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Der DFB und die Florida-Kriterien

Um die Jahrtausendwende wartete der US-amerikanische Ökonom, Politologe und Initiator neuartiger Studien zur urbanen Entwicklung, Richard Florida, mit einer Theorie auf, die weltweit Bürgermeister wie Stadtentwickler inspiriert hat. Er sprach von der Entstehung einer kreativen Klasse und ihrem massiven Einfluss auf florierende urbane Entwicklung. Florida identifizierte drei Voraussetzungen, die darüber entscheiden, ob heute, im Zeitalter der bisher umfassendsten Globalisierung, eine Stadt den Weg nach oben findet. Es waren Talente, Toleranz und Technologien. Dieser Mix von technischer Produktivkraft, der Bindung juveniler Eliten sowie einem Klima des Respekts und der Freiheit sind nachweislich überall dort zu finden, wo man heute Erfolgsgeschichten nachlesen kann. Auch die Florida-Thesen haben zu hitzigen politischen Diskussionen geführt, doch darum geht es an dieser Stelle nicht.

Als nach der Weltmeisterschaft 1998 zum zweiten Mal nach 1994 festgestellt werden musste, dass es um den deutschen Fußball nicht zum besten bestellt war, begann im DFB eine Diskussion, die für eine derartig große Organisation sehr schnell sehr praktische Konsequenzen haben sollte. Angesichts einer in der Bundesliga gängigen Praxis, statt Talente zu fördern lieber Profis aus dem Ausland zu kaufen, initiierte der DFB nun Programme, die diese Tendenz aufhalten bzw. umkehren sollten. Natürlich spielten die Vereine mit, sonst hätte sich nichts bewegt, aber die Initiative ging von dem von allen immer wieder als bürokratischem Moloch erlebten DFB aus.

Dieser setzte bei seinen eigenen Trainern neben der Talentförderung auf ein Klima der Toleranz, was dazu führte, dass unter den Talenten, die heute bereits weltweit durch ihre Leistungen auf sich aufmerksam machen, sehr viele Immigrantenkinder sind, deren integrative Wirkung hierzulande alle anderen Bemühungen übertrifft. Des Weiteren arbeiteten die Trainerstäbe mit Methoden, die gerade jetzt, bei der WM in Brasilien, international für großes Aufsehen sorgen und wohl dazu führen werden, dass die Nutzung von High-Tech, quantitativer wie qualitativer Datenauswertung, Bewegungsdiagrammen, Soziogrammen und sozialpsychologischer Gutachten wohl auch in dem einen oder anderen Verband vorgeschlagen werden wird. Will man sich ein Bild davon machen, auf welchem Niveau dagegen der deutsche Fußball vor eineinhalb Jahrzehnten war, sehe man sich den englischen heutzutage an.

Ohne es explizit reflektiert zu haben, was nebenbei gesagt auch Unsinn gewesen wäre, hat der DFB und haben die meisten Bundesliga-Clubs die Prinzipien des Richard Florida auf den Fußball angewendet und sie waren erfolgreich. Die Özils, Boatengs und Schürrles sind das Ergebnis einer Talentförderung, die mit den Stärken der Technologie und den Grundsätzen der Toleranz vorangetrieben wurde und die zu dem geführt hat, was momentan als Blaupause des Non-Plus-Ultra im Weltfußball diskutiert wird. Das ist insofern eine sehr positive Meldung, als dass es gelungen ist, in einem Milieu, dass traditionell mit dem Ressentiment arbeitet, eine andere Dimension des sozialen Verkehrs zu etablieren, die vielen Bereichen der Gesellschaft sogar überlegen ist. Es ist die Zeit, auf diese positiven Entwicklungen im Fußball zu schauen statt seinerseits die Ressentiments gegen dieses Gewerbe zu mobilisieren, wie es immer wieder versucht wird, um diese vermeintlich letzte Männerbastion – was bereits auch der Vergangenheit angehört – zu stürmen. Wer immer noch den Fußball in Deutschland exklusiv als Hort deutsch-nationaler Hooligans identifiziert, den kann man zur glücklichen Existenz im letzten Jahrtausend beglückwünschen.

Und was wäre, so könnte man sich fragen, wenn die Förderung der Talente, auf hoch wissenschaftlichem Niveau und unter Voraussetzung der Toleranz und der Betrachtung der Potenziale statt der Normen, Eingang fände in das Bildungssystem? Oder ist der hiesige Föderalismus träger als der DFB?