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Der Finanzminister und die Rechenkünste der Deutschen

Im letzten Band der Trilogie des fortschreitenden Wahnsinns von Eckehard Henscheid beginnt die groteske Erzählung mit der Schilderung einer in Italien trampenden Deutschen, die sich bei einem Italiener neben der Mitfahrgelegenheit auch noch einen Liebesdienst aufschwatzen lässt, den der Freier in einem Lire-Betrag bemisst, der sich für die Deutsche grandios anhört, aber in DM umgerechnet recht kläglich ausfällt, weil, so das epische Ich, die Hauptperson sich mit den Nullern vertan und damit ihre mangelnde Intelligenz bereits unter Beweis gestellt hatte. Henscheids Trilogie erschien in den 1970iger Jahren und ist aus heutiger Sicht immer noch flott zu lesen. Das liegt zum einen an dem toll-dreisten Schreibstil, an den völlig abgefahrenen Sujets und an dem Genuss, der entstehen kann, wenn man noch einmal Zugang zu einer Epoche erhält, die längst vergangen ist. Diese Vergänglichkeit der bundesrepublikanischen Post-Protest-Gesellschaft ist das immer noch Reizvolle an dieser Lektüre. Und angesichts der heutigen radikal-protestantischen Spaßfeindlichkeit kommt so manches Mal ein wehmutsvolles Seufzen dazu.

Doch der Anlass der Schilderung war eigentlich ein anderer. Es ging um die Rechenkünste der Deutschen, beziehungsweise geht es um das Denken über die Rechenkünste der Deutschen. Und es geht um das Denken vor allem eines Politikers, der meint, die Deutschen müssten, sofern es um das Rechnen geht, alle in der Schule sitzen bleiben und eine Ehrenrunde drehen. Und schlimmer noch: Ginge es nach der Eischätzung des Bundesministers der Finanzen, der ja jeden Tag mit Zahlen zu tun hat und also etwas davon verstehen muss, dann ist das Volk, in dessen Auftrag er in einem kolossalen Gebäude in Berlin sitzt und die Geschicke des Staates mit an entscheidender Stelle steuert, dann ist dieses Volk derartig dumm, dass es nichts andres verdient hat, als gehörig verachtet und verspottet zu werden.

Um diese These, die der Bundesfinanzminister vor sich her zu tragen scheint wie eine Monstranz, in vollem Umfange zu unterlegen, hat er in den letzten Jahren einige Experimente durchgeführt. Nach dem Lehmann-Desaster, das noch vor seiner Amtszeit stattfand und für das der deutsche Fiskus bereits mit 250 Milliarden Euro bürgte, war er am Zug. Es begann ganz harmlos mit den windigen Krediten, die deutsche Staatsbanken der griechischen Regierung gegeben hatten, um Lebensnotwendigkeiten wie U-Boote und gewaltige Flugabwehrbatterien aus deutscher Produktion zu kaufen. Als die Käufer die Kredite zurückzahlen sollten, gingen sie in die Knie. Nach einem erniedrigenden Verfahren für die verführten Kreditnehmer bekamen sie neue Kredite, deren Haftung die Steuerzahler aus den Kreditgeberländern übernahmen. Der deutsche Steuerzahler haftet bis dato mit mindesten 62, vielleicht aber auch mit 85 Milliarden Euro.
Als die Flüchtlinge aus dem Nahen Osten und sonstigen Kriegsgebieten dieser Welt in Europa Zuflucht suchten, waren die Kalkulatoren demographischer Bewegungen schnell bei einer erwarteten Zahl von 1 Million Immigranten in Deutschland. Die Taschenrechner des Bundesfinanzministers, die in solchen Situationen genau wissen, was zu tun ist, bezifferten die damit verbundenen Kosten auf eine Milliarde Euro. Das, so sprach gleich der Minister, drohe die Ausgeglichenheit des Haushaltes nachträglich zu stören und er regte in diesem Atemzug an, eventuell die Benzinsteuer zu erhöhen oder die Renten zu senken. Das war so ganz der Finanzminister, denn es war auf Spaltung der Bevölkerung angelegt. Ach ja, und als die Automobilindustrie bei ihm antichambrierte und darauf verwies, dass sie die Entwicklung der Elektromobilität verschlafen habe und deshalb eine kleine Subvention aus dem Staatssack erwarte, da zeigte er sich generös und warf 1,5 Milliarden in hohem Bogen auf die angerichteten Snacks, um die Laune wieder ein bisschen zu heben.