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Lobby Waff und der Sänftenträger Ihrer Majestät

Ich komme noch einmal darauf zurück. Auf das Lachen. Wichtig ist, und erste Regel, lache über dich selbst. Wenn du das nicht kannst, lass es sein. Wer über andere lachen will, aber sich selbst als sakrosankt betrachtet, der hat den Sinn nicht verstanden. Lachen ist Distanzierung, Überzeichnung und auch Objektivierung. Wer in der Lage ist, mit sich selbst solch ein Experiment durchzuführen, der oder die hat bereits die Fähigkeit zur Rollenreflexion. Wenn ich mich selbst aus der Distanz betrachte, sehe ich zugleich auch meine Wirkung auf andere. Indem ich vielleicht die eine oder andere Handlung, den einen oder anderen Charakterzug überzeichne, dokumentiere ich meine Fähigkeit zur Inszenierung meines eigenen Ichs in einem sozialen Umfeld. Und indem ich mich zum Gegenstand einer eiskalten Studie mache, kommuniziere ich, dass es nicht um meine Person, sondern um jemanden wie meine Person geht. Und das ist, hinsichtlich der Sozialkompetenz, bereits ganz großes Kino!

So genannte Professionelle üben das, die Distanzierung, Überzeichnung und Objektivierung. Die „Normalen“ wummern existenziell irgendwo dazwischen und verreißen sich in emotionalen Stresszuständen. Ganz profan hat das zur Folge, dass weniger gelacht wird. Ein gutes Beispiel ist da die Politik, auch wenn es nur ein Beispiel ist und die viel gepriesene Zivilgesellschaft genauso den Humor zu verlieren scheint. Da gab es, in anderen Zeiten, immer wieder den Versuch, den Charakter oder das Verhalten von Politikerinnen oder Politikern so zu labeln, dass es etwas aussagte über ihre Essenz. Der Zustand, mit dem wir gegenwärtig konfrontiert werden, scheint das nicht mehr herzugeben. Entweder, sind die Beobachter des politischen Geschehens nicht mehr in der Lage, das zu tun, oder die Beobachteten geben nichts mehr für eine saftige Charakterisierung her. Oder beides. Letzteres ist vielleicht das Wahrscheinliche.

Nun, es sei in Erinnerung gerufen, dass alleine in der Nachkriegspolitik Figuren und Charakterisierungen in die allgemeine, kollektive Metaphorik Einzug gefunden hatten, die vieles, auch im harten Diskurs, doch einfacher machten. Da gab es den Häuptling Silberlocke (Kiesinger), Old Schwurhand (Zimmermann), Birne (Kohl) und Cognac Willy Brandt), das blonde Fallbeil (Stoiber), Acker (Schröder), Onkel Herbert (Wehner) und Schmidt Schnauze (Schmidt), die Heftklammer (Eichel) oder die Pfütze (Tiefensee). Erstens stammen bis auf eines die Beispiele alle aus dem Westen, was an der Perspektive des Autors liegt und verziehen werden möge, zweitens handelt es sich bei den Bezeichnungen nicht gerade um außergewöhnlichen Einfallsreichtum, aber immerhin!

Allein dieser Ansatz wäre doch übertragbar auf die momentan handelnden Akteure und würde vieles erleichtern. Mit Mutti oder der Raute liegt ja bereits ein erster Versuch für Frau Merkel vor, Gabriel hieß einmal Siggi Pop, würde aber heute als Lobby Waff oder Goslar Raunz nicht schlecht da stehen. Schäuble hätte etwas von Dr. Guillotin, Steinmeier wäre die eine Niere, Nahles könnte als Eitel Pamp durchgehen, Seehofer als der notorische Horst, aus von der Leyen würde von der Leichen, aus Dobrindt würde Hybrid und aus Altmeyer der Sänftenträger ihrer Majestät. Die Bankenrettung könnte auch als Bandenrettung durchgehen, das Integrationsgesetz als Infiltrationsgeschwätz, der Deal mit der Türkei wäre staatlich geförderte Rückführung als Ausgleich zur Schlepperei, der VW-Abgasskandal als Verbrennungsvandalismus und die Auto-Lobby als innovationsscheue Korporation.

Es ginge vieles, wenn ein Wettbewerb einträte, wie denn die Hirn- und Geschmacklosigkeit, mit denen die Öffentlichkeit immer wieder konfrontiert wird, am besten zu betiteln wäre. Dann träte genau die Distanz ein, die vonnöten ist, die Ereignisse entspannter zu bewerten und dennoch konsequent zu sein.

Le jour de gloire est arrivé?

Mein Gott, hat sich die Welt verändert! Meistens denken wir dabei an die Technik, die Zeiten, als es noch keinen Anrufbeantworter, keine CD-Player, keine Holographie, keine Einheitliche Feldtheorie und keine virtuelle Realität gab. Zu der Realität, die wir vorfanden, gehörten Frauen, die Panik bekamen, wenn samstags der Fernseher kaputt war und der Mann nicht Sportschau gucken konnte und die montags, auch bei wolkigem Himmel, zum Einkaufen erschienen und dabei Sonnenbrillen trugen, weil sie Opfer ehelicher Gewalt geworden waren. Bankkonten durften sie später erst selbst eröffnen genauso wie sich entscheiden, ob sie arbeiten gingen oder nicht. Und als die erste Ministerin im Kabinett Adenauer erschien, redete er die Riege mit „meine Herren“ an. Auf den Protest der Ministerin, sie sei eine Dame, schrie dieser ziemlich echauffiert: „Hier sind Sie immer noch ein Herr!“

Seit den sechziger Jahren des letzten Jahrhunderts hat sich vieles getan und es geschah nicht von selbst. Frauen standen auf, um sich Rechte zu erkämpfen und Männer machten mit. Alles, was heute als die Errungenschaften der Frauenbewegungen gepriesen wird, wäre undenkbar ohne eine Generation von Männern, die mitmachten bei der Neudefinition der Rollen. Heute, rückblickend, wurden heftige und ebenso naive Diskussionen geführt. Bücher mit Titeln, die die heute Jungen eher befremdlich fänden, erhitzten die Gemüter, von der Funktion des Orgasmus in der spätkapitalistischen Gesellschaft, über Bornemanns Patriarchat bis zu Wesels Mythos vom Matriarchat. Der sexuellen Befreiung folgte so manche Prüderie und neben dem allmählichen Wandel der realen Lebenswelten hielten sich die Hard-Core-Ideologinnen, die dem eigenen Geschlecht nicht halfen, sondern einen Mühlstein nach dem anderen um den Hals hängten.

Heute, gut vierzig Jahre später, sind die verschiedenen Konturen immer noch sichtbar und vieles ist noch nicht erreicht. Vom Zeitgeist ist das Maskuline in der Defensive, was angesichts der anthropologischen Axiome verkraftbar, gesellschaftlich gesehen nicht glücklich ist. Aber das sind Petitessen angesichts der grandiosen Erfolge, trotz der Widerstände des Machismo und trotz der Inquisitorinnen im eigenen Lager. Erfrischend die Erkenntnis, das Dogmatismus und Inquisitorenlogik geschlechterunabhängig jeder Bewegung schaden und das Leichengift eines jeden Emanzipationsgedankens darstellen.

Vielleicht gehört auch zur Normalität, dass die Überhöhungen ein Ende finden. Deutschland wird an entscheidenden Stellen von Frauen dominiert, Angela Merkel, Liz Mohn und Hilde Springer mögen dafür stehen. Macht, ansonsten ein eindeutiges Signum für Erotik, scheint angesichts derartiger Konstellationen zuweilen das Gegenteil zu bewirken. Es ist gut, dass derartige Illusionen geplatzt sind, Frauen die sich mit der Macht einlassen, handeln so, wie Mächtige das immer getan haben, sonst wären sie nicht da, wo sie sind.

Lauscht man Dialogen der Jungen, dann erscheinen die jungen Frauen oft so wie vor vierzig Jahren die Männer, und bei den jungen Männern ist es nicht selten umgekehrt. Die Dominanz liegt bei den Frauen, und die Männer, sozialisiert in einer Welt, in der vieles im Fluss war, erscheinen oft als Vertreter der moderaten Belanglosigkeit. Da braucht man weder Dreispitz noch Messingfernrohr, um einen erneuten Wandel vorauszuahnen. Und das gehört vielleicht zu den Lehren eines halben Jahrhunderts der Rollenreflexion: Der Schlüssel für die Gerechtigkeit zwischen den Geschlechtern liegt nicht in der Dominanz, sondern in der Autonomie beider. Diese Erkenntnis ist radikal und wird noch vieles revolutionieren. Vieles ist geschehen. Noch mehr muss verändert werden.