Schlagwort-Archive: Saint-Exupéry

Veränderung – Struktur oder Mensch?

Die Vorstellung, Verhältnisse, die nicht mehr den Erfordernissen entsprechen, zu ändern, und dann werde alles gut, ist eine statische. Dazu ist das Leben zu komplex. Nicht selten werden jedoch Prozesse, die auf Veränderung aus sind, zu monothematisch, zu eindimensional und zu schlicht von den Initiatoren geplant. In unseren Breitengraden ist dieser Reduktionismus in erster Linie technokratischer Natur. Aus dieser Sichtweise werden vor allem die Strukturen und die in ihnen waltenden Instrumente ins Auge gefasst. Das ist naheliegend, trifft aber nie den Kern. Das Wesentliche bei der Umgestaltung von Verhältnissen sind die Denk- und Handlungsmuster der in ihnen aktiven Menschen. Ändere die Struktur, erneuere die Instrumente, und lasse dabei die Akteuere allein, dann nutzen sie das neue Beiwerk, um ihr altes Spiel zu spielen.

Es existieren unzählige Beispiele für den technokratischen Irrtum, gesellschaftlich, organisatorisch wie sozial. Jede Erneuerung eines Staatswesens, ob bei der Einführung der bürgerlichen Demokratie oder bei der Vollstreckung der sozialistischen Revolution, scheiterte noch daran, dass die Gesellschaft als agierende Kraft keine mentale Erneuerung erfuhr. Die reproduzierten Hierarchien, die restaurierten Machtverhältnisse und die renovierten Abhängigkeiten waren nicht zurückzuführen auf falsche Besitzverhältnisse, irrige Steuersysteme oder schlecht erdachte Institutionen, sondern auf die Denk- und Handlungsweise profilierter Eliten, die es nicht anders kannten und keinen Vorteil darin sahen, sich und ihr Umfeld zu ändern. 

Die unendliche Geschichte des Scheiterns von Veränderungsprojekten produziert in einer deprimierenden Stetigkeit ein Resümee, das so nicht stimmen muss. Es begnügt sich mit der Feststellung, so sei nun einmal der Mensch und seine Geschichte, sie sei die der unendlichen Ungerechtigkeit. Warum, aus heutiger Sicht, die Verzweiflung ausgerechnet bei der Betrachtung von Projekten zustande kommt, die nahezu notorisch das Menschliche ausblenden, muss mit kollektiver Verdrängung zu tun haben. Wer menschliches Handeln und Denken verändern will, sich aber ausschließlich auf Strukturen und Institutionen konzentriert, darf sich nicht wundern, wenn alles so bleibt, wie es ist.

Selbstverständlich existieren Ansätze, den Menschen zum Zentrum erwünschter Veränderung zu machen. Gerne, auf Festveranstaltungen von Pädagogen, wird das berühmte Zitat Saint-Exupérys hervorgeholt, dass da besagt, man müsse die Sehnsucht nach dem großen, weiten Meer wecken, um gute Schiffbauer zu erziehen. Und tatsächlich existiert eine Kultur, die der Bugis auf der Insel Makassar, die das so macht. Im technokratischen Westen, so müssen wir feststellen, bleibt es ein schönes Apercu auf einer literarischen Matinee. In einer kulturellen Hemisphäre, in der der Fokus auf dem Zählen, dem Wiegen und dem Messen liegt, ist Sehnsucht eine als romantisch bezeichnete und belächelte Kategorie zu betrachten.

Es ist höchste Zeit, von dem hohen Ross zu steigen, dass der Industrialismus und die mit ihm einhergehende Technokratie errichtet hat. In der östlichen Hemisphäre existieren metaphysische Begriffe, die es nahelegen, menschliches Fühlen, Denken und Verhalten zum Zentrum gewünschter Veränderung zu machen. Alles, was dem dient, auch Strukturen und Institutionen, erwächst aus dieser Überlegung, nicht umgekehrt. Und vielleicht resultiert die Zeitenwende, die immer deutlicher wird, auch aus diesem Unterschied. Das Materielle des Westens hat im Vergleich zum Spirituellen des Ostens zunehmend das Nachsehen. Es muss ja nicht heißen, dass Wissenschaft und Technik obsolet sind. Aber es heißt, dass der Mensch das Zentrum der Veränderung sein muss. Und nicht sein Umfeld. Und nicht der Apparat. Beim Betrachten des politischen Diskurses wird die ganze Misere deutlich.