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Die Schule der Koexistenz

Die wahre Schule einer Koexistenz von unterschiedlichen Menschen, Gruppen oder Staaten ist hart. Sehr hart. Es ist das ungeschützte Aufeinandertreffen von Subjekten, die wenig mitbringen, womit sie sich kollektiv identifizieren könnten. Das Wenige jedoch ist essenziell für eine gemeinsame Zukunft. Der Unterschied ist es nicht. Er wird bleiben. Und er wird vielleicht irgendwann erkannt als ein willkommenes Element von dem, was die Gemeinsamkeit ausmacht. Dass nämlich ein Ensemble mit unterschiedlichen Fähigkeiten, Fertigkeiten, Betrachtungsweisen, Temperamenten und Tempi mehr bewirken kann als eine weitgehend uniforme Formation. 

Bis dahin ist es ein langer Weg. Das Aufeinandertreffen des jeweils Fremden bedeutet zunächst Bruch, Irritation, Erregung und Reibung. Es endet womöglich im Desaster, solange es nicht gelingt, das Gemeinsame in den Blick zu bekommen. Vulgär gesprochen ist das Gemeinsame eine Strategie, unter der sich die Diversität als Entwicklungspotenzial subsumieren lässt. In der Organisationsentwicklung läuft so etwas unter dem Terminus der Teamentwicklung. In kleinen Organisationen sind die Ziele häufig eindeutig. Ein oft gelingendes Beispiel ist der Mannschaftssport. Da ist ein erfolgreiches Kollektiv das Ziel und Quelle des Erfolgs. 

Ein häufig auftretendes Hindernis bei einer Strategie, zu der ein erfolgreiches Ziel gehört, ist die Dominanz von Partikeln, die die Synergie als Störung empfinden und die Konkordanz als Demontage ihrer vermeintlichen Machtposition verstehen. Ein anderes ist die Überbetonung der Bedeutung einzelner Teile, die als das jeweilige Juwel des Ensembles verstanden werden sollen. 

Der Erfolg besteht in einer Strategie, ohne die nichts geht und einem Gemeinsinn, der die Basis des Gelingens ausmacht. Die Philosophie ist, dass unterschiedliche Fähigkeiten in einer gewissen Harmonie zu einem Ziel führen können. Um die Strategie zu entwickeln und zu formulieren, dazu bedarf es eines Blickes und Interesses über einen längeren Zeitraum, vielleicht sogar der eigenen Existenz hinaus, der nicht bricht, wenn es vereinzelte Rückschläge gibt. Und es sind Menschen und Organisationen erforderlich, die den Bildungs- und Formungsprozess gestalten und moderieren. 

Ist beides nicht vorhanden, befindet sich das soziale Gefüge in einem Kleinkrieg für jedermann. Da treffen die verschiedenen Charaktere und Potenziale als konkurrierende Systeme aufeinander, und sie begreifen die Möglichkeit ihres eigenen Fortbestands ausschließlich in der Vernichtung der vermeintlichen Konkurrenz. 

Daher ist es von existenzieller Bedeutung, eine Strategie zu entwickeln und an einer Professionalität zu arbeiten, die mächtig genug ist, die einzelnen Entwicklungsschritte zu begleiten. Scharfer Verstand, ein unbändiger Wille und ein überaus langer Atem sind dazu genauso erforderlich wie die Fähigkeit, schmerzhafte Schläge einzustecken und dennoch nicht ins Ressentiment zu fallen. 

Das ist nicht einmal leicht gesagt, und noch schwerer zu machen. Aber es ist der Weg, der gegangen werden muss. Und wer in der operativen wie methodologisch profanen Ebene weiter wursteln will, der möge dies tun. Erlösung wird er nicht finden. Und Abhilfe schafft das nicht. Nur Scherben. Und es sind nicht die des Glücks.     

Heinrich von Kleist und die systemische Beratung

Das Schöne an der Menschheit ist ihre Vielfalt. Ausgehend von einer nahezu unendlichen Diversität ist es dennoch erforderlich, sich an bestimmten Typologien zu orientieren, wenn es darum geht, Organisationen am Laufen zu halten, Teams und ihre Dynamiken zu begreifen und unterschiedliche Interessen von Konsumenten, Produzenten oder Wählerinnen und Wählern zu identifizieren. Die Versuche der Typologisierung gehen ebenfalls ins Unendliche und reichen von sehr formalen Kriterien bis hin zu Charakterisierungen. Wer kennt sie nicht, die Choleriker oder die Romantiker, die Melancholiker und die Rampensäue. Immer wieder, ganz im Sog des jeweiligen Zeitgeistes, tauchen neue Muster auf, die sich besonders gut vermarkten lassen. Fest steht jedoch, dass, wenn sie intelligent definiert sind, sie in der Lage sind, Aufschlüsse zu vermitteln über soziale Gebilde, in denen die Menschen unterwegs sind.

Es ist müßig, sich mit Kategorisierungen zu beschäftigen, die eher Klischees bedienen und eine Welterkenntnis beinhalten, die ihrer Komplexität längst nicht mehr gerecht wird. Also ist es ratsam, nach möglichst einfachen, weitest gehend anwendbaren und der Entschlüsselung des sozialen Wirkens maximal zuträglichen Begriffen zu suchen. Das ist schwer und leicht zugleich, denn historisch haben sich bereits kluge Geister an derartigen Vorhaben versucht, und eigenartigerweise wurden die nahezu genialsten Vorschläge von der Gesellschaft nicht aufgegriffen. Andererseits sind heutige Untersuchungen aus Soziologie und Sozialpsychologie ebenfalls sehr hilfreich, weil sie Wirkungszusammenhänge identifizieren, die nahezu Universalcharakter im Zeitalter der Moderne haben.

Eine grandiose Entschlüsselung liefert zum Beispiel der ehemalige preußische Offizier und Großmeister der deutschen Sprache Heinrich von Kleist. In nachgelassenen Notizen findet sich eine Dichotomie der menschlichen Weltwahrnehmung: Diejenigen, die die Welt in Form von Formeln verstehen und diejenigen, die sie aus Metaphern lesen. Da ist mit einem Federstrich das Grundproblem der Moderne identifiziert, die Linie zwischen Philosophie und Technokratie, zwischen Wissenschaft und Kunst, zwischen Idealismus und Pragmatismus beschrieben. Und der Vorschlag Kleists, dem wir die vorwärtsstrebende Syntax verdanken, ist überall bis heute verifizierbar. Nehmt sie unter die Lupe, die Artgenossen in der Familie, im Verein, am Arbeitsplatz oder in der Politik, und es wird erstaunen, dass wir es tatsächlich mit einer Kategorisierung zu tun haben, die überall anwendbar ist. Die spannende Frage ist dabei, wo welche Kategorie das jeweilige Sozialsystem dominiert und welche Rückschlüsse auf die daraus resultierende Funktionsweise gezogen werden können.

Und vom Nachlass aus einem der großen Metaphoriker unserer Literatur in die Soziogramme aus der systemischen Beratung ist es ebenfalls ein spannender, weil gewinnbringender Schritt. Dort kursiert eine binäre Typologie, die differenziert zwischen Funktion und Person. Menschen, die sich über die eigene Person definieren, sehen alles durch diese Linse, sie definieren ihre Rolle über Status, Macht und Ansehen, sie zielen mit ihren Handlungen darauf hin, die daraus resultierenden Gewinne wiederum ihrer Person anheften zu können.

Die andere Spezies wiederum definiert sich exklusiv über die Funktion. Sie sehen sich als ein Glied einer sozialen Organisation, in der sie für eine bestimmte Aufgabe stehen. Alles, was sie unternehmen, gilt der Verbesserung der Funktion, der sie ihre persönlichen Vorlieben und Neigungen unterordnen. Auch die Dichotomie von Funktion und Person, ähnlich wie der von Formelversteher und Metaphoriker, ist überaus hilfreich, um das Wirken sozialer Organisatoren zu verstehen. Kleists Definition bezieht sich mehr auf die individuelle Perzeption der Welt, die aus der Systemik auf die Rolle der Individuen in einem sozialen Gebilde. Sie schließen sich nicht aus, sondern sie ergeben eine wertvolle Synergie in der Lesbarkeit der Welt.