Die vor kurzem an dieser Stelle aufgeworfene Frage, ob es einer Kommune zuzutrauen ist, zusammen mit Teilen der Bürgerschaft an einer strategischen Ausrichtung zu arbeiten, und ob es mit Blick auf die EU nicht sinnvoller ist, dort zu gestalten, wo dies auch möglich ist, soll nun beantwortet werden. Um keine Ressentiments entstehen zu lassen, bleibt diese Kommune in diesem Text anonym, nennen wir sie M. Es handelt sich nicht um eine kleine, überschaubare und sozial homogene Stadt, sondern um eine mit mehreren Hunderttausend Einwohnerinnen und Einwohnern, einer ausgeprägte Industrie-, Dienstleistungs-, Wissenschafts- und Kulturstruktur und einer in hohem Maße heterogenen Bevölkerung in Bezug auf Ethnie, Alter, Religion, Weltanschauung und sozialer Zugehörigkeit.
Dennoch ist es gelungen, in einen Dialog mit über 2500 Bürgerinnen und Bürgern zu kommen und mit ihnen zu diskutieren, wie sie sich das Leben in 20 Jahren vorstellen wollen. Daraus resultierte eine vitale, teilweise heftige, aber immer zielführende Diskussion, die dazu führte, dass hinsichtlich der großen Eckpunkte sogar ein Konsens gefunden werden konnte. Eines hat der Prozess bereits heute gezeigt: zu behaupten, die Kompetenz für eine Strategiefindung sei in der Bevölkerung nicht vorhanden, basiert auf Spekulation.
In diesem Fall die Ergebnisse als Referenz zu nehmen, ist wahrscheinlich etwas vorschnell. Wichtig ist jedoch, dass es gelang, über die Überschriften Einigung zu erzielen. Die unter dem Titel Leitbild gefundenen Überschriften, die in den Protokollen als Zukunftsthemen und Strategische Ziele ausgewiesen sind, seien hier dokumentiert:
- Soziale und kulturelle Teilhabe, gesellschaftliches Miteinander und lebenslanges Lernen – M. gewährleistet Bildungsgerechtigkeit und verhindert Armut. Die soziale und kulturelle Teilhabe aller Bürgerinnen und Bürger M.s ist sichergestellt.
- Gesundheit, Wohlbefinden und demographischer Wandel – M. bietet eine vorbildliche urbane Lebensqualität mit hoher Sicherheit als Grundlage für ein gesundes, glückliches Leben für Menschen jeden Alters und gewinnt damit mehr Menschen für sich.
- Gleichstellung, Vielfalt und Integration – M. ist durch eine solidarische Stadtgesellschaft geprägt und Vorbild für das Zusammenleben in Metropolen. Die Gleichstellung der Geschlechter und Anerkennung vielfältiger menschlicher Identitäten und Lebensentwürfe ist hergestellt.
- Demokratie, Engagement und Beteiligung – M. zeichnet sich durch eine starke Stadtgesellschaft und gutes Verwaltungshandeln aus. Die Bürgerinnen und Bürger nutzen überdurchschnittlich engagiert die Möglichkeiten, sich in demokratischen und transparenten Prozessen an der Entwicklung ihrer Stadt zu beteiligen.
- Digitalisierung, Innovation und zukunftsfähige Wertschöpfung – M. schafft als digitale und innovative Metropole die Voraussetzungen für Unternehmen jeder Größe, vielfältige und zukunftsfähige Wertschöpfung zu realisieren sowie Talente und Fachkräfte zu gewinnen.
- Klima, Umwelt und alternative Mobilität – M. ist eine klimagerechte – perspektivisch klimaneutrale – und resiliente Stadt, die Vorbild für umweltbewusstes Leben und Handeln ist.
- Internationale Zusammenarbeit, globale Verantwortung und Konsum – M. ist Vorbild für die internationale Zusammenarbeit von Städten. Kommunale Entwicklungspolitik und verantwortungsvoller Konsum tragen zu globaler Gerechtigkeit und einer nachhaltigen internationalen Politik bei.
Als Überschrift, d.h. als Arbeitsfeld für die spätere, konkrete Ausgestaltung dessen, worum es beim Zusammenleben in einer Kommune gehen wird, lässt sie dieses Material sehr gut verwerten. Es sollte der Überlegung Raum gegeben werden, wieso derartige Prozesse nicht flächendeckend um sich greifen, denn in welchen Zeiten existierten im öffentlichen Diskurs weniger Vorstellungen von der Zukunft als heute? Das Paradoxon regiert, eine Gesellschaft und eine Welt, die von Zukunftstechnologie nur so strotzt, traut sich nicht an den großen strategischen Wurf, den das Leben technologisch ermöglichen würde.
Die Vermutung liegt nahe, dass bei der Entwicklung der Vision die thematische Erbärmlichkeit des Gegenwärtigen allzu deutlich wird. Bezeichnend in dem beschriebenen Prozess war die nahezu kollektive Erkenntnis, mit dem Portfolio für ein zukünftiges Zusammenleben nicht überfordert gewesen zu sein. Auch wenn es aufgrund unterschiedlicher Interessen zu gegensätzliche Auffassungen kam, so herrschte Konsens über die Notwendigkeit der Bearbeitung des Themas.
Als Erkenntnis bleibt, dass die Kommune immer noch den Mutterboden bildet für das Design einer Strategie und damit für neue Formen des Zusammenlebens. Und dass es klug ist, über die institutionellen Wege hinaus Möglichkeiten der Partizipation und der Mitarbeit anzubieten.
Und so lässt sich ohne Zynismus, sondern als Ergebnis aus einer ganz konkreten Erfahrung der Schluss ziehen, dass es kein Morgen gibt, wenn die Menschen nicht darüber nachdenken, was sie für wichtig halten und was sie wollen. Und dass sich, auch da entpuppt sich die konkrete Erfahrung als eine unromantische Seele, immer irgendwann auch die Frage nach der Macht stellen wird. Aber deshalb die Zukunft ausblenden?

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