Schlagwort-Archive: Scholz

Ukraine: Die Sündenböcke sind schon ausgemacht

Während der bellizistische Meinungsföhn nach wie vor kräftig durch die deutschen Medien bläst, ist Bewegung ins Spiel gekommen. NATO-Generalsekretär Stoltenberg, der das große Ohr immer auf die taktischen Erwägungen Richtung USA gerichtet hat, ließ auf den jährlich stattfindenden  Kultaranta-Gesprächen in Finnland die Katze aus dem Sack ( https://www.blick.ch/ausland/nato-generalsekretaer-stoltenberg-aendert-rhetorik-wie-viel-gebiet-ist-die-ukraine-bereit-fuer-den-frieden-zu-opfern-id17571925.html). 

Dort stellte er die Frage, wieviel Gebiet die Ukraine aufzugeben bereit sei, um einen baldigen Frieden zu erreichen. Er verwies dabei auf die Abtretung von Teilen Kareliens seitens Finnland an die damalige Sowjetunion, was Finnland eine lange Periode des Friedens, der Unabhängigkeit und der Sicherheit gebracht habe. Der Vorschlag impliziert die Erkenntnis, dass der Krieg im Gegensatz zu den Bekundungen der gegenwärtigen ukrainischen Regierung nicht zu gewinnen sei. Diese Einschätzung gewinnt durch die gegenwärtige militärische Situation von Tag zu Tag mehr Gewissheit.

Im Gegensatz dazu insistieren sowohl Präsident Selenskyj als auch der in Deutschland akkreditierte Botschafter Melnyk auf der Version des möglichen Sieges, sofern Deutschland endlich in ausreichendem Maße schwere Waffen liefere. Damit ist, sollte es anders ausgehen, auch schon die Schuldfrage gelöst. Sollte sich der militärische Sieg gegen die Atom-Macht Russland nicht einstellen, hat es an der deutschen Zögerlichkeit und konkret an der Person des Bundeskanzlers Scholz gelegen. Dass sich ein Großteil der hiesigen Medien wie der von ihnen getriebenen Politikerklasse mit dieser Version identifizieren, zeugt von einem bedenklich illusionären Zustand. Doch das steht auf einem anderen Blatt. Sündenböcke sind auf jeden Fall schon einmal ausgemacht.

Die bevorstehende Ukraine-Reise von Kanzler Scholz, und den Präsidenten Macron und Draghi ist hingegen ein sehr positives Zeichen. Zum einen bieten sie damit der ukrainischen Regierung keine  Möglichkeit weiterhin zu spalten. Zum anderen dokumentieren die drei damit, dass sich so langsam eine europäische Kontur abzeichnet, die sich an europäischen Interessen und nicht an den global-amerikanischen orientiert.

Wiewohl sich auch in den USA die Stimmen mehren, die davor warnen, sich in Europa durch die Auseinandersetzung  mit Russland zu verzetteln, wo doch der Hauptfeind in China zu sehen ist. Den USA ist, sollte sich diese Ansicht durchsetzen, zu bescheinigen, dass sie jenseits der offiziellen Bekundungen hinsichtlich von Menschenrecht und Freiheit sich vor allem an den handfesten imperialen Interessen orientieren. Das wäre, nüchtern betrachtet, die Lehre, die die ukrainische Regierung ziehen könnte, wenn sie wollte. Die Unterstützung der USA geht immer soweit, wie es den eigenen Interessen dient. Wird dieses Feld verlassen, dann sind sie aus dem Spiel.

Und das wiederum wäre die Lehre, die man auch in deutschen Landen daraus ziehen müsste. Es geht nie, und da sei einer der Politiker zitiert, die heute so gerne als ein Illusionisten diffamiert werden. 

„In der internationalen Politik geht es nie um Demokratie oder Menschenrechte. Es geht um Interessen von Staaten. Merken Sie sich das, egal, was man Ihnen im Geschichtsunterricht erzählt.“

Dass sich daraus die Frage ergibt, wer hier und heute eigentlich als prominentes Opfer des Illusionismus bezeichnet werden muss, liegt auf der Hand. In dieser emotionalen Gemengelage ruhig zu bleiben und sich nicht treiben zu lassen, ist ein hohes Gut. Und dass sich momentan immer mehr Stimmen regen, die auf einen Kurswechsel drängen, an dessen Ende ein möglichst baldiger Waffenstillstand steht, ist ein gutes Zeichen. Auch das muss einmal gesagt werden!

Reaktionen auf die SPD: Zwischen Schrecken und Erlösung

Die mediale Aufregung ist groß. Und die Art und Weise, wie über die Abstimmung innerhalb der SPD über ihren neuen Parteivorsitz berichtet wird, hat den Charakter eines schweren Indizes. Noch am Vorabend, am Black Friday des Konsumterrors, der den Zeitgeist sehr gut umschreibt, wurde noch über Radiowellen ein deutlicher Vorsprung des unterlegenen Kandidatenpaares Geywitz/Scholz behauptet. Woher derartige Prognosen kommen, weiß niemand. Oder doch? Jedenfalls erweisen sich diese Meldungen als so etwas wie eine vage Hoffnung derer, die es mit dem Status Quo haben. Die Behandlung des Duos Esken/Walter-Borjans in den Medien im Vorfeld ließ sich als Kesseltreiben einer die Neutralität nicht mehr begreifenden Meute im Gewande des Journalismus beschreiben. 

Nun, nachdem die Entscheidung gefallen ist, wird spekuliert. Im Wesentlichen geht es den Spekulanten auf dem Informationsmarkt vor allem um Personalien und die Frage, ob die große Koalition weiterbestehen bleibt oder nicht. Darum geht es vordergründig. Dass zumindest ein Viertel der SPD-Parteimitglieder sich die Frage gestellt haben, ob es nicht an der Zeit ist, über einen Paradigmenwechsel in der Partei nachzudenken und diese damit zu retten, diese existenzielle Frage wird seitens der Meinungsindustrie nicht zugelassen. Darum geht es jedoch.

Was bei den einen Angst und Schrecken auslöst, sorgt auf der anderen Seite für Euphorie. In den Social Media konnten zuweilen die knallenden Sektkorken im antiken linken Lager gehört werden. Dort wird jetzt von einer neuen Ära geträumt, in der alle Linken wieder vereint sind und dann auch noch Mehrheiten zustande bringen, aus denen Regierungen hervorgehen, die alles, was Jahrzehnte des Wirtschaftsliberalismus angerichtet haben, wieder zurecht rücken könnten. Das ist rührend, aber auch illusionär.

Im Ruhrgebiet, zu den Zeiten, als der große Sensenmann noch nicht am Horizont zu sehen war, konnte man lernen, dass man zwei Dinge in seinem Leben niemals machen dürfe: Seine Klasse und seinen Fußballverein verraten. Das klingt aus heutiger Sicht ein bisschen irre, aber aus ihm spricht der gute Instinkt, dass es eine soziale und kulturelle Verortung geben muss für einen Menschen, sonst hat er keine Grundlage. Nicht, dass der Schwenk der Sozialdemokratie mit der Jahrtausendwende  hin zum Wirtschaftsliberalismus der alleinige Grund für die zentrifugalen Kräfte der Gesellschaft gewesen wäre. Nein, die waren und sind auch ohne Sozialdemokratie in vollem Gange. 

Ihre Rolle jedoch wäre es gewesen, das zu erkennen und dafür zu sorgen, dass sich diejenigen, gegen die der Feldzug der Couponschneider begann, nämlich das eigene Klientel, dabei zu unterstützen, sich zu wehren. Stattdessen begab man sich ins Management der Gegenseite, um Schlimmeres zu verhindern. Das wurde der Partei nie verziehen und als Verrat begriffen. Und dass sie nun damit aufhört, sich diesen Umstand schönzureden, ist begrüßenswert, aber macht aus ihr noch keine neue, andere Partei. Zwanzig Jahre im Management politisch bizarrer Regierungen, ohne die programmatische Klarheit, für die gute Politik immer steht, haben viele Funktionäre geformt, die nicht das Bedürfnis haben, diesen Kurs wieder zu ändern.

Dass das Ergebnis der parteiinternen Abstimmung auf der einen Seite Entsetzen, auf der anderen Erlösungsgefühle auslöst, spricht für zweierlei. Einerseits für die Relevanz, die die Existenz der SPD noch für viele Menschen besitzt. Andererseits für das Wissen um die Notwendigkeit eines Kurswechsels in der Politik generell. Ein Weiter so! kann es nicht geben. Weder in der SPD, noch in der Gesellschaft. Mehr ist mit den aktuellen Ereignissen nicht geklärt. Wie es weiter gehen soll, das wird die Gesellschaft wie die SPD noch einige Zeit beschäftigen.