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Die Tränen des Krokodils

Mord ist Mord. Mord ist der größte anzunehmende Unfall im Zusammenleben der Menschen. Sie sind auf Existenz wie Kooperation angewiesen. Wir, die Deutschen, kennen uns mit dem Mord sehr gut aus. Schon der Ur-Mythos handelt davon. In der Nibelungensage wird der Held ermordet. Unser Siegfried! Wobei der Name bereits einen Widerspruch in sich trägt. Frieden gibt es nicht nur bei Siegen. Aber vielleicht erklärt dieser Fehlschluss bereits das Denken in der aktuellen Polititk. Dennoch: Unser Siegfried! Von hinten! Nach dem momentan sich im Sprachgebrauch befindlichen Wendungen war schon das ein feiger, ein verabscheuungswürdiger und brutaler Mord. Wobei sich die Frage stellt, welcher Mord mutig, welcher Mord sympathisch und welcher Mord sanft ist. Oder haben wir es hier bereits mit Floskeln der Hilflosigkeit, der Ratlosigkeit oder sogar der Hinterhältigkeit zu tun?

Mord ist Mord. Unabhängig davon, unter welchen Umständen er geschieht. Es ist der GAU menschlicher Sozietät. Übrigens überall auf der Welt. Im Westen und im Osten, im Norden und im Süden. Und er kann begangen werden mit Messern, aber auch mit einem Bügeleisen, einem Cricketschläger, einem Hammer, mit Schusswaffen, mit Gift, mit Panzern und Raketen. Man kann ihn individuell begehen oder in Formation, es kann einzelne Opfer treffen oder große Kohorten.

In den USA, übrigens einem Land, in dem hervorragende, sympathische Menschen genauso leben wie in Frankreich, in Italien, in der Ukraine, in Serbien, in der Türkei, in Syrien, in Israel, in Palästina, im Iran, in Afghanistan, in Russland, in China und in Japan, ja, wie überall auf der Welt, in den USA ist der Besitz von Mordwerkzeugen am verbreitetsten. Und die Außenpolitik dieses Landes ist seit ihrer Vormachtstellung auf der Welt gekennzeichnet durch die höchst organisierte Form des Mordes, nämlich den Krieg. Kein anderes Land hat nach 1945 so viele Kriege mit so vielen Opfern geführt. Der Krieg ist der Superlativ des Mordes. Der Vernichtung von Existenz und Sozietät. Und, nur zur Erinnerung, verloren wurden diese Kriege seit Vietnam alle.

Zurück ins eigene Land! Wer Kriege initiiert und sich bereitwillig an ihnen beteiligt, wer Kriegsmüdigkeit der Bevölkerung fürchtet und die Kriegstüchtigkeit propagiert, wer täglich nach immer neuen Massenvernichtungswaffen schreit, wer keinen Gedanken darauf verwendet, das organisierte Morden zu beenden, hat sich bereits aus der Form zivilisierter Kooperation der Menschen untereinander herauskatapultiert. Wer sich an organisierter Vernichtung aktiv beteiligt, darf sich nicht über die Rückwirkungen, mit denen derartige Aktionen einhergehen, beklagen. Was schrieb Paul Celan in seiner Todesfuge, seinerseits Bewohner von Czernowitz, gelegen in der heutigen Ukraine? Der Tod ist ein Meister aus Deutschland!

Weint nicht bei einem Messermord und erklärt den Krieg zur Ultima Ratio!

Es sind die Tränen des Krokodils!

Bei Mythos Mord

Jetzt haben wir die Quittung. Rassismus und Faschismus sind mitten unter uns. Das Schlimme dabei ist, dass die Phänomene nicht mehr politisch lokalisiert werden können. Aus nahezu jedem politischen Lager kommen Sätze, die über Jahrzehnte längst nicht mehr als salonfähig galten. Heute sind sie es. Und zwar in einem Maße, dass es nicht mehr zu ertragen ist. Das ist in vielen Ländern Europas so, in Deutschland ist es eine ausgewachsene Katastrophe. Das Land, das aus seiner suizidalen, mörderischen und neurotischen Geschichte gelernt zu haben schien, ist genauso wenig immun gegen die zivilisatorische Pest wie woanders. Mitunter sind die Symptome noch schlimmer.

Woher stammt das kontinuierlich Barbarische in diesem Land? Es existieren Erklärungsansätze, die alle einige Gramm Wahrheit erhalten, historische, psychologische, soziologische, politische und sogar ökonomische. Und alle liefern wertvolle Erkenntnisse. Aber dennoch! Sind sie mächtig genug, um die Inkompetenz als Nation in einer zivilisierten Welt zu erklären? Oder ist doch alles auf den Ur-Mythos der Deutschen zurückzuführen? Auf den meuchlerischen Mord an dem einzigen positiven Helden, den das Land jemals kannte?

Siegfried, der den Rhein herunter fuhr, um es bis nach Island zu schaffen, die Quelle der nordischen Erkenntnis, um nach seiner erfolgreichen Rückkehr irgendwann in der Nähe der heutigen Kläranlage der BASF von dem Verräter Hagen dahingemetzelt zu werden und einen eines Helden unwürdigen Tod zu sterben. Ist dieser Siegfried und sein unrühmliches Ende die Hypothek, die dazu geführt hat, an Erlöser zu glauben, obwohl bekannt ist, dass sie kläglich scheitern werden? Geht es nur um den Rausch im Flow, der mit der tiefen Depression nach dem Sturz bezahlt wird? Oder ist das auch nur eine Erklärung wie vieles andere, das diesem Land aufgrund seiner zahlreichen mächtigen Ränder attestiert, zwar das Zeug zu genialen Gedanken zu haben, aber keinerlei Kompetenz in Sachen Staatsführung und Demokratie?

Von welcher Perspektive auch betrachtet, der öffentliche Zugang zum Giftschrank des zivilisatorischen Untergangs war immer zugänglich, und daran hat sich nichts geändert. Und vielleicht ist es an der Zeit, die deutsche Binnensicht einfach aufzulösen und nach anderen kulturellen wie staatlichen Modulen zu suchen, die die ätzende Abhängigkeit vom Totalitarismus auflöst. Was dieser Kulturraum benötigt, ist vieles. Auf jeden Fall ein langes und zähes Training, um die Fähigkeit zu einem tatsächlichen und wahrhaftigen gesellschaftlichen Diskurs zu erlangen. Das kollektive Schweigen und die passive Betrachtung der aktiven Schreihälse haben zu dem Debakel geführt, in dem wir uns befinden. Es darf keine Angst geben vor dem Streit und den daraus resultierenden Wunden. Nur Ensembles, die es verstehen, sich zu streiten, erlangen die Fähigkeit, politisch zu überleben. Nur wenn der legendäre „Kleine Mann“ es lernt, dem eloquenten Rhetor der Verführung zu widersprechen, wird es in diesen Breitengraden zu Veränderungen kommen.

Gesellschaftliches Sein ist kein Schauspiel, das man betrachten kann, ohne daran teilzunehmen. Das ist die Lektion, die diese vermeintliche Nation nicht gelernt hat. Nur wer für das soziale Gebilde, in dem er sich bewegt, leidet oder bereits gelitten hat, lernt das Erreichte zu lieben. Aufgrund der Heimtücke, die uns der Hagen hinterlassen hat, ist es gekommen, dass uns andere das gaben, was wir brauchten, ohne dass wir es schätzten, oder das nahmen, was wir liebten, ohne wir es wussten. Ein Heraushalten ist keine Option. Es geht um Sein oder Nicht-Sein! Begreift das endlich!