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Samba, Mariachi und kollektive Visionen

Die Weltklasse eines Fußballspielers erkennt man auch daran, wie theatralisch er sich fallen lassen und einen Freistoß schinden kann. So die Worte eines Kommentators. Wir in Deutschland wussten schon lange, wie groß zumindest die schauspielerische Weltklasse des Niederländers Arien Robben ist. Die Sympathien, die er sich in Brasilien durch sportliche Leistungen erspielte, sind nach den degoutanten Schwalben gegen Chile wohl bei dem einen oder anderen wieder verflogen. Wie insgesamt, trotz Sieg nicht zu verkennen war, wo die Grenzen des derzeitigen Systems van Gaal liegen. Die Teilung der Mannschaft in unterirdische Morlocks, die an den Öfen schuften und schillernden überirdischen Solisten birgt eine fragile Linie, die sich zu einem stattlichen Riss vergrößern kann, wenn Funktionsstörungen auftreten, die einem der beiden Lager zugeschrieben werden können. Dann regiert auf der jeweiligen Seite sehr schnell wieder das Ressentiment und das Team ist dahin. Das muss nicht so kommen, die Wahrscheinlichkeit jedoch steigt mit der Qualität der jeweiligen Gegner.

Und immer noch lastet ein kontinentaler Druck auf der brasilianischen Combo, die weit davon entfernt ist, bereits im Samba-Rhythmus von Erfolg zu schweben. Jeder Punkt war bis jetzt harte Arbeit und auch Kamerun hat sich lange gegen den Tropensturm gewehrt, bis die Klasse des jungen Neymar die Sache entschied. Dennoch, bei jeder Aktion ist spürbar, wie sehr die Akteure unter Dampf stehen und wie sehr ihre Operationen durch Blockaden gehemmt sind. Da kann sein, dass irgendwann der Knoten platzt, aber Chile wird wohl der richtige Gegner zum richtigen Zeitpunkt sein. Wer Chile bezwingt, wird bei diesem Turnier zu den Großen gehören, wer von ihnen seinerseits besiegt wird, überreicht letzteren den Passierschein in den Olymp. Dramaturgisch hätte es nicht besser ersonnen werden können und das Symbol dieser Inszenierung wird der Condor sein.

Genauso genial inszeniert der Siegeszug der Mexikaner, die wie eine Reconquista von ihren Vulkanen herunter geströmt sind auf die südliche Hälfte des Kontinents, um zu zeigen, dass diese Nation geschmiedet wurde in den Wirren des Kolonialismus, in tribalen Aufständen und in einer Antizipation späterer europäischer Befreiungsbewegungen, immer mit dem Gestus des zwielichtigen Revolverhelden, aber auch immer mit einer infernalen Liebe zur Freiheit. Mexico Mexico Ra Ra Ra, der Schlachtruf ging bis jetzt durch die brasilianischen Stadien und Diminutive wie das des Chicharito Hernandez, der kleinen Erbse, täuschten eine Sozialverträglichkeit vor, die trügerisch und tödlich zugleich war. Die kleinen Männer aus dem Land des Mariachi brauchen keine Messer, um fußballerische Existenzen zu meucheln, ihnen reichte die eigene Begeisterung.

Die kollektiven Visionen haben bis dato die Oberhand. Ob es die niederländische Revanche für die Niederlage im südafrikanischen Finale ist, die auf einem Bild der Wiederauferstehung basiert, die brasilianische Dominanz in der Heimat, die mexikanische Identität in einem chronisch geschüttelten Land oder die chilenische Wiedergeburt nach Jahrzehnten der politischen Barbarei. Die amerikanischen Nationen werden getragen von einer euphorisierenden Idee, während die Dominanz des alten Europa, die auf technische Suprematie insistiert, empfindliche Schläge hinnehmen musste. Wir alle wissen, dass die materielle Macht irgendwann die Ideen wieder verfolgt. Die Macht kommt bekanntlich aus den Läufen der Gewehre. Aber die Stunden, in denen die Ideen das Übergewicht haben, die zählen zum Hochgefühl der Menschheit.

Große Gefühle, für die Ewigkeit bestimmt

Stan Getz Plays Bossa Nova

Der 1927 als Stanley Gayetzsky in Philadelphia geborene Sohn jüdischer Einwanderer sollte unter dem amerikanisierten Namen Stan Getz zu einem der erfolgreichsten Jazz-Saxophonisten seiner Zeit werden. Obwohl sein Leben einer Achterbahnfahrt gleichen sollte, das immer wieder negativ geprägt war durch Eskapaden und Ausfälle aufgrund seiner Heroinsucht und seines späteren exzessiven Alkoholismus, versagte er auf der Bühne nie. Musikalisch begann er als ein vehementer Verfechter des Bebop, bevor er sich immer weiter zum Cool Jazz entwickelte. Seine größten Erfolge erzielte er jedoch in seiner Latin-Phase. Dazu gehörten betörende Annäherungen an Samba und Bossa Nova. Mit der Einspielung des Titels Desafinado erlangte er eine langanhaltende Weltpräsenz. Getz, der zwischenzeitlich auch in Kopenhagen lebte und immer wieder die Clubszene in Paris aufmischte, hatte eine Affinität zu den musikalischen Entwicklungen vor allem in Brasilien.

Stan Getz Plays Bossa Nova ist nicht nur ein wunderbares Zeitdokument. Die Aufnahmen bestechen durch einfühlsame Arrangements und eine erstaunliche Tonqualität. Die insgesamt 18 Stücke entstanden zusammen mit dem Who Is Who des lateinamerikanischen Jazz mit Künstlern wie Luiz Bonfá, Antonio Carlos Jobim, Paulo Fereira, Edison Machado sowie Joao und Astrud Gilberto. Jede Einspielung für sich dokumentiert, welche großartige Konstellation da zusammengekommen war. Girl von Ipanema, Menina Moca, Só Danco Samba oder Sambalero weisen darauf hin, mit welcher Empathie es dem Nordamerikaner Getz gelang, die schlurfenden südamerikanischen Rhythmen zu untermalen, ohne ihnen die Dominanz zu nehmen. O Grande Amor ist eine bewegende Hymne an die einigende Diktion verschiedener Musikstile bei der Interpretation des universalen Themas. Besonders hier wird deutlich, wie sehr der Ton des Tenoristen alles hielt. Getz, dem böse zeitgenössische Stimmen nachsagten, er spiele nicht mit den gebräuchlichen Schilfblättern, sondern mit Türstoppern, gelang es eine Stabilität und Klarheit zu erzeugen, die eine ungeheure Kraft voraussetzten (für die Aficionados: Er spielte unlackierte Ricos der Stärke 5!!!).

Samba Triste und Corcovado untermauern noch einmal die ungeheure Kraft dezent artikulierter Melancholie und Manha De Carnaval ist eine einzigartige Inszenierung mit einem großen Bläsersatz und einer verblüffenden Regie, die Jim Hall mit der Gitarre gelingt. Alles, was sich dort so leicht und geläufig anhört, ist große Kunst, die Symbiose des portugiesischen Fados, der sich an den brasilianischen Stränden in die tropische Leichtigkeit gespült hat mit der technischen Brisanz des nordamerikanischen Big-Band-Jazz. Stan Getz bewegt sich wie immer mit einer Leichtigkeit über diesen Konstruktionen, die bis heute nicht erreicht ist. Und Samba De Uma Nota Só, live eingespielt, dokumentiert noch einmal, worum es dem großen Kommunikator zwischen den Kulturen ging: Die Fusion verschiedener Musiktraditionen mit dem amerikanischen Jazz.

Die vorliegenden Aufnahmen zeigen mehr als alle anderen Produktionen dieses erfolgreichen Tenorsaxophonisten, worin sein großes Verdienst lag. Stan Getz gelang es, die multikulturellen Traditionen, die den amerikanischen Jazz ausmachen, tatsächlich so zu vertonen, dass das Wesen des Genres nicht aufgegeben wurde, obwohl die es beeinflussenden Gene freigelegt wurden. Es sind kongeniale Arrangements musikalischer Brillanz, deren Zweck es ist, das Motiv voll zum Ausdruck zu bringen. Große Gefühle, die, auch wenn alle Anfang der sechziger Jahre irgendwo in New York City eingespielt, auf vielen Kontinenten für die Ewigkeit bestimmt sind.