Nein, bitte keine terminologische Eskalation! Hört man in den Wald der Nachrichtensender und der digitalen Foren, dann lauert der Faschismus überall. Und, obwohl er sich in einer neuen, zeitgenössischen Form längst wieder etabliert hat, ist es nicht hilfreich, wenn der Begriff wieder bemüht wird. Sowohl die offiziellen Vertreter der Bundesrepublik Deutschland benutzen ihn, um jegliche Form der Opposition zu beschreiben als auch die verschiedenen Fraktionen der Opposition selbst, um die Entwicklung der viel gepriesenen liberalen Demokratie zu benennen, die von Doktrinären und Kriegseiferern gekapert worden ist. Da ist von Tarnkappen- oder Kryptofaschismus die Rede, aber was hilft es?
Ein altes Sprichwort besagt, dass man sich anschauen müsse, mit wem jemand befreundet ist, um Aufschluss darüber zu bekommen, mit wem man es zu tun hat. Die Klugheit dieser Sichtweise ist unbestritten. Und wenn man dazu noch einen Anlass nimmt, der in den Augen derer, die ihn begehen, einen hohen Stellenwert hat, dann kann man schon, bitte verzeihen sie die Formulierung, relativ gesichert eine Aussage über den Charakter der zu beobachtenden Figuren treffen.
Der 8., und der 9. Mai sind ein solches Datum, an dem man im Osten wie im Westen an das Ende des II. Weltkrieges gedenkt. Dass dieses Datum besonders mit der Rolle Deutschlands verbunden ist, liegt an dem Ansinnen, sich die Welt mittels militärischer Gewalt untertan machen zu wollen. Und dass der Tag als einer der Befreiung gefeiert wird, ist das Ergebnis einer Koalition, in der die einzelnen Mitglieder unterschiedlich hohe Preise bezahlt, aber für eine gewisse Zeit an einem Strang gezogen haben, um das Ungeheuer aus deutschen Landen zu bezwingen. Den höchsten Preis mit mehr als 25 Millionen Toten zahlten die Völker der Sowjetunion und dass die Allianz erst so richtig nach den Kämpfen um Stalingrad, in der die Niederlage Deutschlands besiegelt wurde, zustande kam, sollte, wie so vieles aus diesem Krieg, nicht vergessen werden.
Heute, achtzig Jahre nach der Kapitulation Deutschlands, feiert man in Moskau diesen Tag, der entscheidend ist für das nationale Selbstverständnis Russlands. Weder Napoleon noch Hitler konnten Mütterchen Russland bezwingen. Und, auf der anderen Seite, reiht sich die westeuropäische politische Elite in Feierlichkeiten in der Ukraine ein, um zusammen mit ehemaligen Kollaborateuren der deutschen Wehrmacht den Tag zu begehen.
Ja, seit dem 8. und 9. Mai 1945 haben sich viele Dinge ereignet, die einstigen Verbündeten wurden Konkurrenten und Konfliktparteien, Deutschland immer als Geisel irgendwo dazwischen und mental immer gespalten. Ein Teil traumatisiert durch den russischen Sieg, ein anderer traumatisiert durch die amerikanische Befreiung. Egal, wie man es betrachtet, es sieht so aus, als ob ein eigener, souveräner und an Frieden und Wohlstand orientierter Weg mit der durch das ganze Drama ramponierten deutschen Psyche nicht zu machen gewesen ist. Es gab erfolgreiche Versuche, aber die sind bereits Geschichte.
Heute befinden wir uns, wie bei einem dieser hirnlosen Brettspiele, wieder an dem Punkt, wo alles noch einmal losgehen und wiederholt werden soll. Der Ungeist, die Barbarei und die Vorstellung, erfolgreich zu sein, wenn man andere zerstört, werden im öffentlichen Diskurs als ultima Ratio gehandelt. Dass der Ausgang dieser Phantasie zu einer verheerenden Niederlage nicht führen kann, sondern führen wird, ist ausgemacht. Weder Rom noch die Alliierten haben es vermocht, die Barbarei aus diesem Land zu vertreiben.
