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Weltmacht in schweren Eisen

Kongress und Senat sind jetzt in Republikanerhand. Das ist Fakt. Mit den gerade durchgeführten Wahlen sind in den US Zeichen gesetzt worden, die nicht untypisch sind für einen Wandlungsprozess. Die Mehrheit für Präsident Obama im Jahre 2008 war tatsächlich ein Votum für einen grundlegenden Wandel. Der von ihm genannte Change sah vor, große Reformen innerhalb des Landes durchzuführen und die Hegemonialmacht USA in der Welt neu zu definieren. Das waren und sind zwei immense Herausforderungen, denen sich Obama gestellt hat. Das, was hier darüber berichtet wird, hat mit der Wirklichkeit relativ wenig zu tun. Aber daran sollten wir uns gewöhnen. Die Welt kommt nicht einmal mehr in Teilwahrheiten zu uns nach Hause.

Was die angestrebten Reformen innerhalb der USA anbetrifft, so sind nicht nur mit dem Referenzstück, der Gesundheitsreform, Fakten geschaffen worden. Gesetze zum Arbeitsschutz, eine Liberalisierung der Ehegesetze und neue Einwanderungsmodalitäten wurden verabschiedet, die Gerichte werden heute von anderen Amerikanerinnen und Amerikanern repräsentiert als noch vor wenigen Jahren, die oberste Richterin ist eine Latina. Und vor allem bei der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit wurden merkliche Erfolge erzielt. Das alles findet in der Außenwahrnehmung nicht sonderlich statt, ist aber positiv zu bilanzieren.

Die außenpolitische Neudefinition der USA vom Weltpolizisten zum Moderator hingegen muss als ein ziemliches Desaster angesehen werden. Davon wurde unter dem Strich nichts erreicht. Zum einen lag es wohl an der Naivität Obamas, was die Bereitschaft anderer Großmächte anbelangte, sich seiner Offerte zu öffnen. Russland und China sind an stabilen Machtkonstellationen interessiert und müssen nicht neben einer harten Interessenpolitik noch mit einer moralischen Variante jonglieren. Und die Parteien in der arabischen Welt sind zumeist von ihren Bekehrungsphilosophien derart absorbiert, dass ihnen der Begriff Moderation eher wie eine dekadente Unart erscheint.

Dennoch. Die Offerte war da. Das allein reichte nicht. Das größte Projekte, vor dem die USA stehen, ist noch nicht angegangen und wird von einem einzigen Präsidenten und seiner Entourage wohl auch nicht zu stemmen sein. Es handelt sich um einen Paradigmenwechsel hinsichtlich anderer USA, d.h. die militärisch starke Weltmacht mit dem liberalen Markt allein ist nicht mehr zukunftsfähig. Dabei sind die Voraussetzungen nicht schlecht. Es handelt sich aufgrund der immer noch existierenden Einwanderung um ein junges und dynamisches Land, in dem die Tendenz zu Müßiggang und Verfettung noch nicht zum Konsens gehört.

Mit Ausnahme einer Gruppe, die trotz des gestrigen Wahlsieges ihr letztes Gefecht immer wieder vor sich herschiebt. Es sind die White Anglosaxon Protestants, kurz WASPs genannt, die immer noch glauben, ihnen gehöre das Land und die anderen seien nur zu Gast. Dass dem nicht so ist, zeigen zunehmend die demographischen Daten. Entgegen aller unwissenden Spekulationen auf dem europäischen Kontinent ist die Stunde der Afroamerikaner, die mit Präsident Obama scheinbar zu schlagen begonnen hatte, bereits vorbei. Und noch bevor die Latinos in die mächtigen Ämter drängen, werden es die Asiaten sein, die das Bild der zukünftigen USA prägen werden. Das spricht für viel Pragmatismus und mehr Sozialkompetenz. Das wird insgesamt weiterhin ein sehr spannender Prozess sein, der längst nicht abgeschlossen ist.

Der Wahlsieg der Republikaner ist der natürliche Reflex der Geängstigten in einem Prozess des grundlegenden Wandels. Da neigt der Bauch zu fundamentalistischen Sicherheiten. Bis der Schwindel wieder aus dem Kopf ist. Dann geht es weiter. In den nächsten zwei Jahren liegt die Weltmacht in schweren Eisen. Aber das ist nur temporär.

China komplex

Der neue erste Mann der Volksrepublik China übernimmt eine der, wenn nicht gar die erfolgreichste Wirtschaftsnation der Gegenwart. Betrachtet man das statistische Material nach klassischer Manier und nimmt Wachstumszahlen als Indiz für Prosperität, dann kann kaum eine Volkswirtschaft der chinesischen das Wasser reichen. Nirgendwo wurde so viel produziert und nirgendwo soviel investiert wie dort. Schaut man genauer hin, dann zeigen sich jedoch jede Menge gesellschaftliche Sollbruchstellen, deren soziale Sprengkraft nicht überschätzt werden kann. Der Komplex China ist mit allen Aspekten längst eine globale Angelegenheit geworden, weil vieles, was dort in den nächsten Jahren passieren wird, im wahren Sinne des Wortes die ganze Welt betrifft. Da steht der neue Staatspräsident, natürlich rekrutiert aus den festen Reihen der kommunistischen Partei, und seinerseits der erste Ökonom in diesem Amt, im Fokus der Weltgesellschaft.

Der chinesische Aufschwung wurde gewährleistet durch einen strammen Zentralismus, der die planmäßige und rücksichtslose Ausbeutung der Ressourcen garantierte und der wachsenden Ökonomie eine adäquate Infrastruktur zur Verfügung stellte. Eine nahezu unbegrenzte Workforce, die lange Zeit unter den Standards des Weltmarktes zu haben war und ein Heer von Wanderarbeitern von mindesten 50 Millionen Menschen führten zu Produktionsbedingungen, die selbst in Zeiten des Manchester-Kapitalismus nicht angetroffen wurden. Auch die Expansion der Bildungslandschaft, die nach wie vor korrespondiert mit einer massenhaft und exorbitant vorhandenen intrinsischen Motivation der Jugend des Landes, sich via Bildung den Weg in eine bessere Bildung zu bahnen, ist Ergebnis einer zentralistisch fungierenden Planökonomie. Das chinesische Erfolgsrezept wurde zum richtigen Zeitpunkt angereichert durch eine vor allem von Deng Siao Ping betriebene Liberalisierung der Märkte.

Mit seinen Billigprodukten bediente das sich jedoch auch qualitativ weiter entwickelnde China den Weltmarkt und versetzte dem etablierten Kapitalismus vor allem in den USA und zunehmend in Europa einen Schlag, den man bis heute dort kaum wahrgenommen hat. Die Versorgung der einkommensschwachen Klassen mit chinesischen Exportprodukten hat dazu geführt, dass ein jähes Ausbleiben dieser Warenzufuhr zu massiven sozialen Konflikten führen könnte. Bezahlbar sind die Waren aus westlicher Produktion, die zunehmend ökologische und soziale Standards erfüllen, von den großen Massen immer weniger. Wer China zu einer Denkweise drängt, die diesen Aspekten Rechnung trägt, dreht genau an dieser Schraube.

Im Innern des großen Reiches sind die Herausforderungen nur noch im Superlativ zu beschreiben: Die ökologischen Schäden sind immens, die Widersprüche zwischen Arm und Reich sowie zwischen Stadt und Land sind mit einem Zeitalter kaum noch zu bemessen, das mit der ökonomischen Entwicklung zunehmend entstandene Bedürfnis nach bürgerlichen Freiheiten und Rechten wird nicht befriedigt und die Verwaltung mit ihrer inhärenten Parteibürokratie ist korrupt und von Effektivität und Transparenz Lichtjahre entfernt.

Die Zielvorgaben der Partei an den neuen Mann können da nur wie eine Mission Impossible anmuten, denn genau die großen Konfliktlinien soll er beseitigen. Dass es die Partei dennoch ernst meint, lässt sich an der lapidaren Erklärung lesen, dass die Exportproduktion drastisch gedrosselt werden soll, was für mehr Ökologie, bessere Arbeitsbedingungen und höhere Arbeitsentgelte spricht. Wirtschaftlich wird es sich das Land, das über gigantische Rücklagen und Staatskredite an Dritte verfügt, allemal. Ob die dringend notwendigen Reformen nach innen ohne verbriefte Rechte und Freiheiten, ohne Transparenz und den demokratischen Wettstreit von Konzepten wird vonstatten gehen können, bleibt anzuzweifeln. Egal, was hinter der großen Mauer geschehen wird, es wird uns alle betreffen, überall!