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Mensch, Maschine II: Subjekt, Objekt

Ein Zauberwort durchflutet das Denken in den modernisierten Arbeitsprozessen. In ihm wird die Lösung vieler Probleme gesehen und mit ihm wird vor allem wirtschaftliches Handeln assoziiert. Woher es kommt, ist kein Geheimnis. Es entstammt den Baukästen des Industriezeitalters und hat etwas mit artifiziellen Produkten zu tun. Dass mit dem Begriff eine ungeheure Popularität heute vor allem im Design sozialer Beziehungen liegt, ist tragisch und komisch zugleich. Es dokumentiert, dass die Gestalter von Arbeits- wie Beziehungsprozessen zumindest im Westen soweit degeneriert sind, dass sie die Maschinen- und Verwertungslogik verinnerlicht haben und sie die Komplexität der humanen Denkweise nicht mehr begreifen wollen.

Der Heilsbegriff ist der der Standardisierung. Sagen wir, vor zwanzig Jahren, hätten noch viele Menschen gezuckt, wenn vorgeschlagen worden wäre, ein Problem, das zunächst einmal in seiner Eigenart gelesen werden muss, durch Standardisierung lösen zu wollen. Es klang befremdlich, nein, es klang völlig deplatziert und der Komplexität der Frage nicht gerecht, durch irgendwelche Standards die Welt erklärlicher machen zu wollen. Aber so, wie der Begriff des Analytikers, dem man die Betrachtungsweise von anderen Perspektivtableaus noch zuschrieb, durch den des Analysten ersetzt wurde, genauso gewann der Terminus der Standardisierung an Kontur. Der kleine, stromlinienförmige Geist hat sukzessive das tiefe Denken ersetzt. So wie die Akzeleration die Muße liquidiert hat, so hat die oberflächliche Betrachtung den tiefen Blick ersetzt.

Die Begrifflichkeiten, einen Wandel vollzogen haben, können auch an einer anderen gedanklichen Linie sortiert werden. Die Dualität von unmittelbarer und mittelbarer Erfahrung, eine Grundlage rationaler Erkenntnis, wurde durch die Monokultur der exklusiv vermittelten Erfahrung ersetzt. Um es deutlich zu sagen: Wer keine eigenen unmittelbaren Erfahrungen mehr macht, auf die er seine Betrachtung stützen kann, der ist auf das Glauben angewiesen. Und wir reden hier nicht an die mögliche positive Wirkung eines Glaubens, der mit Gottvertrauen und existenzieller Gewissheit übersetzt werden kann, sondern von einem Glauben, die Ausscheidungen einer synthetischen Maschine für die Realität zu nehmen. Es geht also nicht um den Glauben, sondern das Glauben.

Somit ist derzeit die ganze Glitzerwelt der digitalen Befreiung eine wüste Show, um den Vollzug der Degradierung des Subjektes zum Objekt zu verschleiern. Denn die Entscheidungen, was wir machen, treffen tendenziell immer weniger humane Wesen, sondern synthetische Subjekte, die den humanen Objekten Anweisungen geben. Das Abrutschen in die Unmündigkeit hat somit eine Dimension angenommen, die in ihrer Dramatik nicht übertrieben werden kann. Häufig werden nicht zu Unrecht Parallelen gezogen zum Mittelalter. Jenes Mittelalter, das bis dato als Ausgeburt der Entmündigung und des Obskurantismus galt, wird heute als eine Phase der relativen Mündigkeit des Menschen beschrieben, verglichen mit dem Nonsens, dem Tabu und dem Zynismus des digitalen Zeitalters.

Die erfolgreiche Mystifikation der Epoche liegt in ihrer tatsächlichen Unsichtbarkeit. Es sind nur noch Symbole, die die Macht widerspiegeln, die sich hinter ihnen verbirgt. Aber hinter dem Symbol ist nichts als die abstrakte Macht, die dennoch wirkt. Das muss zu Defätismus und Verwirrung führen, es kann aber auch der Beginn dessen sein, was immer am Anfang von etwas Neuem steht: der Revolte. Die brutale, aber einfältige Logik, die sich nur in zwei Zuständen zu zeigen in der Lage ist, nutzt die Standardisierung, um die dürftige Schlichtheit in Glanz zu verwandeln.

Das Kollektiv „Deutsche Nation“

Die Frage der Identität ist für jedes Subjekt die zentrale. Wer nicht weiß, wer er ist oder was er will, dem ist, was die bewusste Gestaltung seines eigenen Lebens anbetrifft, kaum noch zu helfen. Oder, um es bis zu letzten Konsequenz zu denken, dessen Leben wird von anderen bestimmt. Identitätslosigkeit ist eine ideale Voraussetzung für Fremdbestimmung. Was beim Individuum so stimmt, kann beim Kollektiv nicht anders sein. Die Frage wäre also, ob Kollektive, die weder wissen, wer sie sind noch eine Vorstellung darüber haben, was sie wollen, ein anderes Schicksal haben als das orientierungslose Subjekt, das dadurch zum Objekt wird. Die These meinerseits ist die der Analogie. Kollektive, die über keine  bewusst erarbeitete Identität verfügen, bieten sich als Objekt für das Instrumentalisieren durch andere an oder werden von erfolgreich agierenden Fraktionen des Kollektivs an der Nase herumgeführt. Und: Auch Nationen sind Kollektive.

Die wechselhafte und geteilte Geschichte Deutschlands hat für einen besonderen Schwierigkeitsgrad bei der Bestimmung der nationalen Identität gesorgt. Was die Beschreibung der eigenen Stärken und Schwächen angeht, so könnte noch, sofern man es zuließe, ein gewisser Konsensus erzielt werden, denn vieles ist evident und nicht von der Hand zu weisen. Was jedoch als die Ausrichtung Deutschlands und sein Wirken in der internationalen Gemeinschaft anbetrifft, so könnte eine größere Kakophonie als die existierende kaum erreicht werden. Zu sehr sind die Folgen von Diktatur und Krieg verankert, zu sehr ist der imperiale Gestus, am deutschen Wesen solle die Welt genesen noch und wieder präsent, und sei es Fragen der Ökologie, und zu sehr ist die Verweigerung, sich überhaupt mit dieser Frage zu beschäftigen, gegenwärtig. Das Kollektiv „Deutsche Nation“ wird dennoch gesteuert, von wechselnden Fraktionen. Und gerade das macht es so erratisch und gefährlich.

Da ist zum einen die deutsche Industrie, die mit ihren Sparten des Automobilbaus, des Maschinenbaus und der Rüstungsbranche markige Akzente setzt. Vor allem der Maschinenbau hat bereits eine strategische Dimension und die Waffenindustrie sorgt vehement für riskante Positionen in der internationalen Politik. Letztere hat maßgeblichen Anteil für die halsbrecherischen Positionen der Bundesregierung im Syrien- wie im Ukrainekonflikt. Oft werden die Interessen, die dazu führen, eskortiert von einer objektiv anderen Fraktion. Es ist die der Menschenrechte, der Ökologie und der alternativen Lebensformen. Interessant dabei ist, dass dennoch bei allen politischen Positionen, die Deutschland näher an heiße militärische Konflikte gebracht haben, eine Koinzidenz von Waffenexporten und der Artikulation moralischer Überlegenheit besteht.

Ein gesellschaftlicher Diskurs, der sich um die Frage nach nationaler Identität dreht, könnte in den Zeiten turbulenter Veränderungen der existenziellen Rahmenbedingungen von Nationen einen entscheidenden, klärenden und qualitativ weiterführenden Beitrag leisten. Dabei könnte nicht nur erörtert werden, ob der Exportturbo auf alle Fälle weitergetrieben wird, oder ob eine strukturelle Neuordnung der Ökonomie nicht ein Ziel sein sollte und, gleichermaßen, welches Verhältnis die ermittelte Identität haben kann in Bezug auf Migration und bewusst gesteuerte Einwanderung. Das wäre erhellend und wahrscheinlich auch in hohem Maße den Frieden sichernd.

Die Kreise, die einen solchen Prozess gerne torpedieren und die ihn ermüdend oft mit Schlagbegriffen zu diskreditieren suchen, finden sich zumeist in den beschriebenen Lagern. Sie machen nicht die Identität dieser Nation aus. Aber sie profitieren von der Unklarheit.

In der Arena des gesellschaftlichen Diskurses

Nicht, dass alles entspannt wäre. Das Gegenteil ist der Fall. Die Auflistung der Irrungen, Wirrungen und Verwerfungen ist lang. Das, was lange Zeit als geordnete Verhältnisse bezeichnet werden konnte, gehört längst der Vergangenheit an, obwohl auch das immer eine Frage des besonderen Blickwinkels ist. Der Blick auf die Welt hat immer etwas mit den eigenen Interessen und Befindlichkeiten zu tun. Manchmal wirken Geschehnisse aus anderen Teilen der Welt als nicht sonderlich interessant, manchmal erregen sie die Gemüter. Es fragt sich, wie das kommt. Vieles hängt damit zusammen, wie man es erfährt. Jetzt, zum Beispiel, im Falle Aleppos, tobt ein Sturm der Entrüstung, der verständlich ist, weil organisiert herbei geführtes menschliches Leid immer eine Tragödie ist. Aber, warum hinterlässt das Drama, das sich gleichzeitig im Jemen abspielt, eine Arktis der emotionalen Kälte? Ja, es sind immer die Interessen, die dabei eine Rolle spielen. Fragt sich nur, wessen Interessen es sind, die dazu aufrufen, im einen Fall medial zu mobilisieren und im anderen die Nachrichtensperre zu verhängen.

Die deutsche Gesellschaft befindet sich an einer Wegmarke. Vieles, was als geregelt galt, ist ins Wanken geraten. Das bestürzt viele, es beinhaltet auch Chancen. Manches spricht dafür, dass ein „Weiter so!“ in eine Katastrophe führen kann. Die Befindlichkeit in diesem Land orientiert sich sehr an dem Begriff der Stabilität. Sie ist es, die nicht mehr existiert. Sie existiert in den meisten Ländern dieser Welt schon lange nicht mehr. Überall, egal in welchem Winkel, macht sich die Beschleunigung breit. Die Beschleunigung durch Technik, die Beschleunigung von Verfahren und die Beschleunigung der Vergänglichkeit. Da ist es ratsam, sich gut zu überlegen, wie damit umgegangen werden soll, wenn nicht das Gefühl entstehen soll, getrieben zu sein.

In einer Zeit, in der sich der herrschende Geist als so weit entwickelt wie nie wähnt, ist es schon enthüllend, wenn plötzlich aus dem Fortschreiten der Weltbewegung so etwas wie Ratlosigkeit resultiert. Da kann etwas nicht stimmen. Und, diese These sei erlaubt, die Ratlosigkeit, die existiert, kommt aus dem Größenwahn, der im Rausch des Tempos entstanden ist. Er hat es zu einer bequemen Erscheinung gemacht, nicht mehr zu reflektieren, was eigentlich vor sich geht. Woher kommen die Impulse, was bezwecken sie und in welchem Verhältnis stehen diejenigen zu der erzeugten Energie, die davon betroffen sind? In einer Zeit, in der sich Feuilletonisten ohne Massenprotest selbst zu Philosophen erklären, ist es nicht verwunderlich, dass große Menschenmassen in der Orientierungslosigkeit versinken, ohne das die Hoffnung aus Abhilfe existierte.

Die in Stein gemeißelten Fragen einer jeden Philosophie, die sich drehen um so Schlichtes wie „wer sind wir?, wohin wollen wir?, was ist der Zweck unseres Handelns?, und welchen Werten folgen wir?“, sie sind kollektiv ausgeblendet, weil sie Elementares ans Tageslicht fördern. Ihre Erörterung würde dazu führen, vieles, das vor sich geht, in einem anderen Licht zu sehen und die Triebkräfte der Veränderung kritisch unter die Lupe zu nehmen. Letztendlich würde sich erweisen, dass wir uns in dem größten Prozess der Entmündigung befinden, der jemals stattgefunden hat. Und er nimmt seine Bahn, und das ist das Phänomen, ohne dass es denn meisten bewusst wäre, dass es so ist. Dieser Prozess kommt ohne Waffengewalt daher, und das kann er, weil kein kollektives Bewusstsein gegen ihn steht. Der klare Verstand, der sich selbst versichert, dass es in der Geschichte immer ein Subjekt und ein Objekt gibt, dieser klare Verstand ist es, der zurück geholt werden muss in die Arena des gesellschaftlichen Diskurses.