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Zur Aktualität des Ancién Regime

Gerade las ich ein Zitat des klugen Leo Tolstois. Da bekannte er, dass etwas Ruhe, Bücher und Musik für ihn den Begriff des Glückes ausmachen. Der Satz klingt in einer Zeit, in der mit Empörung und moralischer Entrüstung überladene Zwerge tatsächlich von sich glauben, die drehten am großen Rad der Weltgeschichte, etwas altbacken und naiv. Keine Sorge, das machen natürlich andere. Aber der Hinweis allein reicht den wie die Pawlow´schen Hunde konditionierten Kunstfiguren bereits, um von der Weltverschwörung zu faseln. Ändern tut es jedoch gar nichts. Es kommt, was kommen muss. Wir leben in einer Phase, in der sich die Gestalt der Welt in vielerlei Hinsicht dramatisch verändern wird. Da mit Moralismus um die Ecke zu kommen, ist mentale Insolvenz. Aber, auch das haben wir erfahren, die lautesten Akteure wissen nicht einmal, was das bedeutet. 

Moralische Entrüstung, hieß es noch vor zwanzig, dreißig Jahren, ist nichts anderes als eine Form der Eifersucht im Heiligenschein. Das sagt heute natürlich niemand mehr, im Zeitalter der kollektiven Leere, aber der Sinn ist geblieben. Diejenigen, die sich heutzutage so gerne über alles ereifern, sind immer ganz schnell dabei, wenn es um die Folterwerkzeuge für die vermeintlich identifizierten Teufel geht. Neben dem probaten Mittel der Kollektivschuld sind die Maßnahmen, die man befürwortet von ganz schlechten Eltern. Denn wer den Einsatz international geächteter Waffensysteme befürwortet und ethnischen Säuberungen zustimmt, hat in einer Zivilisation der Zukunft nichts verloren.

Unabhängig vom eigenen Schicksal ist es beruhigend, dass diese von allen guten Geistern verlassenen Dümmlinge nur die Vorboten eines größeren Untergangsszenarios sind. Sie gehören dabei zu den Ursachen einer nicht mehr regenerierbaren Gesellschaftsform. Wer den Autoritatismus als Feindbild zeichnet, sich selbst diesem aber immer mehr angleicht, führt nur ein Stück auf, das ins Theater gehört, aber nicht ins richtige Leben. 

Überall glimmen die Scheiterhaufen. Die Hexenverbrennungen sind seit langem im Gange. Kluge Männer und Frauen stehen mit kahl rasierten Schädeln im Schaufenster eines von Gangstern beherrschten Boulevards und blicken leer in eine Vergangenheit, von der sie selbst kaum noch glauben, dass es sie einmal gab. Alles, was nach dem großen Desaster versprochen wurde, hatte den Wert einer Eintagsfliege. Und, nachdem der Zwang verschwunden war, sich mit einem anderen Lebenskonzept vergleichen zu müssen, wurden die Höllenhunde aus dem Zwinger gelassen und auf alles, was den Geruch einer zivilisierten Gesellschaft hatte, losgelassen. Doch dem Triumphalismus blieb nicht lange Zeit, sich zu ergötzen. Krisen griffen um sich, Krisen lösten sich ab, Krisen wurden zu einem unentwirrbaren Geflecht. 

Mittlerweile stinkt es infernalisch. Prozesse werden gemacht. Taten werden vertuscht. Die Unwahrheit wird zum Passierschein für öffentliche Portale und die Selbstgefälligkeit wird zur Eingangsqualifikation für anspruchsvolle Funktionen. Tatsächliches Wissen und Können wird im Kreis der Begünstigten verdächtig und führt zum kollektiv veranstalteten Mobbing. 

Was schrieb Louis XVI., am Tag des Sturmes auf die Bastille, in sein Tagebuch?: Zwei Hasen, ein Fasan. Hören Sie sich heute die Nachrichten an. Neben den aktuellen Feindbildern klingt das ähnlich. Zwei Hasen, ein Fasan. Vier Jahre später endete sein Weg auf dem Pariser Place de la Concorde. Muss die Analogie noch verdeutlicht werden? Unter dem Titel „Zur Aktualität des Ancién Regime“?

Die Sieger bestimmen, was in den Büchern steht!

Das, was in den Geschichtsbüchern irgendwann einmal als große, heroische und historische Tat festgehalten wird, stellt sich nicht selten als eine maßlose Übertreibung heraus. Man denke nur an den Sturm auf das Winterpalais in Sankt Petersburg, der später als das Initial der großen und glorreichen Oktoberrevolution durch Berge von Literatur, durch Gemälde und Musikstücke glorifiziert wurde. Er war nichts anderes als die verwegene Tat einiger weniger zu allem entschlossenen Revolutionäre, die in einem schlecht bewachten Palast auf keinen nennenswerten Widerstand stießen.

Ähnliches wird vom Sturm auf die Bastille berichtet. Das Pariser Gefängnis war alles andere als der Gefangenenturm für die französischen Revolutionäre, sondern ein für die Zeit stink normaler Strafvollzug für Diebe, Betrüger und Prostituierte. Auch dieser Turm war schlecht bewacht und es reichten wenige Rebellen aus, um die Festung zu nehmen. Aus der Bastille ein Symbol des monarchistischen Despotismus zu machen, war ein grandioser propagandistischer Akt, mehr aber auch nicht.

Die Liste lässt sich bis in unsere Tage fortsetzen und sie betrifft auf keinen Fall nur Revolutionen. Wir kennen gerade die Schauergeschichten, mit denen in den letzten 30 Jahren Kriege begründet wurden und wissen eines sehr genau: Die Geschichte wird von den Siegern erzählt. Und selbstverständlich werden die Taten der Sieger groß geschrieben und glorifiziert und die Perspektive der Unterlegenen verschwindet. Man muss kein Pedant sein, um zu der Erkenntnis zu gelangen, dass vieles, was unseren eigenen Kulturkreis betrifft und folglich in unseren Geschichtsbüchern steht, aus der Feder der Sieger stammt. Nachfolgenden Generationen bleibt in der Regel nichts anderes übrig, als sich darauf zu verlassen, bis sie irgendwann beginnen, die Erzählungen zu hinterfragen und zu anderen Sichtweisen kommen.

Hoch aktuell in Bezug auf die Geschichtsschreibung ist die Darstellung des II. Weltkrieges. Ein wenig Recherche reicht, um herauszufinden, dass der Krieg gegen den Faschismus in Stalingrad entschieden wurde, die Rote Armee rückte nach dieser Schlacht nach Westen vor und erst danach traten die USA in den Krieg ein und die Landung in der Normandie folgte später. Dennoch wird letztere als Wendepunkt des Krieges in Geschichtsbüchern wie politischen Reden genannt und die 27 Millionen toten Menschen aus der Sowjetunion und die Schlacht bei Stalingrad, geschweige denn die Blockade von Leningrad mit ihren 2 Millionen Toten wie die Befreiung der KZ-Häftlinge durch die Rote Armee finden gar nicht mehr statt. 

So funktioniert das Gewerbe der Historiographie. Die Sieger bestimmen, was in den Büchern steht. Man sollte sich diese Erkenntnis nur ab und zu ins Gedächtnis rufen. Und es wird spannend sein, was nach dem Krieg in der Ukraine zu lesen sein wird. Eines zeichnet sich jedoch bereits ab: es werden nicht die Erzählungen sein, die man uns heute täglich präsentiert. Denn die, die sie verbreiten, werden nicht zu den Siegern gehören.

Ein anderer Aspekt sollte noch Erwähnung finden. Die Geschichte der Dekolonisierung ist ebenfalls eine Geschichte der Sieger. Es sind die Völker, die die europäischen Kolonialmächte aus ihren Ländern vertrieben haben und denen es gelungen ist, eine eigene Souveränität zu erlangen. Zu ihnen gehören heutige globale Riesen wie China, Indien, Indonesien und Brasilien, um nur die bevölkerungsreichsten zu nennen. Wer glaubt, dass in den Geschichtsbüchern dieser Länder die heutige Darstellung der ehemaligen Kolonisatoren steht, sollte sich schleunigst daran machen, sich Kenntnisse über die Sicht dieser Länder auf ihre eigene Geschichte und die Rolle des Westens zu verschaffen, um nicht in tödliche Irrtümer zu verfallen.  

Der Sturm auf die Bastille

14. Juli 1789: Der letzte französische König weilt in Versailles und nutzt den Tag zu einem Jagdausflug. Abends heimgekehrt, trägt er in sein Tagebuch ein: 3 Hasen und zwei Fasanen. Dass am gleichen Tag im nicht weit entfernten Paris das Volk erneut protestiert und auf die Bastille, das Gefängnis und Symbol der monarchistischen Herrschaft zumarschiert und diese letztendlich erfolgreich stürmt, nimmt der Monarch erst später zur Kenntnis. Letztendlich obsiegt das, was als die Französische Revolution in die Geschichtsbücher eingehen wird. In deren Folge landet auch der Kopf des unglückseligen Königs nach der Guillotinierung in einem Weidenkorb. Hic transit gloria mundi.

Das historische Ereignis war nicht nur der Höhepunkt einer Entwicklung, die unter dem Namen der Aufklärung figurierte und das grelle Licht des kalten Verstandes auf vieles warf, was lange im Dunkeln seine Existenz gefristet hatte. Nein, die Französische Revolution eröffnete auch das Zeitalter, in dem die große Masse des Volkes zumindest über allgemeine, gleiche und freie Wahlen in die Regierungsgeschäfte mit eingebunden werden sollte. Dass nicht alles so frei und paradiesisch war, wie es in den Pamphleten zunächst stand, davon zeugten nicht nur die unzähligen, übervollen Weidenkörbe, nein, es wurde auch deutlich, dass jeder Fortschritt mit Dreck behaftet ist, dass das Neue ebenso schmerzen kann wie das Alte und das die Welt und ihre jeweilige Jugend vielleicht auch immer wieder der einen Illusion anhängt, dass alles zum Besseren gewendet werden kann.

Nur die Eule der Minerva, sie wusste es bereits schon immer, dass nämlich alles nicht besser, sondern lediglich anders wird. Sei es drum, es macht keinen Sinn, über den Lauf der Geschichte zu urteilen. Es macht aber Sinn, ihn zu studieren und mit etwas Glück die Muster menschlichen Handelns zu identifizieren, mit denen durchaus in der Gegenwart zu rechnen ist. Eine der großen Erkenntnisse der Französischen Revolution war die Tatsache, dass im Gewande des Neuen radikale Figuren auftauchten, denen es nicht um den Traum von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit ging, sondern um den Erwerb der nackten Macht. Es waren kluge Leute, denn sie verstanden etwas von dem Geschäft. Und hatten sie mittels eines erstrebenswerten Programms die Macht an sich reißen können, dann entpuppten sie sich als ziemlich rückständige Gesellen, die über eine Schreckensherrschaft das Volk schlimmer unterjochten als der tragische König, der einfach nur ein bisschen Jagen und mit seinen schmiedeeisernen Schlössern spielen und ansonsten in Ruhe gelassen werden wollte.

Nicht jeder Monarch ist ein Scheusal und nicht jeder Reformer ein guter Mensch. Das ist eine Erkenntnis, die nicht allen geschmeckt hat, aber auch derartige Erkenntnisse gehören zur Aufklärung. Nicht alles bringt Heilung und manches macht es nur noch schlimmer. Dennoch ist der Sturm auf die Bastille eines jener Ereignisse der jüngeren Geschichte, das einer ganz neuen Epoche die Tür aufgestoßen hat und in der viele von uns eine derartig bewusste Rolle spielen dürfen, wie wir dieses tun. Ohne den Sturm auf das Pariser Gefängnis und alles, was danach ins Rollen kam, wären wir, der damalige Mob, immer noch Mob. Das ist durchaus ein Fortschritt, zumindest aus meiner Sicht. Wenn das dann noch untermalt wird durch ein feuriges Lied wie der Marseillaise, die die Seeleute aus dem Hafen des Südens sangen, als sie nach Paris marschierten, um die neue Zeit zu retten, dann ist mir richtig wohl ums Herz. Ehrlich.