischen Tschou En-Lai und Henry Kissinger wiederholt wird. Auf Kissingers Frage, wie der chinesische Außenminister die Wirkungen der Französischen Revolution auf Individuum und Gesellschaft einschätze, antwortete dieser, gerade mal 200 Jahre nach dem Ereignis sei es viel zu früh, darüber zu urteilen. Ein solches Statement gilt im heutigen Dauertrommelfeuer von Trash-Informationen als skurriler Standpunkt oder einfach nur crazy. Das Gegenteil scheint jedoch der Fall zu sein. In einer Zeit, in der Termini wie der der Nachhaltigkeit bis zum Erbrechen auf jede noch so profane Erscheinung appliziert werden, kann der Verweis auf größere Dimensionen, gerade in der Zeit, doch nicht so weit hergeholt sein.

Die Frage, die gestellt werden müsste, ist die, ob wir noch in der Lage wären, genau das mit unserer heutigen Momentaufnahme zu machen, was zu den Grundübungen einer jeden systemischen Beratung gehört. Stellt euch vor, ihr lebt im Jahr 2050 und blickt auf euer Leben im September 2014 zurück. Wie würdet ihr das beschreiben, und was hat sich getan? Wahrscheinlich finge das Elend schon genau da an, weil viele nicht einmal in der Lage wären, sich emotional dieser Aufgabe zu stellen, weil sie nicht aushielten, das, was als unsere Existenz als so leuchtend beschreiben wird, vielleicht als ein Trugbild zu enthüllen. Eine ausgemachte Sinnkrise wäre die Folge.

Die schnelle Taktung ist nicht nur eine Folge der Innovationsdichte, sondern auch die beste Strategie der Vermeidung. Wer keine Zeit hat, der muss auch nicht nachdenken. Die Sachzwänge verhindern die existenzielle Reflexion. Nicht, dass das bloße Denken alle Probleme lösen würde. Aber das Denken in anderen Dimensionen schon. Wer weiß, dass er stirbt und dennoch an eine Zeit jenseits des eigenen Egos denkt, der kommt zu Ergebnissen, die plötzlich das Dasein im Hier und Heute mächtig entspannen. Aber auch das wird als Gefahr gesehen, denn zu Recht ist alles, was die Omnipotenz des Augenblicks negiert, eine Aufforderung zum Ungehorsam gegenüber der Gravitation des Alltags.

Ein Cargo der Kritischen Theorie war die Erkenntnis, dass wissenschaftlich nachgewiesene und technisch machbare Verfahren und Umstände die große Gefahr in sich bergen, dass die Menschen, die sie anwenden, weder die historische Erfahrung noch die soziale Kompetenz haben, um die Dimension ihres Handelns abzuschätzen. Der Preis dafür sind verheerende Schäden, die in der Geschichte natürlich immer erst im Nachhinein bilanziert werden können. Das wird sich nicht ändern. Was aber veränderbar ist, ist die Erweiterung der zeitlichen Dimension bei der Abschätzung dessen, was wir heute tun. Wer in Jahrhunderten denkt, erweist sich selbst und der Menschheit einen großen Dienst.

Hochfrequenz und schnelle Taktung sind Phänomene, die bei technischen Prozessen wie bei politischen Revolutionen adäquate Mittel sind, um zum Ziel zu kommen. Das Spiel mit den Tempi, die Auszeit, die Weitung des Horizontes sind hingegen Dimensionen, die von denen beherrscht werden müssen, die davon ausgehen, ihre eigenen Handlungen bewusst zu gestalten. Wer diese Metiers nicht kennt und sie nicht erlernt, bleibt getrieben. Wer den Wettlauf mit der Zeit glorifiziert, ist einer grandiosen Täuschung unterlegen.