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Was sind schon 100 Jahre?

Muddy Waters 100. A Tribute From John Primer And Special Friends

Nun ist der 1946 in Camden, Mississippi, geborene Gitarrist und Bluesmusiker John Primer nicht irgendwer. Immerhin kann er für sich reklamieren, selbst in den Bands von Willie Dixon, Muddy Waters und Memphis Slim gespielt zu haben. Von seiner Herkunft, seinem Können und seiner individuellen Erfahrung bringt er alles mit, um eine musikalische Referenz an einen der ganz Großen des Blues zu erweisen. So verwundert es nicht, wenn er, zusammen mit allerlei Cracks wie Billy Branch, Shemekia Copeland, Gary Clark Jr., James Cotton, Keb Mo oder Johnny Winter ein Album mit dem Titel Muddy Waters 100 aufgenommen hat. Es ist eine Hommage an den großen Inspirator und Inventor des amerikanischen Blues zu dessen 100. Geburtstag, von dem allerdings keiner so genau weiß, wann er eigentlich war.

Die Titel, die John Primer für dieses Album ausgewählt hat, sind eine Auswahl aus dem ungeheuren Repertoire Muddy Waters´. Wie viele der großen Blues Musiker tingelte er sein ganzes Leben von Bühne zu Bühne und schuf hunderte von Songs, die bis heute überall auf der Welt gespielt werden. Über die Güte Primers und der von ihm ausgewählten Musikerinnen und Musiker besteht kein Zweifel und auch die Stücke sind gut getroffen. Was bei den insgesamt 15 Titeln jedoch nur ansatzweise gelingt, ist den Spirit der Musik Muddy Waters in das Jahrhundert nach ihm zu übertragen. Viele der Stücke, wie Got My Mojo Working, Still A Fool, I Be´s Troubled, Why Don´t You Live So God Can Use You, Good News etc. sind so gespielt, als säße Muddy Waters mit im Studio, nur hat John Primer seinen Platz eingenommen. So etwas geht immer ins Auge. John Primer, so gut er ist und so analog zum Original er auch spielt, ist eben nicht Muddy Waters. Die Kongruenz zu den Originalen lässt die Frage zurecht aufkommen, warum man sich die Kopie anhören soll, wenn es doch immer noch die Originale gibt? Die Aura eines Muddy Waters war einzigartig, die Kopie, so gut sie auch ist, kommt nicht an die Atmosphäre des Originals heran. Es ist ein Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit.

Zur Ehrenrettung und als Empfehlung sei gesagt, dass doch einige Songs dabei sind, die sehr gelungen sind, eben weil sie eigene Aspekte enthalten. I´m Ready zum Beispiel, bei dem Johnny Winter noch mitspielt, allerdings sehr nah an der Waters-Version, allerdings mit einer Frische und Verve, die den Eindruck hinterlassen, als sei das Stück gerade neu eingespielt. Insgesamt am gelungensten ist allerdings die Version Mannish Boy. Das Stück, kongruent zum Original, wirkt allerdings durch einen intelligenten Off-Beat im Drum Loop Programming und die melancholischen Piano-Akkorde von Blaise Barton wie ein Zitat, das nicht nur in die Moderne passt, sondern sie auch distanziert erklärt. Rosalie, eine augenzwinkernde Ballade aus dem Jahr 1942, wird durch die Violine von Steve Gibbons aus den Archiven zu neuem Leben erweckt und ist ein so untrüglicher Hinweis auf die sprichwörtliche Lebensfreude Muddy Waters. Und letztendlich 40 Day And 40 Nights, mit Gary Clark Jr., dem Shooting Star aus Texas an der Gitarre und einer rhythmischen Innovation zum Original, deutet daraufhin, wie zeitlos die musikalischen Ideen des Mannes waren, der am Mississippi aufwuchs und Chicago auf den Kopf stellte. Was sind schon hundert Jahre? Eine Frage, die ihm gefallen hätte.

Louis Armstrongs neue Stimmen

Dr. John. Ske-Dat-De-Dat. The Spirit Of Satch

Niemand hat den Namen und das Image New Orleans so geprägt wie er. Niemand hat mit dem eigenen Lebensweg so das Klischee beschrieben wie er. Niemand hat den Jazz mehr etabliert wie er. Und niemand konnte sich als Weltstar so durchsetzen wie er. Seine Heimatstadt New Orleans tat sich dennoch schwer mit ihm. Es dauerte noch viele Jahre nach seinem Tod, bis man ihm dort, woher er kam und von wo der Ruhm ausging, ein Denkmal aufstellte. Sein Erfolg machte ihn suspekt. Luis Armstrong, der in einer Besserungsanstalt der Stadt lernte, Kornett zu spielen, setzte das fort, was Buddy Bolden begonnen hatte. Er spielte den binären Jazz und gelangte über einen Mississippi-Dampfer nach Chicago und New York und von dort auf alle Bühnen der Welt. Er wurde zur geliebten Marke und durchbrach alle Rassengrenzen. Satchmo, wie sie ihn wegen seines großen Mundes nannten, hat den Geist dieser Stadt New Orleans, dieser Fusion vieler Kulturen, der Welt nah gebracht.

Malcom Rebenack, bekannt als Dr. John, ebenfalls in New Orleans geboren, nur vierzig Jahre später, ist das heutige musikalische Gewissen und Gedächtnis der Stadt, die trotz der Verwüstungen Katrinas und des Mordversuchs des damaligen Präsidenten Geaorge W. Bush überlebt hat. Dr. John sang gegen die Schweinereien an und besinnt sich immer wieder der Stärken seiner Stadt. Da ist es kein Wunder, dass Dr. John nun alle großen Namen aus New Orleans zu einem Projekt ins Studio brachte, um dem großen Bruder Louis Armstrong die Referenz zu erweisen. Was dabei herauskam, ist sensationell, inspiriert und geht unter die Haut.

Nicholas Payton, Terence Blanchard, Arturo Sandoval, Telmary, Bonnie Raitt, Anthony Hamilton, Wendell Brunious, Ledisi, James „12“ Andrews, Shemekia Copeland oder die Dirty Dozen Brass Band sind allesamt zu große Kaliber, als dass sie einem Fehler unterlägen, dem nur Plagiatoren anheim fallen. Nein, sie kopierten die bekannten, weltbekannten Stücke des Louis Armstrong nicht, sondern sie hauchten ihnen den Spirit ein, der heute durch jede Straße und jede Bühnenritze New Orleans schimmerte. Konservatoren sprächen vielleicht sogar von Missbrauch. Aber genau das Gegenteil ist der Fall! Durch die eigenwilligen Interpretationen von What A Wonderful World, Mack The Knife, I Got The World On A String, Gut Bucket Blues, Nobody Knows The Trouble I´ve Seen oder Memories Of You wurde eine neue musikalische Welt geschaffen, die den Geist Louis Armstrong atmet und das Kunststück vollbringt, diesen in unsere heutigen Tage zu transponieren. Das machen die verschiedenen Interpretinnen und Interpreten im Sinne ihrer eigenen Stärken, mit denen sie durchweg bestechen.

Dr. John, der sich nicht nur als vielseitiger Musiker der Rock ´n Roll, Blues und Jazz bewiesen hat, überzeugt als großartiger Arrangeur, der sich selbst zurücknimmt, um die von ihm gewonnen Größen voll zur Wirkung kommen zu lassen. Man hört bei jedem Takt, dass es ihm um das Projekt ging. Das ist ihm gelungen. Jedes Arrangement besticht, weil es diesen großartigen, weil menschlichen Geist atmet, den Louis Armstrong verbreitet hat. Wenn es ein Stück gibt, das sich wie ein Komet aus dem Ensemble herauslöst, dann ist es Tight Like This, mit Arturo Sandoval an der Trompete und Telmary als Stimme, wie selbstverständlich mit einem Spanischen Text. Die Interpretation streicht über die Haut wie ein eisiger Wind, da wispert der Weltgeist die Idee der Musik wie ein Geheimnis ins Ohr. Zumindest so, wie sie in New Orleans gelebt wird.