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Die Dechiffrierung von Herrschaft im Kommunikationszeitalter

Ray Bradbury. Fahrenheit 451. Roman

Manche der Dystopien, die im letzten Jahrhundert erschienen, wurden zu einem bestimmten Zeitpunkt ins historische Museum verfrachtet. Man glaubte, sie seien zur Zeit ihrer Entstehung weitsichtig gewesen und hätten mit ihrem Szenario vor möglichen Entwicklungen eindringlich gewarnt. Aber, so der Tenor, irgendwann hätte die moderne, liberale Gesellschaft doch die Oberhand gewonnen und die düsteren Visionen eines autoritären, totalitären und alles kontrollierenden Staates seien nicht mehr zeitgemäß.

Von den vier großen Erzählungen, die eine Dauerhaftigkeit in Sachen politischer Dystopie für sich beanspruchen konnten, stammten zwei von George Orwell. Die Animal Farm hatte insofern etwas Spezielles, als dass sie das vermeintlich eherne Gesetz der Restauration von ursprünglichen Befreiungsbewegungen thematisierte und in dem konkreten historischen Kontext der Sowjetgesellschaft gelesen werden musste. Aber bei 1984 gering es um Autoritatismus, genauso wie bei Brave New World von Aldous Huxley und Fahrenheit 451 von Ray Bradbury.

Und Bradburys Werk, das lange als eine gelungene Entgleisung eines Science Fiction Autors gefeiert wurde, der das Werk zunächst unter dem Namen Der Feuerwehrmann als Groschenroman verfasst hatte, ist von den genannten das heute kaum noch erwähnte. Gut, das Verbrennen von Büchern (bei der Temperatur von Fahrenheit 451 beginnt Papier zu brennen) durch staatliche Organisation existiert (noch?) nicht, aber die Indexierung vieler Schriften, die einem sich liberal gebenden, aber mit großen Schritten auf einen totalitären Staat zugehenden Weg entspricht, liest sich wie eine Empfehlung für die Lektüre von Fahrenheit 451.

Und bei dieser fällt auf, wie aktuell das Anfang der 1950iger Jahre entstandene Buch ist. Manche Passagen könnten heute immer wieder in aktuellen politischen Diskussionen auftauchen, resp. sie sind dort zu lesen. Sie betreffen nicht die Sanktionsformen des Staates, aber den Zeitgeist, der diesen beim Abbau demokratischer Rechte massiv unterstützt. Das so genannte post-faktische Zeitalter, und die in ihm angewandten Methoden findet sich bei Bradbury in frappierender Schärfe. Und weil es so treffend ist, hier ein Schnipsel aus dem Original:

„Stopfe ihnen den Kopf voll nüchterner Tatsachen, bis sie sich zwar überladen, aber doch „umfassend informiert“ vorkommen. Dann glauben sie, denkende Menschen zu sein und vom Fleck zu kommen, ohne sich im Geringsten zu bewegen. Und sie sind glücklich, weil diese Tatsachen keinem Wandel unterworfen sind. Es wäre falsch, ihnen so glitschiges Zeug wie Philosophie oder Soziologie zu vermitteln, um Zusammenhänge herzustellen. Das führt nur zu seelischem Unglück.“

Besser kann der tägliche Mechanismus der Informationsweitergabe im Kommunikationszeitalter heutiger Prägung nicht zusammengefasst werden. Das tatsächlich Verstörende an der Lektüre ist die Freilegung der Fundamente eines totalitären Geistes in der demokratischen Massengesellschaft. Der Zugang zu Wissen ist das eine. Die Überfrachtung derer, die beherrscht werden sollen, mit unmaßgeblichem, irrelevantem Wissen das andere. Und wer nicht unterscheiden kann, was er benötigt, um seine Interessen und die seiner sozialen Entropie wahrzunehmen und dem, was die geistigen Depots überflutet, aber keinerlei Relevanz besitzt, ist bereits das Objekt totalitärer Herrschaft geworden. 

Und das geschrieben von einem Science Fiction Freak in den USA der fünfziger Jahre. Den politischen Hintergrund bildeten damals der Ost-West-Konflikt, der Korea-Krieg und der McCarthyismus im eigenen Land. Noch Fragen? 

Dann lesen Sie Fahrenheit 451!

Die Dechiffrierung von Herrschaft im Kommunikatioszeitalter