Von Bertolt Brecht stammt das kluge Wort, Fortschritt bedeute nicht, fortgeschritten zu sein, sondern fortzuschreiten. Wem es an dieser Stelle bereits zu kompliziert ist, möge gleich aussteigen. Das ist kein arrroganter Hinweis, sondern ernst gemeint. Tatsächlich ist die Frage der Erneuerung und Veränderung eine sehr komplizierte. Das, was zunächst schlicht aussieht, wird schwierig angesichts fast als archetypisch anzusehender Verhaltensmuster des Menschen. Denn selbst die, die einer gewissen Veränderung der gesellschaftlichen Verhältnisse, in denen sie leben, aufgeschlossen gegenüber stehen, wünschen sich schon bald nach der Anstrengung etwas Ruhe. Sei es, um das Veränderte zu erleben und zu bewerten, bevor sie sich erneut Gedanken über die Notwendigkeit weiterer Veränderungen zu machen, sei es, weil sie die neuen Verhältnisse so nach ihrem Vorteil geraten sehen, dass sie befürchten, nach weiteren Veränderungen in eine schlechtere Position zu kommen.
Ja, alles steht auf dem Prüfstand, wenn die Veränderung namens Fortschritt in die bestehenden Verhältnisse rauscht und das Leben der Menschen durcheinander wirbelt. Wichtig ist, dass die Menschen, die davon betroffen sind, mit sich im Reinen sind. Sie sollten wissen, dass es sich um einen Prozess handelt, in dem sie Subjekt und nicht Objekt sind. Ist das gegeben, dann kann sich etwas Vernünftiges entwickeln. Aber, und diese Überlegung drängt sich mit aller Macht auf, wie können Menschen, die seit langer Zeit als Objekte ge- und behandelt wurden, plötzlich zu Subjekten werden? Um es gleich zu sagen: Gar nicht. Es sei denn, sie wähnen sich in einer solchen Lage, dass sie bereit wären, der Maxime Till Eulenspiegels zu folgen: Was Besseres als den Tod findest du überall!
Die Perspektive, die die vielleicht ungewollten Veränderungen des Fortschritts zeichnet, muss so verheerend sein, dass sich ein Großteil der Menschen nicht mehr getraut, darüber nachzudenken. Dann werden jene Selbsterhaltungskräfte mobilisiert, die aus Objekten Subjekte machen. Diese Subjekte sind jedoch nicht die mit dem Plan für eine vernünftige Veränderung. Nein, bei ihnen handelt es sich um Angst gesteuerte, in ihrer Existenz bedrohte Menschen, die vermeintlichen Konzepten der schnellen Lösung folgen. Das, was normalerweise dann auch verheerend wirkt, ist nicht notgedrungen alles nur emotional, irreal und destruktiv. Im Kern befindet sich auch bei dieser Gruppe eine durchaus als sehr real empfundene Vorstellung von dem, was ist, und dem, was nicht sein darf.
Die jahrzehntelange Entmündigung großer Teile der Gesellschaft durch eine zunächst als Fürsorgeideologie zu bezeichnende Bevormundung hat dazu geführt, dass nahezu die einzige verändernde Kraft aus den Reihen der großen Masse in einem Kampfdenken gegen das besteht, was vielleicht am besten als die rasende tägliche Veränderung bezeichnet werden kann. Diese Kräfte spüren, dass da etwas in die falsche Richtung gegangen ist und geht und nichts mit dem zu tun hat, was als die große Chance der Veränderung von einigen Kreisen propagiert wird.
In diesem Kontext von Fortschritt zu sprechen, fällt schwer. Richtig wäre es, von Veränderungsprozessen auszugehen, die die Gesellschaft überrollen. Mit gemeinsamem Fortschreiten hat das wenig zu tun. Da werden Verhältnisse geschaffen, die angeblich keine Zeit lassen, darüber zu reflektieren und sich Zeit zu nehmen. Das ist das Wesen der Technokratie. Sie schafft Verhältnisse, die nur wenigen Nutzen bringen, aber die als unausweichlich charakterisiert werden. Ein falsches Spiel. Und ein böses Ende.

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