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Revolte gegen die Lebensangst

Der November hat es in sich. Nicht nur, weil er wie immer mit dunklen Wolken, Nebel und wenig Tageslicht das Gemüt angreift, sondern auch wegen der vielen Unsicherheiten, die sich momentan über internationale Beziehungen und das gesellschaftliche Leben ausbreiten. Von der Pandemie und ihren Verwerfungen über  brandgefährliche Grenzkonflikte bis zu geostrategischen Konfrontationen sind genügend Anlässe gegeben, die Sorge bereiten. Hinzu kommt, dass die üblichen Kanäle, in denen die menschliche Seele Erholung suchen kann, verstopft zu sein scheinen. Die Kultur leckt ihre Wunden, die Unterhaltung badet in Belanglosigkeit, die freien Geister sind verstummt. Was bleibt, ist eine Strategie für die Einzelnen, die beschriebe, wie mit einer solchen Situation umgegangen werden könnte.

Der heute gar nicht mehr präsente Franz Jung hatte sich zwar in einem anderen historischen Kontext Gedanken über solche Situationen gemacht und die treffende Formulierung für das gefunden, was erforderlich ist: Die Revolte gegen die Lebensangst! Das Diktum ist insofern andersartig, als dass es den Blick abwendet von den vielen äußeren Umständen und Strukturen und den Fokus auf das innere Selbst richtet. 

Es ist nicht damit getan, die eine oder andere Forderung abzusondern, ohne sich darüber Gedanken zu machen, was am besten als die psychische Disposition beschrieben werden muss. Solange das einzelne Individuum, von Angst und Sorge durchdrungen, sich nicht darüber im klaren ist, welche Veränderungen es bereit ist selbst mitzugehen oder gar zu gestalten, werden selbst die klügsten Einwürfe ohne Resonanz bleiben. Du, auf Dich kommt es an! Ein Slogan, der aus der zeitgenössischen Politik nahezu gänzlich verschwunden ist und ein Stellvertretermilieu geschaffen hat, dass den passiven Zustand eines Großteils der Bevölkerung im Feld der Politik hinterlassen hat. Es ist das bittere Ende eines bequemen Prozesses der Entmündigung, der sich jetzt rächt. Wer glaubte, ausschließlich durch die Beauftragung anderer sein eigenes Schicksal gestaltet zu bekommen, sieht das Ergebnis. Die Beauftragten sind überfordert oder durch andere, stark organisierte Interessen gekapert und das eigene Agieren ist verlernt. Was bleibt, ist Frustration, das Gefühl der Machtlosigkeit, daraus resultierende Lebensangst und sporadische Zuckungen in Form von Zorn. 

Die Angst, im internationalen Kontext auch oft German Angst genannt, ist latent immer vorhanden. Sie konnte historisch in der einen oder anderen Form überwunden werden, zumeist jedoch mit destruktivem Ergebnis. Sie mündete nämlich nicht in ein Gefühl der Selbstermächtigung und der Teilhabe an Gestaltung, sondern in Hass und die Projektion auf Feindbilder. In Bezug auf die jetzige Situation besteht die Gefahr, dass der Hass zur neuen Währung, die alles bestimmen und zu einem neuen Desaster führen wird.

Die Revolte gegen die Lebensangst ist kulturell die vielleicht wichtigste Aufgabe, vor der wir stehen. Nicht, dass nicht Pläne für die Umgestaltung der Gesellschaft entwickelt werden müssten, die den Herausforderungen der Zeit entsprächen. Aber die große Aufgabe, die dem vorausgehen muss, ist die Überwindung der Angst vor diesen Veränderungen. 

Die Bilanz der bisherigen Veränderungen belegt beeindruckend, wie viel verloren gehen kann, wenn die Passivität vorherrscht und das Gros der Gesellschaft in einem schwankenden Zustand zwischen Depression und Aggression verweilt. Der Schlüssel ist die eigene Bereitschaft, sich einzumischen, in die Konfrontation zu gehen und um den richtigen Weg zu streiten. Das Verharren in der Konsumption  ist der falsche Pfad. Das wird vielen nicht schmecken, weil es so einfach ist, die Welt mit Sündenböcken zu bestücken, die die eigene Passivität verdecken. Die Forderung ist immens. Aber gibt es sinnvolle Alternativen? 

Do what you like!

Hurra! Die deutsche Politikdebatte hat ein neues Symbol! Kurz vor Jahresende haben es die Käuze des imaginären Streits über den politisch richtigen Weg erspäht. Es sind die China-Böller und Feuerwerkskracher. Wie schön, endlich etwas gefunden zu haben, an dem sich die Argumentationsketten abbrennen lassen wie in einem großen Gesellschaftsspiel. Da diejenigen, die schon lange die Nase voll haben von staatlicher Reglementierung und Bevormundung, denen es gerade noch gefehlt hat, dass jetzt auch noch die Knallerei zu Silvester reglementiert oder verboten wird, übrigens wieder einmal zeitversetzt zu den USA, wo das schon lange so ist. Und dort die anderen, denen die ganze Knallerei schon seit Jahren im wahren Sinne des Wortes stinkt und die mal eben ausgerechnet haben, wie das Gestinke und Getöse neben den Nerven auch noch die Umwelt belastet. Emissionen, 15 Prozent des jährlichen durch Autos freigesetzte Gift. Sie plädieren für ein generelles Verbot. 

Lebten wir nicht in einem Land, in dem die Symbolpolitik seit Jahren jegliche Form der notwendigen Veränderung erfolgreich verhindert und lebten wir in einem Land, in dem jeder Mensch sich als ein vernunftbegabtes Wesen betrachtete, dann wäre die richtige Antwort: Do what you like!

Aber halt mal! Das geht doch nicht! Da ist jetzt erst einmal der Gesetzgeber gefragt! Und mit diesem Ruf derer, die einer Gesellschaft keine selbstbestimmte Steuerung zutrauen, wird das politische System in Gänze zerstört. Und, damit keine Illusionen aufkommen, an diesem Irrsinn beteiligen sich alle, auch die, die sich so gerne als Reformer und Erneuerer titulieren. Der ständige Ruf nach dem Gesetzgeber forciert den Prozess der allgemeinen Entmündigung. Dieser Kurs geht einer zunehmenden Zahl an Bürgerinnen und Bürger mächtig auf den politischen Nerv. Es ist zu bequem, dieses durchaus berechtigte Aufbegehren gegen die erst legislative und dann bürokratische Regulierungsdichte als plumpen Populismus zu verunglimpfen. Wer bei einem durchaus in der eigenen Politik begründeten Unmut nicht anderes erblickt als Dummheit, den wird der Protest in den Gully spülen. Das war schon immer so, das haben aber viele der selbst ernannten Polit-Profis noch nicht so ganz begriffen.

Bleiben wir bei den China-Böllern. Trotz eines generellen Verbotes führen die kapitalen Kreuzfahrtstinker weiter über die Meere, als sei nichts geschehen, trotz eines solchen Verbotes würden alle hiesigen Dieselkäufer nach wie vor hinters Licht geführt und die ausgemusterte Flotte weiterhin in Länder wie Rumänien exportiert, wo sie bekanntlich nicht nur rumsteht, sondern zum Einsatz kommt. Die Botschaft ist schlicht und einfach: Streitet euch weiter über eine Episode, die wenige Stunden dauert und dann vorbei ist, alles andere an Betrug, und davon muss gesprochen werden, wenn es sich darum handelt, alles andere von diesem Betrug geht weiter. Da wäre es verständlich, wenn die dicksten Böller Richtung…flögen? Nein, eine Lösung wäre es nicht!

Die Koinzidenz dieser Textverfassung mit dem Ende des Jahres ist zufällig, aber gut. Denn so kann es einfach nicht mehr weiter gehen. Die Dinge müssen beim Namen genannt werden. Und es muss um die Dinge gehen, die tatsächlich den Nerv der Gesellschaft treffen. Wer sich gut fühlt, wenn er jetzt Hundefutter statt China-Böller kauft, dem sei das gegönnt. Und wer es richtig knallen lässt, dem sei es auch zugestanden. Ändern wird beides nichts. Die lächerliche Symbolpolitik muss aufhören. Es muss um das Wesentliche gehen. Die Entmündigung muss aufhören. Und die Entmündigten müssen aufstehen!