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USA: Das Subversive der Demographie

Trump gegen Biden, Trump gegen Biden, Biden gegen Trump, Biden gegen Trump – betrachtet man die Berichterstattung über den gegenwärtigen US-Präsiidentschaftswahlkampf, so könnte man tatsächlich zu dem Schluss kommen, dass sich alles um diese beiden Akteure dreht. Welche Interessen und Machtverhältnisse sich hinter ihnen verbergen, findet keine Beachtung. Stünden die im Fokus, ließe sich relativ plausibel erklären, warum dort eine Bulldogge gegen einen ausgewiesenen Netzwerker einen Kampf aufführt, der mit den Schulbuchregeln der Demokratie so gar nicht in Einklang steht. Werden die US-Verhältnisse auf diese beiden Figuren reduziert, werden Verschwörungstheorien und absurde Weltbilder in einem Treibhaus des Irrsinns hochgezüchtet. Ein kleiner Perspektivenwechsel kann neue Erkenntnisse hervorbringen.

Da ist zunächst einmal die Demographie. Die us-amerikanische Gesellschaft ist sui generis eine dynamische. Die Einwanderungsgeschichte hat dafür gesorgt, dass starke, veränderungswillige und junge Menschen das Land seit seiner Gründung bereichert haben. Vom Melting Pot bis zur Integrationsmaschine haben Begriffe eine Welt erobert, die – zumindest im atlantischen Westen – als einzigartig zu bezeichnen ist. Die heutige us-amerikanische Gesellschaft, mit einem Durchschnittsalter von 38 Jahren, steht an einem Scheideweg: die klassische weiße Mehrheit schwindet dahin, hoch qualifizierte andere Ethnien stehen bereit, Funktionen in Wirtschaft und Staat zu übernehmen. In der Wirtschaft setzen sich zunehmend Menschen aus der asiatischen Community durch, in der Politik spielen mehr und mehr Latinos und Schwarze eine Rolle. Betrachtet man die Bürgermeisterämter in den großen Städten wie Chicago, Baltimore, Los Angeles etc., so fällt auf, dass dort bereits die weiße Dominanz nicht mehr existiert. 

Unter diesem Aspekt sind sowohl Trump als auch Biden die Abziehbilder einer vergangenen Epoche. Sie symbolisieren eine alte, monetär unglaublich potente, jedoch müde gewordene Elite, die mit Zähnen und Klauen ihre Macht, ihre Privilegien und ihren Einfluss verteidigen will. Und der Schreck, der dadurch verursacht wurde, dass ein „Nigger“ aus Chicago ins Weiße Haus einziehen konnte, saß so tief, dass viele der Bulldogge von der Baustelle ihre Stimme gaben. 

Ein anderer Aspekt ist das Ende vom Ende der Geschichte. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion wurde 1991 dieses Ende ausgerufen und die USA als einzige Hegemonialmacht der Welt gesehen. Die Epoche der unangefochtenen Dominanz dauerte insgesamt ganze 17 Jahre, bis zur Weltwirtschaftskrise 2008. Schwer getroffen, sah sich das Imperium China gegenüber, das die unausgesprochene Herausforderung verkörperte. Seitdem streiten die verschiedenen politischen Fraktionen in den USA darüber, welche Rolle das Land in der Zukunft einnehmen solle.  Präsident Obama hat, sehr unglücklich, versucht, einen Justierungsprozess einzuleiten. Ob dabei die Erkenntnis leitend war, die Supermacht per Se zu bleiben, oder eine multipolare Welt anzuerkennen, bleibt bis heute nicht identifizierbar.   

Letzteres ist bei beiden jetzt antretenden Kandidaten keine Frage. Trump wie Biden wollen sich mit China anlegen. Längst ist bekannt, dass in den großen Think Tanks der Ostküste die Positionen, die als das Dilemma des Thukydides in die Geschichte eingegangen sind, mit Verve diskutiert werden. Es heißt, wie kann ein der Staat in seinem Machtanspruch total werden, und wann ist der richtige Zeitpunkt, um den großen Kontrahenten anzugreifen? Vor diesem Tableau wird manches deutlicher. 

Die spannende Frage, die sich, auch aus europäischer und deutscher Sicht stellt, ist die, ob die neue, junge und dynamische amerikanische Gesellschaft noch die Zeit hat, die alten Bollwerke, für die Trump wie Biden stehen, zu stürmen und eine neue Zeit einzuläuten. Trump oder Biden, das ist die falsche Frage.