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Auf dem Weg in einen autoritären Staat? Eine Episode

Wenn das Postulat der Freiheit einer immer stärkeren Welle von Sanktionen weicht, verliert es an Glaubwürdigkeit. Das ist zum einen ein logischer Schluss, zum anderen aber auch ein Zeichen von eigener Verunsicherung. Wer sich selbst auf der richtigen Seite glaubt, wer die eigene politische Verfasstheit für die überlegene hält, muss nicht zu Mitteln greifen, die als das gängige Vorgehen der kollektiv verurteilten Staatsformen in anderen Ländern, die als autoritär regiert angesehen werden, gelten. Dieses ist jedoch zunehmend der Fall. Und es trägt zu einer mentalen Erosion bei, die noch Folgen haben wird.

Ein kleines Beispiel dafür ist die Verurteilung einer jungen Frau im Norden Deutschlands, die von einem dortigen Amtsgericht zu einer für ihre Verhältnisse beträchtlichen Geldstrafe verurteilt wurde, weil sie auf ihrem Social Media Account die russische Invasion in der Ukraine in mehreren Beiträgen befürwortet hatte. Sie lieferte dafür Begründungen, die man nicht teilen muss, genauso wenig wie die Einschätzung der Gesamtlage. Aber ein politisches System, das für sich mit unveräußerlichen Grundrechten wie der freien Meinungsäußerung wirbt, die weder das System selbst noch seine Mitbürgerinnen und Mitbürger beeinträchtigt, hat das nicht mehr viel zu tun.

Interessant ist die Urteilsbegründung. In dieser werden die mentalen Gefahren für die Öffentlichkeit genannt, die sich aus solchen Äußerungen ergeben. Sie seien dazu geeignet, die Menschen aufzuhetzen und die ein Klima zu schaffen, das dazu geeignet ist, den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu gefährden und – die Wahrhaftigkeit der medialen Berichterstattung anzuzweifeln. 

Einmal abgesehen davon, dass eine solche Sichtweise Lichtjahre von den Sätzen eines Voltaire, der davon sprach, dass er überhaupt nicht mit der Meinung seines Gegenübers einverstanden sei, aber alles tun werde, dass diese kundgetan werden könne, ist diese Begründung dazu geeignet, genau die Zustände herbeizuführen, die in den Ausführungen befürchtet werden. 

Mehr noch, sie impliziert, dass nur die Akzeptanz einer wie auch immer definierten herrschenden Meinung den gesellschaftlichen Zusammenhalt garantiert. Wer so argumentiert, hat das Wesen von Demokratie gelinde gesagt missverstanden. Die Kontroverse, ob bei relativ kleinteiligen gesellschaftlichen Fragen wie bei der Einschätzungen von großen Gefahren, ist der Kerngedanke von Demokratie. Wird sie als Gefahr definiert, dann ist der Weg für den autoritären Staat.

 Nähme man bei der Betrachtung der medialen Berichterstattung der letzten Jahre Maß, ob es um die Begründung von Corona-Infektionen ging oder bei der Ursachenforschung bezüglich des russischen Angriffs auf die Ukraine, dann füllen die Beiträge, die die Gesellschaft pausenlos erdulden musste, genügend Stoff, um einen gewaltigen Apparat von Sondergerichten aufzubauen,  um sich juristisch gegen die zahlreichen Beiträge der Verhetzung, Aufheizung, Spaltung, Diskriminierung und Verunglimpfung zu erwehren. Viele Beiträge erinnerten an die wenig ruhmreichen Zeiten in unserer Vergangenheit. Bis heute ist mir kein Urteil bekannt, dass diesem Treiben seitens der Leitmedien, seien es die der in Privateigentum befindlichen Presse noch der Entgleisungen im öffentlich-rechtlichen Spektrum, versucht hätten Einhalt zu gebieten. 

Eine Erklärung dafür könnte sein, dass in der Justiz bereits große Panik herrscht, sich durch die Anzweiflung der so genannten herrschenden Meinung selbst zur Zielscheibe von Diskriminierung, Verunglimpfung oder gar juristischer Verfolgung zu machen. 

Um ein Land zu beherrschen, so die durchaus zutreffende Einschätzung vieler Befreiungsbewegungen auf der Welt, brauchst du die Zeitung, die Lehrer und die Polizei. Das Problem mit der Justiz löst sich danach von selbst. Das gilt nicht nur für die Befreiung, sondern auch für den Weg in einen autoritären Staat. 

Fußball-EM: Demagogisches Theater

Das Turnier ist vorüber und die Fronten scheinen klar zu sein. Betrachtet man die Kommentare auf Artikel aus den Sport- wie Massenjournalen, dann finden sich unzählige Einträge, die sich auf das Verhalten der englischen Fans beziehen. Da wird moniert, dass beim Abspielen der Nationalhymnen der jeweiligen Gegner Englands kräftig gebuht wurde, da wird unsportliches Verhalten auf dem Platz beklagt, da werden die martialischen Motivationsversuche des englischen Trainers attackiert, der vor dem Spiel gegen Deutschland vom II. Weltkrieg gefaselt hat, da herrscht Kopfschütteln wegen Hasstiraden gegen ein kleines Kind in deutschem Trikot, das weinend im Stadion saß, da hagelt es Vorwürfe, warum sich die britische Regierung in Zeiten von Corona nicht gegen das Ansinnen der UEFA gestellt hat, Sicherheitsabstände im Wembley-Stadion zu ignorieren und da existiert Entsetzen gegenüber der Reaktion von Teilen des Publikums, das in rassistischer Weise auf die Schützen misslungener Elfmeter reagiert hat. Summa summarum entsprechen alle beklagten Verhaltensweisen nicht dem Bild, das einst von englischem Sportsgeist und dem damit verbundenen Fairness-Begriff existierte. So, wie es aussieht, hat England nicht nur das Finale verloren, sondern auch seinen Ruf.

Der jeweilige Gegenstand der Empörung kann nicht geleugnet werden. Doch bei der Erklärung dafür wird es zumeist nebulös. Zum einen ist zu konstatieren, dass das Gemeinsamkeitsgefühl, das für den Gedanken eines vereinigten, gemeinsam agierenden Europas nicht mehr existiert. Der Verlust bezieht sich nicht nur auf England, sondern ebenso auf Ungarn, das ebenso in der Kritik stand und nicht einmal wegen des Auftretens seiner Fans oder seiner Mannschaft, sondern wegen eines Gesetzes, das die Regierung eingebracht hatte. Im Westflügel führte das Gefühl, dass eine administrative Zentralisierung der EU die nationale Souveränität gefährde zum Brexit, im Ostflügel ist diese Befürchtung ebenfalls vorhanden und sie wird weiterhin einen Konflikt eskalieren. 

Zum anderen ist das Bild, welches von den englischen Fans nun hierzulande vorherrscht, eine ziemliche genau Replik auf die Kontur, die durch die englische Presse mit ihren Massenorganen des Murdoch-Konzerns seit Jahren über Rest-Europa gezeichnet wurde. Es wurden Feindbilder auf beiden Seiten produziert, die in Zeiten von Dauerkrisen, die mit Existenzängsten prall gefüllt sind, auf fruchtbaren Boden fielen. Die Talfahrt des Journalismus, die durch die Monopolisierung der Presse und die Instrumentalisierung derselben durch Regierungen stattgefunden hat, ist verantwortlich für die tiefe, emotional aufgeladene Spaltung zwischen verschiedenen europäischen Nationen. Der gemeinsame Geist eines europäischen Projektes ist am Boden und es wird nach Fehlern gesucht, die selbstverständlich bei den jeweils anderen liegen. Genau das ist die Botschaft, die ein durch monopolistische Besitzverhältnisse und daraus resultierenden Produktionsverhältnissen demontierter Journalismus in die Welt setzt.

Man mag darüber spekulieren, wem das nützt. Auf jeden Fall jedoch dem Ressentiment und der Verschärfung der Konkurrenz. Die nächsten Maßnahmen, die bekanntlich nur noch aus Sanktionen bestehen, werden auf der jeweiligen Seite emotional auf fruchtbaren Boden fallen und die Spaltung beschleunigen. Wenn es eine Blaupause für die Art und Weise gibt, wie so etwas zu bewerkstelligen ist, dann war es diese Fußballeuropameisterschaft. Das zum Teil praktizierte Niederknien einzelner Mannschaften vor dem Spiel gegen Rassismus oder das Präsentieren von Regenbogensymbolen war der Sand, der in die Augen gestreut wurde. 

Wenn es, jenseits der sportlichen Ereignisse, ein Fazit dieses Turners gibt, dann sollte es die Weigerung sein, sich instrumentalisieren zu lassen: auch in England und Ungarn leben viele Menschen, denen es genauso geht wie uns hier. Zum Teil sind sie verzweifelt, zum Teil suchen sie nach Wegen, wie sie aus der Krise herauskommen. Das ist doch eine Gemeinsamkeit, die stärker ist als jedes demagogische Theater.