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Freier Westen? In jedem Winkel residiert der Wahn!

Wir leben nicht nur in wilden und turbulenten, sondern auch in wahnhaften Zeiten. Das Unberechenbare, Schnelle und vieles infrage Stellende gehört sicherlich zu der Ursache des sich epidemisch verbreitenden Wahns. Mit Wahn sei hier der Versuch gemeint, zwanghaft alles mit einem einfachen Schema beantworten zu wollen. Feindbilder sind ebenso hoch im Kurs wie absurde Theorien, wichtig ist nur, dass die Erklärung monothematisch sein muss. Und wer jetzt meint, aha, jetzt haben wir sie, die Verschwörungstheoretiker, hat sich nur zum Teil nicht geirrt. Der Wahn ist nämlich überall zuhause. Er wohnt in den Stuben der Vereinsamung und im Kanzleramt, er residiert bei Neurasthenikern wie bei Komödianten, er liegt mit den Diktatoren im Bett und frühstückt mit der freien Presse. Er ist das Phänomen, das in den bürgerlichen Gesellschaften die Aufklärung beendet hat und in den Autokratien schon immer Dauergast war. Insofern ist ein Resümee bereits zu ziehen: Vernunft, Verstand, Ratio, Kritik, Selbstkritik und Reflexion haben den Kampf verloren. Vorerst.

Denn alle, die sich auf das kulturelle Gut der Aufklärung berufen, sind zu den Gehetzten geworden. Und kommen Sie mir nicht mit Russland, China, dem Iran oder Saudi-Arabien! Im Herzen Europas, dort, wo die Epoche des kritischen des Geistes stattgefunden hat, existiert nur noch Notbeleuchtung. Dort herrschen die Inquisitoren, die mit den denkbar einfältigsten Erklärungsmustern die nich abreißen wollenden Desaster zu erklären versuchen. Und schon sind wir wieder bei den Feinbildern, die einzeln aufzuzählen ein wenig Bildung und Erziehung verbietet, eben weil es so erbärmlich ist. Was das alles, was erschreckt und zerstört, mit dem eigenen Handeln zu tun hat, diese einfache wie grundsätzliche, ja primordiale Frage des kritischen Geistes, steht als allererstes auf dem Index.

Und wer eine Vorstellung von dem Ausmaß der intellektuell-kulturellen Verfehlung im eigenen Soziotop gewinnen will, der sehe sich an, was alles auf dem Index steht. Fülle wie Charakter der Vergehen, die dort notiert sind, lassen nur einen einzigen Schluss zu: Das Ende der Freiheit ist bereits Realität. 

Wobei wir wieder bei dem Wahn wären. Nichts ist verbreiteter, als der Wunsch, alles zu erfassen, alles zu wissen und alles zu reglementieren. Die technischen Möglichkeiten der Digitalisierung potenzieren dieses Begehren noch. Die Vorstellung, in einer Gesellschaft zu leben, in denen der Staat den Bürgerinnen und Bürgern einen Rahmen garantiert, der ihnen ermöglicht, sich nach ihren Bedürfnissen und Fähigkeiten zu entfalten, ist allenfalls noch ein historisches Dokument. Der Wahn, alles kontrollieren zu wollen, bezeugt das tiefe Misstrauen gegenüber denen, die den Staat eigentlich ausmachen. 

Und wer sich nicht in die Knechtschaft dieses Wahns begibt, der steht ebenso schnell auf dem Index wie die einzelnen Symptome freiheitlich inspirierten Handelns selbst. Das Credo der Wahnhaften ist Regel und Sanktion. Das, was da zum Vorschein gekommen ist, ist ein Fall für die Pathologie und hat mit Recht und Freiheit nichts zu tun. Dass da, um auf ein bekanntes Lied zurückzugreifen, keine Einigkeit mehr zustande kommen kann, liegt auf der Hand.

Die Geschäfte werden geführt von den Handlangern des Wahns. Wer sich über die Entwicklung entrüsten möchte, braucht keine externen Feindbilder. Es reicht, das eigene Haus auszuleuchten. In jedem Winkel residiert der Wahn. Feinde ringsum? Selbstverstümmelung!