Schlagwort-Archive: strategische Überdehnung

Folge den Waffen

Der neue Bericht liegt jetzt vor. Von jenem schwedischen Institut, das sich mit dem Waffenhandel in der Welt beschäftigt. Die Zahlen, die jetzt von dort aus veröffentlicht werden, sind keine Fake News. Sie liegen kalt und gefühllos auf dem Tisch der Betrachtung und veranschaulichen, wer am meisten mit Rüstung verdient und wer andererseits selbst hochrüstet. Demnach sind die USA mit Abstand die größten Waffenexporteure auf der Welt und Saudi Arabien mit Abstand der größte Importeur der todbringenden Werkzeuge. Im Gegensatz dazu steht die Erzählung von Frieden und Freiheit und der Wertegemeinschaft. Irgendwie, so stellt sich die Frage, kann da etwas nicht stimmen.

Anscheinend reicht die politische wie kulturelle Attraktivität des westlichen Kapitalismus schon lange nicht mehr alleine aus, um die wirtschaftliche Weltherrschaft zu gewährleisten. Freie Märkte sind die Vorbedingung für eine sukzessiv zu erlangende politische Dominanz und freie Märkte entstehen nur, wenn die vorher bestehenden Strukturen nicht mehr existieren. Das, was den wesentlichen Widerspruch der USA zunehmend ausmacht, ist die innere Spaltung in Bezug auf die eigene Rolle als Weltpolizist. Einerseits sind sie strategisch überdehnt, d.h. sie sind faktisch in mehr Ländern militärisch präsent, als sie es sich wirtschaftlich leisten können. Andererseits wäre das wirtschaftliche System nicht mehr in der Dimension zu halten, wenn die militärische Präsenz nicht da wäre.

Geostrategisch rächt sich mehr und mehr der große Hunger. Da ist einerseits die Befriedung Zentraleuropas zu konservieren und die Expansion nach Russland vorzubereiten. Da ist der ruhig geglaubte amerikanische Kontinent  wieder in Bewegung geraten und er wird wieder verstärkte Aufmerksamkeit des Imperiums erfordern, das den Süden immer abschätzig als Hinterhof bezeichnet hat. Venezuela und Kuba sind die beiden Brennpunkte, die zeigen, was bevorstehen könnte. Und dann ist da am Rande Chinas Korea, das bei einem Einigungsprozess verloren gehen und den dann verbleibenden amerikanischen Stronghold Japan dramatisch isolieren könnte. Und im Nahen Osten, da soll es ja noch dem Iran an die Gurgel, dieses Unterfangen massiv getriggert vom Werteparadies Saudi Arabien, seinerseits das größte Waffenlager aus amerikanischen Rüstungsexporten.

Es gäbe noch viele, kleinere Regionen, aus denen über das Dilemma eines angeschlagenen Riesen berichten könnte. Gefährlich wäre die Unterschätzung der USA hinsichtlich ihrer Bereitschaft, aus der kalten Bedrohung eine ballistisch heiße Angelegenheit zu machen. Allein der Drohnenterror gegen zivile Ziele und die Aufpäppelung sowohl der Taliban wie des IS haben dokumentiert, zu welchen Schweinereien Uncle Sam bereit ist, wenn es um die globale Sicherung seiner Werte geht. Waterboarding und Guantanamo sind keine denunziatorischen Chiffren, sondern real existierende Signaturen einer Barbarei, so wie übrigens auch der Einsatz der Gummigeschosse auf französischen Straßen.

Wer immer noch der Illusion erliegt, die Attraktivität der bürgerlichen Demokratie sei größer als der eine oder andere Kollateralschaden, der durch die militärische Absicherung des kapitalistischen Wirtschaftens seitens des Westens entsteht, hat trotz intensivierter weltweiter Kommunikation eines nicht gelernt: Zuzuhören! Die Reaktionen in der arabischen Welt, in Südamerika, in Südostasien und auch in Zentralasien auf das Doppelpack von Regime Change und Unterjochung sind ein Urteil, von dem sich der so genannte Freie Westen innerhalb der heute existierenden Generationen nicht mehr wird erholen können. Die Traumata, die Kriegsverbrechen auslösen, wirken lange nach. Nicht nur bei den Opfern, sondern auch, wie gerade wir Deutschen wissen, bei den Tätern.

Die Weltpolizei und der Mundräuber

Strategische Überdehnung fördert die Unberechenbarkeit. Das war schon immer so. Schon zu Alexanders Zeiten oder im antiken Rom wurden die Wendepunkte an dieser unsichtbaren Linie fest gemacht. Immer, wenn der eigene imperiale Einfluss die realen Potenzen überstieg, war das Zeichen zum Niedergang gegeben. Und es scheint nahezu ein Naturgesetz zu sein. Auch im ganz persönlichen Leben oder in der realen Wirtschaftswelt stoßen wir  wiederholt auf dieses Phänomen. Immer, wenn man auf mehr Hochzeiten tanzt, als man verkraften kann, kommt man ins Schlingern.

 Befragte man in diesen Tagen durchaus interessierte Beobachterinnen und Beobachter von Politik nach einem aktuellen und gültigen Beispiel für dieses Phänomen, so bekäme man, zumindest in Germanistan, wie aus der Pistole geschossen die USA als Referenzstück genannt. Und das nicht zu Unrecht: Die USA als Nachkriegs- und Kalte Kriegs-Supermacht ist längst nicht mehr in der Rolle der kongruent mächtigsten Kraft auf dieser Welt. Wirtschaftlich bewegt sich der Gigant seit langem unter den Normalwüchsigen, während seine politische und militärische Präsenz auf dem gesamten Erdball immer noch Weltrekorde hält. Ein typisches Beispiel für das Phänomen der strategischen Überdehnung eben. Das Thema stellt sich der ganzen Welt, wenn damit eine zunehmende Unberechenbarkeit verbunden ist, was das Gefährdungspotenzial für alle immens erhöht. Doch in erster Linie ist es ein Problem der Amerikanerinnen und Amerikaner, die mit ihrem Pragmatismus und ihrer Jugend sicherlich eine Justierung ihrer Rolle an der Realität vornehmen werden.

 Fragte man dieselben Beobachter der amerikanischen Dissonanz nach einer Einschätzung Deutschlands, so bekäme man vieles an Analysen präsentiert, aber nie die der strategischen Überdehnung. Wahrscheinlich würde dies und das an logischer Inkonsistenz genannt, aber nie das, was tatsächlich beunruhigen müsste. Die Bundesrepublik Deutschland in ihrer gegenwärtigen Form präsentiert sich nämlich als das genaue Gegenteil einer strategischen Überdehnung. Während die ökonomischen Potenziale weit über der tatsächlichen Größe des Landes und der Bevölkerung rangieren und Ergebnisse der Wertproduktion vorherrschen, die lange Zeit als Weltrekorde notiert wurden, findet die politische Macht  dieser so spät formierten und immer wieder zerbrochenen Nation eigentlich gar nicht statt. Wenn es nur um wirtschaftliche Interessen geht, trifft das nicht zu, da ist man gut unterwegs, aber wenn es um die Wahrnehmung weltpolitischer Verantwortung geht, dann sucht man Deutschland vergeblich. Nicht berücksichtigt hierbei sind die Pannen und Unregelmäßigkeiten des gegenwärtigen Personals.

Bei der Suche nach einem Pendant zum Phänomen der strategischen Überdehnung kommt man schnell auf den Begriff der taktischen Dominanz bei strategischem Vakuum. In Bilder übersetzt, ist das Pendant zum Weltpolizisten das des Mundräubers. Und genauso wird die Bundesrepublik zunehmend im Weltgefüge wahrgenommen. Sie entledigt sich der Verantwortung, in dem sie sich selbst nicht in der Pflicht sieht, Prozesse der Konfliktlösung selbst zu gestalten und zu dominieren, sondern sie hängt sich an, und zwar immer nur da, wo es ökonomischen Benefit zu erzielen gibt. Angesichts der humanitären Misere in Syrien zum Beispiel zeigt sich nicht nur, dass diese Bundesregierung nicht nur keinen Plan, sondern auch kein Personal hat, um eine würdige und gewichtige Rolle in der Weltpolitik spielen zu können. Das entspricht nicht den Potenzialen dieses Landes. Und es gibt historische Situationen, in denen selbst Neutralität Stärke und Gewicht bedeuten. Momentan ist es eher leeres Gerede.