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Vom Lernen und vom Scheitern

Wir kennen das. Wir haben einen Plan, der, sollte er realisiert werden, vieles von dem ermöglicht, was wir als sinnvoll erachten. Doch dann stellt sich heraus, dass wir einiges falsch eingeschätzt haben und viele der Maßnahmen, die wir ergriffen haben, uns nicht dem Ziel näher bringen, sondern scheitern. In solchen Situationen drängt sich die Konsequenz auf, sich neu zu besinnen. Es besteht die Möglichkeit, die eigene Taktik, das heißt, den Weg der Umsetzung, den man eingeschlagen hat, zu überdenken und sich neue Mittel zu überlegen, die eine höhere Wahrscheinlichkeit der Zielerreichung beinhalten. Oder, was gravierender wäre, wenn sich die Einschätzung aufdrängt, dass bei der strategischen Ausrichtung, bei der Formulierung des Zieles, das Wunschdenken größer war als es die eigenen Fähigkeiten in Bezug auf Können und Ressourcen hergeben, es notwendig wäre, sich anders oder neu zu orientieren. Dann ist eine umfassende Revision erforderlich. 

Es existiert allerdings noch eine dritte Möglichkeit, wenn, aus welchen Gründen auch immer, man sich der Möglichkeit einer Justierung sowohl bei der Strategie als auch bei der Taktik verweigert. Es ist die Beharrung. Egal, was passiert, unabhängig davon, wie groß die Verluste und Rückschläge sind, man macht einfach weiter wie gehabt, weil man der Auffassung ist, dass es keine anderen Optionen gibt. Es ist eine Haltung, die der festen Überzeugung entspringt, dass es keine Alternative gibt. Weder zur Formulierung des Zieles noch bei der Wahl der Taktik. Eine derartige Haltung führt in der Regel zu hohen Kosten, gravierenden Verlusten und, hält man lange genug an der starren Position fest, zum Ruin.

Nun existieren im gedanklichen Reservoir vieler Menschen Szenarien, an denen man die hier aufgezeigten Vorgehensweisen überprüfen kann. Das eigene Erleben und die eigene Praxis eignen sich immer am besten, um solche Thesen zu überprüfen. Meine Behauptung ist, dass jeder Mensch unzählige Male solche Situationen in seinem Leben erlebt. Und, wenn nicht alles rund lief, wie man es sich vorgestellt hat, hat man entweder die Strategie oder die Taktik geändert und den Prozess für sich als das verbucht, was das Leben ausmacht: als Lernen durch praktisches Vorgehen. Und, auch diese Beispiele haben die meisten Menschen für sich parat: wenn sie störrisch waren und gescheitert sind, dann gehörte die daraus resultierende schmerzhafte Niederlage zu den ganz großen Lehren, die man sich immer wieder vor Augen führt und, ist der Abstand groß genug, als die ganz großen Lehren seines Lebens in die eigene Chronik schreibt.

Was im individuellen Erfahren und in der beruflichen Tätigkeit zutrifft, ist in der Politik nicht anders. Auch dort existieren Strategien und Taktiken, die sich in der Praxis zu bewähren haben, die sich hier und da als fehlerhaft und nicht der Realität entsprechend herausstellen und justiert werden müssen. Lernprozesse, die daraus resultieren, werden von denen, die Politik beauftragen, in der Regel verstanden und bis zu einem gewissen Grad akzeptiert. Eine Haltung, die die einmal festgelegte Route als alternativlos darstellt, verliert, je gravierender die Verluste, letztendlich jegliche Form der Legitimation.  

Ein Haudegen und ein Gentleman

Wer nach einem erlebten Superlativ zurück ins normale Leben kommt, der muss sich mit einem Gefühl auseinandersetzen, das am besten mit dem Begriff der Fadheit beschrieben wird. Nach der Jahrhundertpartie zwischen Brasilien und Deutschland war die Bürde für das zweite Halbfinale, zumindest was Dramaturgie und Qualität anbetrifft, ins Unermessliche gestiegen. Umso schlimmer wirkte es da, dass sowohl die Niederländer als auch die Argentinier das Spiel spielten wie man es in der Regel in einem Halbfinale bei einem WM-Turnier tut. Der gesamte Auftritt wurde von einer Taktik bestimmt, die auf Fehlervermeidung angelegt war. Nur keine Risiken eingehen, die Null so lange wie möglich halten und dann, sollte der Gegner einen Fehler machen oder in den eigenen Reihen eine geniale Idee zünden, das alles entscheidende Tor machen. So lauerten sie, neunzig Minuten, einhundertzwanzig Minuten. Es fiel kein Tor und insofern war es für die Zuschauer, die noch am Vortag ungläubig fasziniert zurückgeblieben waren, eine drakonischen Entziehungskur in Sachen Spannung und Unterhaltung.

Die Sichtweise, wer bei diesem Mikado die bessere Figur abgegeben hat, wird sicherlich sehr differieren. Aus meiner Sicht sprach vieles für ein weit überlegenes Argentinien, das taktisch alles richtig gemacht hat und dann doch noch, nach einem Stück des zweistündigen Schweigens, einen Donnerknall beim Elfmeterschießen erschallen ließ, der dem Trainer der Niederlande, der sich noch nach dem dramatischen Finale für den Einsatz des Keepers Krul als genialen Zocker hatte feiern lassen, zeigte, wie schnell die Enttarnung manchmal funktioniert. Mit dem Mythos eines fulminanten Königsmordes gestartet, kam nach dem Spiel gegen Spanien eigentlich nichts mehr, was die Aura modernen Fußballs verströmte. Van Gaal, der Haudegen, zerrte jedes, aber auch jedes alte Monstrum destruktiver Taktik aus den rostigen Arsenalen des finsteren, mit Kriegsmetaphern kontaminierten Spiels. Dass er damit nicht bis ins Endspiel reüssierte, ist ein weiteres Highlight dieses Turniers. Damit wurde nicht nur das Tiki Taka, sondern auch die abgespeckte Version der Dominanz durch Hin- und Her-Geschiebe das Ablaufen ihrer Halbwertzeit aufgezeigt, was natürlich nicht heißen muss, dass in der Provinz nicht mehr damit gearbeitet werden muss.

Neben dem hypertonisch, um nicht zu sagen cholerisch wirkenden niederländischen Coach Louis van Gaal wirkte der Argentinier Alejandro Sabella wie ein Gentleman. Der eher zierliche Mann, der selbst auf drei Kontinenten Fußball spielte und auch als Trainer vielfältige und langjährige Erfahrungen sammelte, verfügt innerhalb Argentiniens über keine Hausmacht. Ohne die Lobbies der großen Vereine Boca Juniors oder River Plate besitzt der kluge Taktiker der Estudiantes de La Plata zwar über ein gehöriges Maß an Unabhängigkeit, die dann letal wird, wenn der Erfolg ausbleibt. Sabella war der Sieger des abends, denn das Spiel wurde über die Metiers von Strategie und Taktik entschieden. Sabella antizipierte die Regie van Gaals und die Argentinier auf dem Feld wirkten wie Souffleure, die vor den niederländischen Akteueren herliefen und ihnen ihre eigenen Texte vorsprachen, was sehr verdutzte Gesichter hinterließ. Der immer etwas kritisch und unzufrieden aussehende Coach der Argentinier, der dennoch so etwas wie Milde und Stil verströmt, sollte in keiner Weise unterschätzt werden, er vertritt den Teil seines Landes, der geprägt wurde durch die kulturelle Wucht der italienischen Immigranten, mit allen Qualitäten, die das mit sich bringt. Vor uns steht ein Finale, das tatsächlich ein Klassiker ist. Freuen wir uns darauf, alle Akteuere, auf beiden Seiten, warten mit famosen Potenzialen zu einem großartigen Finish auf.