John Williams. Augustus
Unabhängig von der Großwetterlage der Gegenwart, erweitert es immer den Blick, sich mit der Geschichte zu befassen. Es relativiert die eigene Befindlichkeit und führt zu Erkenntnissen unterschiedlicher Art. Manchmal sieht man Parallelen, was zu Erstaunen führt, weil wir doch, wie wir so oft irrtümlich meinen, auf der hohen Zinne der aufgeklärten, modernen und weltoffenen Erkenntnis stehen und tief im Unbewussten den Fehlschluss in uns tragen, alles, was bereits war, habe in seiner fatalen Entwicklung etwas mit der Minderbemittlung der damals Agierenden zu tun. Und manchmal, eher seltener, erstaunen wir, weil wir eine Klugheit im längst Vergangenen entdecken, die wir uns sehnlich herbeiwünschten, weil das Gegenwärtige in seiner Borniertheit allzu erdrückend erscheint.
John Williams, ein in unseren Breitengraden eher weniger bekannter amerikanischer Autor, dessen „Stoner“ und „Butchers Crossing“ großartige Erzählungen sind, hatte sich auch der Herausforderung gestellt, einen historischen Stoff noch einmal neu zu gestalten, ohne gleich einen massenwirksamen Thriller daraus zu machen. Mit „Augustus“, zum ersten Mal 1971 veröffentlicht, ist ihm Großes gelungen. Gleich einer kriminologischen Rekonstruktion in Form von Zeugenaussagen in Briefen erzählt Williams noch einmal die Geschichte des großen römischen Kaisers Augustus, jenes Gaius Octavius Thurinus, Adoptivsohn des Julius Caesar, der nach dessen Ermordung Ordnung in die römischen Verhältnisse brachte und von 31 vor Christus bis 14 nach Christus, also geschlagene 45 Jahre, als römischer Kaiser dem Weltreich vorstand.
Es ist der lange Weg vom jungen Mann zum Kaiser, der in einer Gesellschaft aufwächst, in der Korruption, Dekadenz, Intrige und Eigennutz die vorherrschenden Wesensmerkmale waren, dem es gelingt, nach den ersten erforderlichen militärischen Auseinandersetzungen mit anderen Fraktionen, dem Recht wieder Geltung zu verschaffen, den sozialen Ausgleich zu fördern und den Privilegierten eine Lebensweise nahezulegen, die der offiziellen Staatsdoktrin von einem römischen Bürgertum entspricht. Das alles gelang diesem Augustus durch die richtigen Freunde, durch eiserne Disziplin gegen sich selbst, durch Toleranz und das, was so oft treffend als Augenmaß bezeichnet wird.
Jenseits der konkreten Biographie, die durch Zeitzeugen mit deren Dokumenten nachgezeichnet wird, schimmern die Themen durch, um die es eigentlich geht. Es geht um ein Staatswesen, das durch den Eigensinn und die Zügellosigkeit der Handelnden vor dem Ruin steht, es geht um Staatsräson und Konsequenz, es geht um Maßnahmen der guten Regierungsführung, es geht um Disziplin und Toleranz und es geht um Herrschaft. Augustus, so kann man aus Williams brillanter Erzählung schließen, brachte vor allem eines mit, was Herrschaft verlangt, nämlich die Fähigkeit, zwischen Person und Funktion zu unterscheiden.
Augustus hat viele Entscheidungen getroffen, die ihm als Person mächtig widerstrebten und die ihm weh taten, aber er traf sie, weil es das Amt, die Funktion, sie erforderten. Das war ihm bewusst und das war der Schlüssel zum Erfolg. Es ist redundant, allein auf diese notwendige Differenzierung in Bezug auf das aktuelle Zeitgeschehen hinzuweisen. Wie es überhaupt an Aktualität nicht mangelt. Wie der Verweis des Augustus auf die zersetzende Kraft des Moralismus oder auf den Irrglauben, Gesetz und Sanktion seien in der Lage, die Tugend der Regierten zu wecken, sondern es bedürfe der inneren Überzeugung, dass die Gesetze den eigenen Interessen entsprächen.
John Williams „Augustus“ erhellt ein wichtiges Kapitel der Vergangenheit und enthält nützliche Hinweise für die Gegenwart.
- Originaltitel : Augustus
- Taschenbuch : 480 Seiten
- ISBN-10 : 3423146125
- ISBN-13 : 978-3423146128
- Abmessungen : 12.1 x 2.7 x 19 cm
- Herausgeber : dtv Verlagsgesellschaft (8. Dezember 2017)
