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Zwischen Kriegstreiberei und Appeasement

Die Dresdner Montagsdemonstrationen, die unter dem Namen Pegida vonstatten gehen, haben sich nicht nur als eine rechtsradikale Angelegenheit, sondern auch als ein Wanderzirkus entpuppt. Die steigenden Teilnehmerzahlen sind in starkem Maße auch auf Demonstrationsreisende zurückzuführen, die aus der ganzen Republik erscheinen. Das sind zumeist alt bekannte Rechtsradikale aus den unterschiedlichsten Organisationen und Regionen. Es zeigt, wie attraktiv eine rechte Renaissance für einige doch ist und es verdeutlicht, dass Dresden mit seinem Potenzial wohl an der Obergrenze steht. Es relativiert, aber es beruhigt nicht.

Zunehmend wird deutlich, dass die formulierten Ziele der dortigen Bewegung eine Politisierung des Futterneides darstellen. Mit dem Mantra, die Ausländer fressen uns hier alles weg, reklamiert eine Region, die seit der Wiedervereinigung mit die größten Transferleistungen erhalten hat, dass dieses so bleibt und kein noch so bedürftiger Flüchtling egal von wo aus der Welt der sächsischen Selbstverständlichkeit ein Ende bereiten darf. Die Botschaft ist so gut angekommen, dass die politische Konsequenz sehr einfach sein dürfte. Der sofortige Stopp jeglicher Transferleistungen nach Sachsen, bis der ganze Spuk ein Ende hat, wäre die einzige Maßnahme, die sofort griffe und demonstrieren würde, dass man es ernst meint. Wer jetzt dagegen davon schwafelt, man müsse die Ängste und Sorgen derer, die dort demonstrieren, ernst nehmen, ist Bestandteil des Problems.

Resolutionen kreisen, in denen gegen das Unding Pegida mobilisiert wird. Das ist gut und zeigt, dass jenseits der sich zunehmend entlarvenden Politiker aus der ehemaligen DDR so langsam wieder ein Impuls entwickelt, der das vegetative Nervensystem der Demokratie belebt. Aber auch hier sollte die Freude über die spontane und zahlreich zum Ausdruck kommende Bewegung nicht darüber hinweg täuschen, dass die politische Schlagkraft solcher Solidarisierungswellen relativ ist. Vielen, die sich hier eintragen, ist die Dimension der Notwendigkeiten gegenüber der Radikalisierung von Teilen der Gesellschaft nicht deutlich. Fern ab vom Ort des Geschehens ist der Mut oft ohne Risiko. Äußert sich jedoch die Repression in der eigenen Lebenssphäre, dann sind gerade die, die gegen eine Entwicklung in der Ferne so heftig protestieren, zahm wie die Lämmer und nehmen alles hin. Das ist keine Substanz. Leider ist diese Attitüde im Netz sehr weit verbreitet, für einen politische Bewegung mit einer gewissen Durchsetzungskraft reicht das nicht.

Der beste Kampf gegen Pegida, d.h. einer auf archaischen Trieben basierenden Radikalisierung der Gesellschaft, ist Zivilcourage und Widerstand in den konkreten Lebenssituationen, in denen sich Rassismus, Herrschaft und Unterdrückung äußern. Alles andere ist ein Gestus, der unter dem Strich nichts bewirkt. Das Maulheldentum ist eine wachsende virtuelle Erscheinung, die gesellschaftlich keine Veränderung mit sich bringen wird. Diejenigen, die sich jetzt wieder so wohl fühlen, weil sie es im Netz Pegida so richtig gezeigt haben, müssen bei der nächsten Gelegenheit in ihrem eigenen Umfeld darauf hingewiesen werden, dass das Phänomen, hinter dem sich Pegida verbirgt, auch in ihrer eigenen Lebenssphäre wirkt und ganz genau da, vor Ort, Courage und Widerstand erfordert.

Letztendlich ist in den letzten Monaten deutlich geworden, dass Politikerinnen und Politiker, die in der früheren DDR sozialisiert wurden, nicht in die Kontur einer modernen, demokratischen Republik, die sich in einem globalen Kontext zu bewegen hat, passen. Diese Realität muss jetzt ausgesprochen werden. Entweder, sie entwickeln sich, wie im Falle der Ukraine, zu regelrechten Kriegstreibern, oder, wie im Falle Pegida, sie formulieren eine Appeasement-Politik gegenüber dem Neo-Faschismus, die nicht minder gefährlich ist wie ihre Kriegstreiberei.

Bayern: Einheitspartei und Nomenklatura

Ein Freund aus früheren Tagen vertrat in Bezug auf die zentraleuropäische politische Zukunft zuweilen eigenartige Thesen. Aber, das musste man ihm immer konzedieren, nichts von dem, was er von sich gab oder vorschlug, war undurchdacht oder von einem niederen Affekt getrieben. Eine seiner Thesen wird mir anlässlich der sich häufenden Meldungen aus dem Freistaat Bayern wieder gegenwärtig. Er vertrat die Auffassung, dass sich die Bundesrepublik anders orientieren müsse. Dazu gehöre, sich von Bayern und Baden-Württemberg zu trennen. Diese Länder seien eher kulturell zu Österreich gehörig. Der Rest der Republik solle dagegen eher mit den Niederlanden und Dänemark eine Staatenkonföderation anstreben. Dann, so seine Vision, seien viele Irritationen, die aus einer unterschiedlichen Betrachtung und Mentalität resultierten, nicht mehr ein tägliches Ärgernis. Dass er dann, vor allem in Bezug auf Bayern, die neue südliche Union als Habsburger Klüngel bezeichnete, gehörte zu dem geringen polemischen Anteil seiner Ausführungen.

Die Affäre um das Kirch-Imperium, die mysteriösen Tode lokaler Prominenter, Justizskandale wie der um Gustl Mollath, die abenteuerlichen Unternehmensgeschichten wie die einer alpinen Bank, mit der Milliarden verbrannt wurden und nun der Fall um den Bayernpräsidenten Uli Hoeneß weisen schon auf etwas hin, was aus anderen Ländern der Republik betrachtet in hohem Maße befremdet. Nicht, dass es nicht ausgewachsene Affären, Skandale und selbst verursachte Katastrophen auch in anderen Teilen der Republik gäbe. Aber, betrachtet man sie näher, ob es die Elbphilharmonie, der Berliner Flughafen, Stuttgart 21 oder die Duisburger Love Parade sind, allen gemein sind politische Friktionen, die etwas mit einem Wertewandel zu tun haben und eine Planungsüberforderung der Politik in Zeiten explosiver Komplexität. Das ist aber nicht das, was das Phänomen Bayern ausmacht.

Wie kaum woanders herrscht dort seit dem Anschluss an die Republik ein Einparteiensystem, nicht erzwungen, wohl bemerkt. Innerhalb dieser herrschenden Partei hat sich eine Nomenklatura herausgebildet, die Schlüsselpositionen in Wirtschaft, Politik, Sport, Verwaltung und Justiz innehat. Dieser Münchner Zirkel ist der geschäftsführende Ausschuss der tatsächlichen Bayern AG, die zunächst gar nichts mit der gleichnamigen des FC Bayerns zu tun hat, sondern von ihrem Selbstverständnis aus auf kurzem Wege die Geschicke des Landes betreibt. Der Slogan, dem diese Nomenklatura folgt, ist das bekannte Mia san mia. Das, was dieser Zirkel tatsächlich gestaltet, ist weder durch ein Mandat gedeckt noch für die Öffentlichkeit transparent. Hinweise aus dem jüngsten Prozess wegen Steuerhinterziehung weisen auf Verbindungen, die nicht Gegenstand der Ermittlungen waren, deren Enthüllung aber Aufschlüsse geben könnten auf die Geschäftspraktiken der gesamten Nomenklatura. Derartige Ergebnisse wären allerdings kurz vor den bevorstehenden Kommunalwahlen brandgefährlich für die Einheitspartei.

Der verurteilte Hoeneß nahm das Urteil an und opferte sich vermutlich damit für die Diskretion dieser Nomenklatura. Dafür bekommt er jetzt Respektbezeugungen von allen Seiten. Nun ja. Solange die Medien mitspielen, die das Wort der kritischen Investigation nicht einmal mehr buchstabieren können, ist die Welt wieder in Ordnung. Und noch ein Schmankerl am Rande: In München steht nach der langen Amtszeit des Christian Ude auch ein neuer Oberbürgermeister zur Wahl. Kapitale Kandidaten sind ein Sozialdemokrat und einer der CSU. In der Münchner Tradition wäre der Sozialdemokrat der Favorit. Diesen Bonus hat dieser allerdings eingebüßt, weil er, notabene, eine Einladung des FC Bayern zum Endspiel der Champions League nach London angenommen hatte. Ob der Verein dem Kandidaten der CSU auch ein solches Angebot gemacht hat, stand bei Redaktionsschluss noch nicht fest.

Verschmähte Eliten

Eine eigenartige, so gar nicht mit den Kassandrarufen der offiziellen Bulletins korrespondierende Entwicklung verschattet die Zukunft der Republik. Der hysterische Verweis auf die Demographie, deren Entwicklung uns auch die Eliten nähme, derer eine hoch komplexe Zivilisation bedarf, scheint sich als ein Manöver zu entpuppen, das schon im alten Rom von den numerisch abnehmenden Patrizierfamilien befolgt wurde. Der vermeintlich ausbleibende Nachwuchs bezog sich nur auf die Abnahme des eigenen Blutes und damit der Furcht, das Spiel der Macht nicht mehr vollständig alleine beherrschen zu können. Aber schon in der Geschichte Roms zeigte sich, dass es auch anders ging und dass eine republikanische Definition des Staatswesens sich nicht reduzieren lässt auf genetische Linien der Machtausübung.

In unserer Republik, die gegenwärtig noch mit ganz anderen Dingen zu kämpfen hat, die eine demokratische Erosion zur Folge haben könnten, sehen wir eben diese alt eingesessene Elite, wie sie dabei ist, ihren numerisch abnehmenden Nachwuchs von den allgemeinen Höfen einer gesellschaftlichen Sozialisierung zu separieren. Closed Shop-Kindergärten, Privatschulen, exklusive Internate und sozial codifizierte Sportvereine sind zu Foren einer Nachwuchsförderung geworden, die das allgemeine Volk gezielt ausschließen und die dort betreuten Zielgruppen von den Erfahrungswerten des Restes der Gesellschaft isolieren. Die Zeiten, dass man die Schulbänke zusammen mit Bergarbeiter- und Fabrikbesitzerkindern drückte, zusammen Fußball spielte und sich hinterher im Leben noch treffen konnte und auf eine gemeinsame Sprache zurückgreifen konnte, sind für die hermetisch abgeschirmten Bildungseliten Vergangenheit. Sie werden, wenn sie einmal in Macht und Position sein werden, nicht nur nicht mehr begreifen, welche Nöte und Sorgen diejenigen haben, die das harte Brot der Armut essen mussten, sondern sie werden auch nicht mehr in der Lage sein, mit diesen Menschen zu kommunizieren. Insofern sind die deutsch-nationalen Strategien der Elitenbildung nicht nur egoistisch, sondern auch beschränkt und wenig weitsichtig.

Auf der dunklen Seite des Mondes, aus den Mietskasernen, Fabrikhallen und Billiglohnsektoren heraus haben sich hingegen mittlerweile zwei Generationen von Migrantenkindern durchaus zu einem ansehnlichen Teil aufgrund ihrer Qualifikation und sozialen Erfahrung zu dem entwickelt, was man als eingelöstes Anforderungsprofil einer Leistungselite bezeichnen könnte. Ihre Eltern kam noch als einfache Arbeiter aus Anatolien, sie selbst wuchsen in den so falsch bezeichneten prekären Quartieren der großen Städte auf, erkämpften sich Zugang zu Bildung gegen Vorurteile der Deutschen und falsch verstandene Tradition der eigenen Herkunft, qualifizierten sich in hohem Maße, sprechen mehreer Sprachen und verfügen in den meisten Fällen über soziale Empathie. Dennoch haben sie keine Chance, ihre ungezählten Bewerbungen scheitern an einem Ü zuviel im Namen, ihrem orientalischen Aussehen oder am zu starken Bartwuchs. Viele von ihnen, zu viele, sind bereits gegangen, nach Izmir oder Istanbul oder sonst wo hin. Sie haben dort, wo sie aufwuchsen und sich erfolgreich durchsetzen konnten, in den wichtigen Positionen in Wirtschaft und Gesellschaft keine Chance. Nicht dafür zu kämpfen, dass sie sie doch noch bekommen, wäre unrepublikanisch!