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Protektionismus: Mit dem Rücken zum Meer

Warum fiel mir heute wieder die Formulierung eines vehementen Verfechters der europäischen Idee ein, die er in einer Vortragsreihe am College de France gebrauchte? Ob es rein provokativ gemeint war, oder ob es die Basis der weiteren Analyse sein sollte, ist dabei unerheblich. Was ist, so führte er aus, denn das alte Europa anderes als ein Ensemble gedemütigter ehemaliger Imperien? Angesichts dessen, was der amerikanische Präsident mit allseitig verhängten Strafzöllen veranstaltet und beabsichtigt, könnte man fast glauben, dass eine solche Einschätzung auch seinen Maßnahmen entspricht. Hört man sich die Reaktionen seitens der EU-Bürokratie und einiger noch kommissarisch waltender bundesrepublikanischer Minister an, werden nun diesseits des Atlantiks die Messer gewetzt. Strafzölle auf Erdnussbutter, Whiskey und Kult-Motorräder sind bereits angekündigt. Angesichts solcher Volten kann man sich vorstellen, in welchem Gewand die Angst umgeht, an den Ufern des Potomacs.

Nein, spaßig ist das alles nicht. Aber, wie immer, wenn sich die Widersprüche zuspitzen, empfiehlt es sich, einen Schritt zurückzutreten, gut durchzuatmen und die Sachlage in einem größeren Zusammenhang zu betrachten. Und da haben wir es schlichtweg mit einem dramatischen Rückzug des Wirtschaftsimperialismus westlicher Prägung zu tun. Die Krise deutete sich durch gravierende Probleme auf dem Sektor vitaler Logistik während der Corona-Krise bereits an. Da fiel plötzlich auf, dass die aus rein betriebswirtschaftlichen Betrachtungen vollzogene Diversifikation der Produktion in Krisen dramatisch enden kann. Wie so häufig, waren allerdings nicht die Geschäftsführungen in der Kritik, die die Auslagerung von essentiellen Produktlinien in alle Regionen des Globus getroffen hatten, sondern diejenigen, die aufgrund des unschlagbaren Preises den Zuschlag bekamen. Nicht die deutschen Top-Manager, sondern die hinterhältigen Chinesen waren nach der Lesart oberflächlicher politischer Einordnung verantwortlich.

Dass mit dem Datum der Corona-Krise die Euphorie der Globalisierung ein Ende hatte, ist bereits intellektuelle Meterware. Dass allerdings bei tatsächlichen Unterschieden in der Anwendung von Arbeitskraft und Technologie nicht mehr die alten Platzhalter die größten Gewinne im Weltmaßstab einstrichen, führte zu einer Ernüchterung, die nachhaltig ist und immer noch anhält. Und dass nicht die Schlüsse daraus gezogen wurden, die aus einer eigenen Fehleranalyse und ja, einer eigenen Systemkritik resultierten, kann guten Gewissens als die grassierende Krankheit des ehemals alles dominierenden Westens bezeichnet werden. Statt zu überlegen, was notwendig ist,  um gut, innovativ und damit Maßstab setzend zu sein, griff man in die verstaubte Kiste der oben zitierten ehemaligen Imperien. 

Feindbilder wurden geschaffen oder reaktiviert. Nicht die eigene Trägheit und Schwäche, sondern die Durchtriebenheit der neuen Player wurde für den eigenen Nachteil verantwortlich gemacht. Und, ganz im eingeübten Schema doppelter Standards, weil man sich nicht anders zu helfen wusste, nahm staatliches Agieren anderer, die sich der gleichen Mittel wie man selbst bedienten, zum Anlass, um mit Hellebarden wie dem Protektionismus die eigenen Märkte behaupten zu wollen. Dass jetzt das taumelnde, letzte Imperium in der Tradition Roms auch und sehr konsequent zu diesem Mittel greift, dokumentiert, wie weit die eigenen Verteidigungslinien nach hinten verschoben wurden. Um ein weiteres, plastisches Bild gebrauchen zu wollen: der westliche Kapitalismus steht mit dem Rücken zum Meer. Und mit Protektionismus kommt er keinen Schritt mehr nach vorne. Das Dilemma ist kollektiv. Man mache sich da mal nichts vor.

Die halbe Wahrheit

Das große Problem mit Donald Trump besteht in der Tatsache, dass er macht, was er vorher gesagt hat. Zumindest meistens. Das irritiert viele andere Regierungen ungemein. Nun geht er mit dem Versprechen an die Börse, den berühmten Rust-Belt retten zu wollen. Dass sind die Staaten von West Virginia bis Ohio, wo einst glühende Stahlöfen und heute nur noch Rostberge stehen. Indem Donald Trump nun Schutzzölle auf ausländischen Stahl belegt, erhofft er, den alten Stahlkochern wieder eine Perspektive bieten zu können. Ob das gelingen wird, wird sich zeigen, die Reaktionen der Bundesregierung und der EU sind eindeutig. Sie verurteilen jede Form des Protektionismus und halten einen Handelskrieg für das schlimmste, was passieren kann. Als Gegenzug verkündete Jean Claude Juncker nahezu angewidert, im Gegenzug werde es Bourbon Whiskey, Harley Davidson Motorräder und Blue Jeans treffen. Alle tun so, als wären sie zu etwas gezwungen, das sie verabscheuen.

Die reine Lehre des Freihandels bestimmt die gesamte post-kommunistische Epoche. Wer jedoch daraus ableitet, dass die Epoche tatsächlich gelebt worden wäre, der sieht sich bei näherem Hinsehen getäuscht. Besonders die EU hat sich genügend Meriten bei der Einführung von Schutzzöllen verdient. Das klingt zwar angesichts der vielen Reden für den Freihandel etwas absurd, aber es ist so. Verborgen wurde der breiten Öffentlichkeit der EU-Protektionismus deshalb, weil aufgrund dessen viele dieser mit Zöllen belegten Produkte den EU-Markt erst gar nicht erreichten. Im Gros richten sich die protektionistischen Maßnahmen gegen China. Sie reichen von Solarzöllen über Mandarinen bis hin zu Fahrrädern. Viele europäische Produkte wären bereits nicht mehr auf dem Markt, wenn sie den Schutz vor dem freien Markt nicht mehr genössen.

Man kann sich immer darüber streiten, ob eine Lehre auch zu 100 Prozent gelebt werden muss. Meistens tut es gut, bestimmte Besonderheiten auch besonders zu regeln. Was nun aber wiederholt auch in der Meinungsbildung betrieben wird, ist eine Verschleierung von Interessen und eine Emotionalisierung der Politik. Auf der einen Seite der böse Donald Trump, der die rückständigen Stahlkocher retten will, auf der anderen Seite die guten Europäer, die für den Freihandel auf der ganzen Welt eintreten und natürlich mit ihren Produkten wie Autos und Maschinen auf den US-Markt drängen. Drängen andere jedoch zu günstigeren Preisen auf die eigenen Binnenmärkte, dann kann man schon einmal Schutzzölle erheben. Muss ja nicht jeder merken. Und es zeigt sich, dass die einzige Konstanz, die unter der Merkel-Administration noch besteht, in dem stetigen Abbau von Vertrauen gesehen werden muss. Wer glaubt einer Administration, die dermaßen offensichtlich taktiert? Und wie, was glaubt man denn, werden sich die verantwortlichen Kreise in China, die noch mit ganz anderen Offerten aufwarten werden, mit einem solchen Ensemble arrangieren wollen?

Als die EU vor einigen Jahren Schutzzölle auf chinesische Solarzellen legte, war eine langjährige Subventionierung der hiesigen Solarzellenproduktion zu Ende gegangen. Trotz Subventionen konnte man gegen die chinesischen Produkte nicht konkurrieren. Um die eigenen Worte zu zitieren, der Markt hätte das wohl alles sehr schnell geregelt. Aber wenn dem so ist, dann fallen sehr schnell Begriffe wie „System“ und „strategisch“. Und dann gilt das nackte Überleben. Und so ist das, was da momentan an amerikanischem Skandal im Haus des freien Marktes geschieht, eben nur ein Teil der Wahrheit. Maximal die halbe.

Die Unverbesserlichen

Wieder mal ein Treffen der führenden Wirtschaftsnationen. Wieder einmal die Mahnung, sich nicht dem Wahn des freien Handels zu verschreiben, wenn dabei immer mehr Nationen abgehängt werden. Nun auch diese Mahnung von denen, die sich immer in der Vergangenheit für den freien Welthandel ausgesprochen haben. Die USA sind nun das prominenteste Opfer. Nicht, dass sie nicht schon lange Probleme gehabt hätten, an diesem Rennen aufgrund der eigenen Produktivkräfte erfolgreich teilnehmen zu können. Doch seit der Weltfinanzkrise im Jahr 2008 ff. ist alles anders geworden. Da fließen nämlich die Revenuen der Gewinner nicht mehr automatisch an die Wall Street. Seitdem sind die USA von der Quelle des zu verteilenden Reichtums abgeschnitten. Und nun reagieren auch sie mit dem verzweifelten Mittel des Protektionismus.

Das haben diejenigen, die nach wie vor als Exportgrößen gelten, nicht zu beklagen. Was sie jedoch anders machen als die USA, sie fühlen sich nicht in der Verantwortung, die die USA vordem angenommen haben, für die Infrastruktur des freien Welthandels aufzukommen. Militärisch und politisch. China, als prominentestes und potentestes Land, tastet sich vorsichtig an diese Aufgabe heran, oder, genauer gesagt, China tariert die Risiken noch aus, bevor es die Verantwortung annimmt. Deutschland, als anderes Beispiel für eines der großen Exportländer, sieht sich weltweit nicht in der Lage, dieses zu tun, was einer realistischen Einschätzung der vorhandenen Kräfte und Möglichkeiten entspricht. Das Streben nach Weltregie wäre die strategische Überdehnung.

Die deutsche Option läge allerdings im EU-Raum. Aber auch dort lehnt es rigoros die Rolle des Großinvestors in andere Länder ab. Getragen von der Schäuble-Doktrin, selbst Rücklagen zu bilden, die Bedingungen für größtmögliche Exporte zu schaffen und die Überforderung der Abnehmer mit einzukalkulieren, ohne diese aus der Schuldenfalle zu entlassen. Es ist ein Spiel mit dem Feuer, das bereits überall lodert. Selbst Weltbank und internationaler Währungsfonds warnen Deutschland nun vor einem Crash. Der einzige, der alle schlechten Prognosen in den Wind schlägt, ist der Chef-Ideologe Schäuble. Er lässt sich weder dazu überreden, andere Länder zu stützen noch die Löhne im eigenen Land signifikant steigen zu lassen, um den Binnenmarkt zu stärken und das Konkurrenzverhältnis zugunsten anderer Anbieter zu verbessern. Getragen wird er dabei von einer großen Sympathiewelle im eigenen Land. Und es scheint sich wieder einmal zu bewahrheiten, dass Deutschland die Heimat der dilettantischen Kaufleute ist, ohne Kulanz, ohne Weitsicht, ohne Strategie.

Die Finanz- und Wirtschaftspolitik der Merkel-Ära hat sich die strategischen Vorteile, die aus der Hartz-Gesetzgebung erwachsen sind, zunutze gemacht und in der letzten Dekade den europäischen Markt monopolisiert. Das hat die nahezu religiös verehrte Schwarze Null zur Folge gehabt, aber auch die politische Isolation innerhalb der EU. Stark, aber isoliert, hält die Politik an diesem Kurs fest, obwohl abzusehen ist, wie fragil die ganze Angelegenheit ist. Schon in den nächsten Tagen, bei den Wahlen in Frankreich, kann das Märchen von den fleißigen Deutschen und dem faulen Resteuropa vorbei sein. Da kann es passieren, dass über Nacht neue Allianzen entstehen, die zwar als protektionistisch verurteilt werden, die aber die logische Folge des jetzigen Kurses sind. Und jetzt schon steht für die Unverbesserlichen fest, dass es an der Unzulänglichkeit der anderen liegen wird. Eine zu einfache Weltsicht, die bereits aus der Arroganz der Isolation resultiert.