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Rechtstaatlichkeit und Empathie

Das Sommerloch ist nicht nur eine langweilige Veranstaltung. Bei genauem Hinsehen fördert es vieles zu Tage. Gerade weil sich die Medien krampfhaft nach Themen umsehen, die die Verlangsamung des gesellschaftlichen Lebens wieder beschleunigen können, greifen sie in die Dramaturgenkiste und präsentieren Angebote zur Erhitzung der Gemüter. Bei Katastrophen wie Brückeneinstürzen, Kindesmisshandlungen, Missernten, Drogenexzessen von Personen des öffentlichen Lebens u.a. wird sehr deutlich, worum es neben der sommerlichen Öde geht. Wie zwei Gladiatoren in der Arena stehen sich dort Betrachtungsweisen gegenüber, die, verabsolutiert, die Katastrophe bedeuteten, die in ihrem gelungenen Zusammenspiel vieles lösen würden, aber im Kampf gegeneinander immer Schäden verursachen, die gesellschaftliches Gewicht haben.

Sind die Kostüme erst einmal entrissen, sehen wir, dass sich in besagter medialer Arena ziemlich unversöhnlich die Rechtsstaatlichkeit hier und die vermeintliche Empathie dort gegenüberstehen. Auf der einen Seite versuchen die staatlichen Institutionen, nach Recht und Gesetz zu handeln, auf der anderen Seite moniert eine Fraktion genau das als unempathisch, als gleichmacherisch, als gefühllos. Die Forderung, die sich daraus ableitet, ist in der Regel jedoch eine andere: Es ist ein einziges Plädoyer für so genannten Volkszorn und Selbstjustiz.

Browst man durch die Gazetten, übrigens bis hin zu jenen, die das noch rudimentär vorhandene Bildungsbürgertum für sich reklamiert, wird sehr schnell deutlich, was da so alles gefordert wird: da geht es um Vorverurteilung, da geht es um kurzen Prozess, da geht es um emotional bemessenes Strafmaß, da geht es um Sündenböcke und da geht es um die Skandalisierung rechtmäßigen Vorgehens. In Anbetracht der Dimension, in der das stattfindet, ist es nicht übertrieben davon zu sprechen, dass das Prinzip der Rechtstaatlichkeit seine letzten Gefechte führt.

Denn was die mediale Horde aufgrund der temporär geringer werdenden Sensationsniederschläge vom digitalen Himmel herunterpeitschen lässt, das lebt die Politik in dieser Republik in Slow Motion, so, dass es jeder genau sehen kann, mit dem moralisierenden Anspruch mit jedem Atemzug vor. Da werden Sanktionen verhängt aufgrund von angenommenen Taten. Da werden fremde Länder unter Bruch internationalen Rechts wegen mutmaßlicher Vergehen bombardiert und da werden diplomatische Sanktionen prophylaktisch verhängt. Jedem Richter, der in einer Atmosphäre der Rechtstaatlichkeit sozialisiert ist, muss sich der Magen umdrehen, wenn er sich das, was die offizielle Regierungspolitik ist, unter den Prinzipien zu Gemüte führt, die von derselben als das Plus der eigenen Wertegemeinschaft angeführt wird.

Recht ist kein Wert an sich. Recht ist die Zusammenfassung der normativ als vernünftig erachteten Verhältnisse, in denen sich die Glieder einer Gesellschaft bewegen sollen und wollen, um einen für alle Seiten gedeihlichen Ertrag erwirtschaften zu können. Das aus der bürgerlichen Revolution entwickelte Recht hat genau diesen Gedanken zur Grundlage. Und  dieser Gedanke macht den Charme aus, den dieses Recht immer noch versprüht.

Und dieser Charme ist dahin, wenn die Werbevertreter dieser Rechtsauffassung intern wie weltweit dazu aufrufen, den individuellen Raub und den Ruin der Vertragspartner zu betreiben. Man kann es auch einfach ausdrücken: Sie rufen „Lobet den Herrn!“ und meucheln den bedürftigen Bruder.

Und es beginnt alles so scheinbar harmlos bei einzelnen Aufregerthemen im Sommerloch. Rechtstaatlichkeit versus vermeintlicher Empathie. Man sollte sich sehr gut überlegen, ob man in das blutrünstige Gebelle gegen die rechtstaatlichen Institutionen mit einfällt. Eh man sich versieht, trabt man mit dem faschistischen Mob durch die gute Stube.

Die Dramaturgie des Sommerlochs

Das viel beschriebene Sommerloch böte eigentlich die Gelegenheit, sich von den vielen aufgeladenen Nachrichten und Meldungen, die das ganze Jahr über auf das ungeschützte Publikum herunterprasseln, etwas zu erholen. Denn zu wenig hat das alles noch mit einem Recht auf Information zu tun. Bagatellen aus allen Weltregionen werden emotional aufgeladen als wichtige Neuigkeiten verkauft und tatsächlich wichtige Ereignisse und Entscheidungen, diejenigen, wo Weichen gestellt werden und durch die das Publikum tatsächlich betroffen wird, werden entweder gar nicht übermittelt oder sie laufen als unerhebliche Petitesse so eben mit durch den Ticker. Das Ganze hat System, ist aber nicht alles. Das Sommerloch, das so gut tun könnte als eine temporäre Schonung der Nerven und als Übung, auch ohne artifizielle Überreizung für eine Weile leben zu können, hat eine bestimmte dramaturgische Funktion.

Jedes Jahr, wenn das Parlament nicht tagt, die Hitze über das Land zieht und die Familien mit den Kindern das Weite oder die Natur suchen, wird zumeist ein Thema durch die Gazetten gejagt, das alles ersetzt, was sonst der Meldung würdig wäre. Zumeist ist es eine Übung in Ideologie. Denn die meisten Organe, die online bis auf jedes Smartphone von Ibiza bis in den Himalaya strahlen, machen nichts mehr aus purem Vergnügen und schon gar nichts, um gesellschaftliche Ereignisse im Sinne ihres Auftrages und ihrer Freiheit kritisch zu reflektieren. Sie probieren aus, wie weit sie gehen können gegenüber dem Volke mit abenteuerlichen Thesen, einer unverschämt rücksichtslosen Haltung oder einer an den Grundfesten nagenden Außenpolitik.

Und kaum haben die letzten großen Bastionen der Schulkinder in Deutschlands Süden nun auch Ferien, da hat das Land das Thema seines Sommerlochs. Das wahrhaft Schlimme daran ist, dass es zumeist um Menschen geht, die hier Schutz suchen und die keinen Schutz haben oder aufbauen können gegen die vielen Versuche, sie in bestimmten Lichtern zu sehen. Abgeschottet von der Öffentlichkeit verharren sie im Wartezustand, während so genannte Spezialisten das Thema Flüchtlinge und Asyl vor den Kameras durchexerzieren. Und alles, was an abstrusen Ideen von irgendwelchen Hinterbänklern artikuliert wird, findet sich in den Schlagzeilen des nächsten Tages. So ganz nebenbei ist das wieder ein Beleg für die sittliche Reife derer, die derartige Nachrichten aufbereiten. Sie spielen mit Existenzen, statt sie in ihrer Würde zu schützen.

Und als wäre es nicht genug mit diesem Sommerloch-Thema des Jahres 2015, so wird gleichzeitig versucht, gegen Enthüllungen im Netz mit dem staatsanwaltlichen Hammer zuzuschlagen. Die Meinungsfreiheit, die sich im Netz und in der Bloggerszene Form verschafft hat, ist anscheinend den über die Meinungsindustrie Herrschenden ein Dorn im Auge. Cameron, der am übel riechenden britischen Nationalismus leckende Populist, will drüben, auf der Insel, Facebook verbieten, und hier soll die Bloggerszene zum Schweigen gebracht werden. Da ist Freiheit in Gefahr, und zwar essentiell!

Und, um das Thema Flüchtlinge noch einmal aufzugreifen: Die Bundesrepublik Deutschland, selbst ein Artefakt aus unzähligen Migrationsbewegungen, hat es verstanden, über Jahrzehnte das Thema Einwanderung konsequent auszublenden. Sie mäandert durch die Epoche der Globalisierung zum einen mit einem antiquierten Begriff Ius sanguinis, der Staatsbürgerschaft aufgrund von Blutlinien, und sie hat keine formulierte Vorstellung davon, wer in diesem Land eine Heimat finden kann und wer nicht. Jetzt diskutieren überforderte Ministerpräsidenten, wie sie Kriterien für Asyl neu interpretieren können, um die Anzahl der Herkommenden zu reduzieren. Und die Verteidigungsministerin fährt nach Tunis, um die dortige Regierung zu überzeugen, die Grenzen wieder dicht zu machen wie zu Ben Alis Zeiten. Das ist schlecht, das ist unwürdig, und es zeugt nicht von einer Kompetenz, die zu Lösungen fähig wäre. Das allerdings ist in der Meinungsindustrie kein Thema.