Vielen wird in diesen Tagen deutlich, dass die spontane Geste, auf die man sich in der Vergangenheit so schön reduzieren konnte, nicht mehr ausreichen wird. In der Vergangenheit reichte sie nämlich auch nicht, nur war sie billig zu haben und sie wurde gefeiert. Das Problem, mit dem Gesellschaften wie Frankreich, Großbritannien und Deutschland konfrontiert sind, greift tief. Sehr tief. Und die Erklärung dafür, warum diese Gesellschaften auf einen Punkt zudriften, an dem ihre Statik nicht mehr hält, ist alles andere als einfach. Bei schnellen Lösungen, die jetzt in den Äther gedroschen werden, ist Vorsicht geboten. Und es notwendig, sich von einer Spurensuche fernzuhalten, die nach Schuldigen sucht. Das wäre das Ende. An diesem Prozess, der die Gesellschaften zu spalten droht, waren alle beteiligt, die vermeintlich Guten genauso wie die Schlechten.
Daher ist es ratsam, vielleicht nur im Staccato Fehler aufzuzeigen, die essenziell auf die jetzige Situation wirken, und die Befindlichkeiten außen vor zu lassen. Und es ist ebenfalls ratsam, die Frage zu stellen, die sich momentan viele Menschen stellen, weil sie die Entwicklung nicht einfach so hinnehmen wollen: Was kann ich tun? Was ist erforderlich, um aus einer Krise den Saft der Chance zu ziehen? Alles andere scheint nicht weiter zu führen. Und für derartige Übungen ist die Zeit zu kostbar.
Bei der Erklärung der Umstände, die zu einer politischen Radikalisierung führen, mögen zwei Dinge genannt sein, die schwerwiegend sind. Erstens hat sich die Bundesrepublik nie auf ein zeitgemäßes Recht der Staatsbürgerschaft einigen können. Das ius sanguinis, das Recht des Blutes, gilt bis heute, mit der seichten Einschränkung des Doppelpasses. Das ius solis, das besagt, Menschen, die auf dem Territorium der Republik geboren werden, sind sofort Bürgerin oder Bürger dieses Staates, ist aus Furcht vor „Überfremdung“ genauso wenig in Kraft wie eine nachvollziehbare und transparente Einwanderungspolitik.
Anstatt auf der bürgerlichen Gewissheit aufzubauen, dass die Religion das Recht eines jeden Individuums sei, hat mit der Einwanderung der Muslime ein wohl gemeintes, aber falsches Verständnis ihnen gegenüber Raum gewonnen, dass die eigene Befindlichkeit politisch weit zurück geworfen hat. Anstatt das individuelle Recht auf Religionsausübung zu respektieren, die Religion aber aus den politischen Prozessen und vor allem dem Staat herauszuhalten, wurden zunehmend Koran-Texte gelesen, um die Friedlichkeit des Islam nachzuweisen. Es hält ab von der einfachen Erkenntnis, dass der Islam vor einer Aufklärung steht. Die des Christentums hat mindestens fünfhundert Jahre gedauert. Und diese Dimension zeigt, wie lange alle, die guten Willens sind, die Verwerfungen in dieser barbarischen Form wohl noch ertragen werden müssen.
Und dann ist da der Prozess der Entmündigung und Verfettung. Demokratien leben von Auseinandersetzung und der Aktivität der Bürgerinnen und Bürger. Der Wohlstand, der nach dem II. Weltkrieg in Westeuropa hat angehäuft werden können, hatte etwas zu tun mit der Teilhabe derer, die ihn im Industriezeitalter schufen. Die Organisationen, die einst die Schlagkraft großer Teile der Gesellschaft ausmachten, führten aber auch zu einer Passivierung ihrer Mitglieder. Der Wohlstand hat deaktiviert und die Demokratiefähigkeit geschwächt.
Jeder Mensch, der sich jetzt auf die Freiheiten und Rechte der bürgerlichen Gesellschaft besinnt, hat die Chance, sein Leben zu ändern. Politik, die betrifft, findet jeden Tag in tausenden von Situationen statt. Die Entscheidung trifft jeder von uns. Nehmen wir hin und verweisen in ferne Parlamente oder widersprechen wir vor Ort, fordern wir Respekt, wenn es angebracht ist und reichen wir die Hand, wenn wir helfen können? Das selbst bestimmte bürgerliche Leben ist gefragt, und keiner ist außen vor.
