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Ein Panorama der zeitgenössisch virulenten Themen
Jürgen Lodemann. Salamander. Ein Roman
Manchmal sind die Werke bestimmter Autoren so bahnbrechend, dass sie automatisch für den gesamten Schaffensprozess genommen werden. Bei Jürgen Lodemann, der auf sehr vielseitiges Schreiben zurückblicken kann, hat sicherlich „Der Mord“ dazu beigetragen, ihn mit der literarischen Aufarbeitung der urdeutschen Siegfried-Saga zu identifizieren. Kennerinnen und Kenner wussten vielleicht noch, dass er auch mit dem Lynch-Roman als versierter Autor von irischer Geschichte gelten konnte. Aber, ein Roman im Hier und Jetzt? Ja, da gab es ganz früh schon „Essen Viehofer Platz“, aber war das nicht einfach nur Vergangenheitsbewältigung? Es fällt auf, ganz so einfach ist es doch nicht mit Jürgen Lodemann.
Und das wird er wohl gewusst haben, als er den Roman „Salamander“ schrieb, der 2010 zum ersten Mal erschien. Es ist ein Roman, der im zeitgenössischen Deutschland spielt. Genauer gesagt, geographisch, in Freiburg. Und noch genauer, im Viertel Vauban, ehemals Kasernen- und Militärfläche der Franzosen, dann, nach deren Abzug, umgewandelt zu wohl der Blaupause für alternatives und ökologisches Wohnen in der Republik. In diesem Vauban besitzt der Ich-Erzähler eine schicke Wohnung, von der aus man einen weiten Blick genießt und die sich trefflich eignet für das folgende Räsonnement.
Das Konstrukt des Romans ist so einfach wie gekonnt. Es beginnt mit einem Mord, der in dieser Wohnung begangen wurde. Der Erzähler war nicht dabei, sondern kam, als die ermittelnde Polizei bereits dort war. Dem Erzähler sind die Personen, die dort anwesend waren jedoch bekannt und er wird aufgefordert, sich zu erinnern. Jedes Detail sei wichtig. Und er bekommt dafür Zeit. Da es sich, welch Zufall, um einen Autor handelt, der sehr starke biographische Züge zum eigentlichen Autor aufweist, erhält Lodemann Gelegenheit, seine Sicht auf die Welt und ihre Widersprüche, Dilemmata und Ergötzlichkeiten in aller Breite zu entwickeln.
Die erzählerische Chronologie springt zwischen Rückbesinnung, die darin besteht, welche Gespräche der Autor mit den am Mord beteiligten Akteuren geführt hat und aktuellen Mahnungen der ermittelnden Behörden, wie es um seinen Bericht steht. Anhand der Aktionsfelder der Figuren entsteht so ein Panorama der zeitgenössisch virulenten Themen. Es geht um Digitalisierung und ihre Anwendung im Bereich der Spionage- und Militärtechnik, es geht um Strategien dagegen, es geht um alternativen Städtebau und Wohlstandsghettoisierung, es geht um Lortzing und seine Oper Regina, es geht um sexuelle Libertinage und um Diversität, es geht um das Schreiben als Profession, es geht um die Melange von Geschäft und Politik, es geht um unterschiedliche Lebensfelder wie Hamburg, Berlin, das Ruhrgebiet und eben jenes Freiburg, es geht um Emigration und Immigration und es geht um den gefühlt ewig währenden Konflikt zwischen Orient und Okzident.
Das alles kommt, im Laufe der Erzählung, alles andere als überfrachtend, auf die Leserschaft zu. Sie wird belohnt mit einer starken Dosis der eigenen jüngsten Kulturgeschichte. Der Erzähler ist ein parteiischer, aber kein doktrinärer, denn er sieht immer die beiden Seiten der Medaille. Lodemann ist ein kluger, überaus kluger Erzähler, der weiß, wann es Zeit ist, um eine Sache beschaulich zu durchleuchten, und wann die Handlung wie ein Blitz präsentiert werden muss.
Wer das Leben, wie wir es hier und heute vorfinden, mit seinen Widersprüchen und Absonderheiten akzeptiert, bekommt mit „Salamander“ ein großartiges episches Zeugnis.
