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Der liebe Gott und der Kannibalismus

Der liebe Gott, der immerhin noch als erklärende Formel in vielen Erzählungen präsent ist, er hätte es sich nicht besser ausdenken können: Da wird tagelang das Ende des deutschen Steinkohlebergbaus medial begleitet, da gibt es wirklich gute Dokumentationen über die Ära des Industrialismus hier in Deutschland, und da wird noch einmal richtig gestellt, warum der modernste und sauberste Kohleabbau der Welt hierzulande eingestellt wird: Es lohnt sich wirtschaftlich nicht. Selbst in diesen Tagen mental schwer ramponierte Kumpels ließen sich noch zu Scherzen hinreißen, als von manch einem unwissend über die heutigen Arbeitsbedingungen unter Tage im Ruhrgebiet räsonierte wurde. Ja, so einer der letzten, er käme gerade hoch, er hätte noch einmal das Grubenpferd füttern müssen. 

Die Bilder korrigierten alles, denn Automatisierung und High-Tech-Straßen vom Allerfeinsten waren zu sehen. Effizienter und rationaler geht es also nicht, aber der Tod dieses hoch modernen Bergbaus, das betonten alle, liegt in der Ökonomie. Die heute immer wieder kolportierte Ökologie hat bei der Liquidierung des deutschen Steinkohlebergbaus keine Rolle gespielt. Die moderne, auch durch die Montanmitbestimmung durchgesetzte Form der Arbeit rechnet sich nicht. Das Produkt ist zu teuer. 

Und da kommt die anfangs zitierte Floskel des lieben Gottes noch einmal ins Spiel. Denn just in dem Moment, als die Kumpels der Zeche Prosper Haniel im schönen Bottrop symbolisch das letzte Stück Kohle aus den Tiefen des Pütts nach oben brachten, um es dem anwesenden Bundespräsidenten zu übergeben, just in diesem Moment verreckten im benachbarten Tschechien dreizehn Bergleute bei einer Metangasexplosion unter Tage. Diese Art Unfälle gab es bis vor einigen Jahrzehnten auch im Ruhrgebiet, und zwar reich an Zahl. Aber, und nun nähern wir uns der Fratze des bis heute favorisierten Wirtschaftssystems, zu einer Zeit, als sich der Bergbau in Deutschland noch lohnte.

Die Quintessenz ist einfach: Schlechte, riskante Arbeitsbedingungen, schlechte Bezahlung und keinerlei ökologische Bedenken sind die Bedingungen, die den Kohleabbau weltweit begünstigen und ihn zu einem immer noch wichtigen Faktor in der Weltenergieversorgung machen. Wer über eine böse Zunge verfügt, der könnte es auch noch drastischer ausdrücken: Dort, wo die Ausbeutung am schlimmsten wütet, sind die wirtschaftlichen Bedingungen am günstigsten. Die Toten in Tschechien waren übrigens mehrheitlich polnische Kumpels, quasi die Vorfahren derer, die mitgeholfen haben, die Geschichte des Ruhrgebiets zu schreiben. Nun trieb es sie, wieder als Arbeitsmigranten, nach Tschechien, wo sie das Schicksal mit ihren Ahnen teilten, und zwar so, als kenne die Geschichte des Kapitalismus keinen Fortschritt.

Und genau an diesem Punkt müssen wir inne halten: Wenn die Zivilisierung von Produktionsbedingungen dazu führt, dass der Kapitalismus an ihnen aufgrund der entstehenden Kosten sein Interesse verliert, trotz der hohen Qualität des Produktes, dann wohnt ihm ein kannibalischer Trieb inne, den zu leugnen er sich zwar immer wieder bemüht, den zu identifizieren jedoch keine große Mühen kostet. 

Die gestrige Koinzidenz von der Schließung hochmoderner Förderanlagen und einem todbringenden Grubenunglück nur wenige hundert Kilometer entfernt war eine pädagogische Inszenierung für alle, die nicht glauben wollen, wie simpel die Welt funktioniert, wenn nicht der Mensch und die Gesellschaft, sondern exklusiv der private Profit das Handeln bestimmen. 

Unter welchem Slogan organisierten sich noch die Bremer Stadtmusikanten?

Etwas besseres als den Tod findest du überall!

Die Nacht und das Licht

Prosper-Haniel ist der Name der Zeche, die als letzte im Ruhrgebiet schließt. Es ist das Ende einer Ära, die in 150 Jahren alles durchlaufen hat, was eine Ära nur durchlaufen kann. Aufstieg und Fall, Blüte und Ruin. Diejenigen, die das alles erlebt haben, die liegen schon längst in den Beinhäusern zwischen Emscher und Ruhr. Wer sich historisch nicht auskennt, der könnte beim Besuch dieser Grabstätten auf die Idee kommen, es hätte dort ein westfälisch-polnischer Krieg getobt. Da liegen sie zu tausenden, die Zilinskis und Pollmeiers, die Raskowiaks und Kalverkamps, die Tylkowskis und Siebenkötters, die Supenioks und Untieds. Sie alle fielen aber nicht in einem Krieg ihrer Völker gegeneinander, sondern in dem gemeinsamen Feldzug gegen den Berg. Letztendlich gewannen immer nur zwei: diejenigen, denen der Berg gehörte und der Berg selbst. Die westfälisch-polnische Arbeitsarmee blieb auf dem Schlachtfeld liegen.

Heute, wo alle wissen, was es heißt, gegen die Natur zu ziehen, haben sich die Methoden verfeinert und sind die Schlachtfelder verlagert. Der Kampf ist jedoch geblieben. Es geht um Energie, es geht um Industrie und es geht um Wertschöpfung. Menschen und Orte sind längst austauschbar geworden. Die Kohle kommt nicht mehr aus Bottrop, Gelsenkirchen oder Wanne-Eickel, sie kommt aus Korea oder China. Und der Stahl, dessen Herstellung die viele Energie benötigt, wird ebendort produziert, vielleicht, wie in dem prominentesten Beispiel des ganzen Reviers, an einer Straße aus Dortmund, aber weit hinter der chinesischen Mauer.

Die Helden von damals liegen hinter Friedhofsmauern; deren Kinder haben das Drama noch mit eigenen Augen gesehen, und die Enkel haben allenfalls noch davon gehört. All jenen, die in diesen Tagen die Nachrufe auf die Ära des Steinkohlebergbaus im Ruhrgebiet lesen, sei gesagt, dass diese Ära mehr Schatten als Licht hatte, dass dort mehr Arbeitskräfte bei lebendigem Leibe aufgefressen wurden als sonstwo, dass die großen Zeiten des Fußballs das einzige waren, woran sich die Menschen ergötzen konnten und dass da herrschte ansonsten die nackte Armut, der Streik, der Putsch und der tödliche Unfall. Und dennoch schmiss diese Maschine ein ganzes Land an und erweckte es mehrmals zum Leben.

Angesichts einer Geschichte, die alles andere als schön ist, lässt sich kaum erklären, warum auch jetzt, wo das endgültige Aus in einem dürftigen, bürokratischen Akt endet, die Emotionen wieder einmal so hochkochen. Da stehen Riesen auf den Straßen und weinen bittere Tränen, da fassen sich Passanten ans Herz, wenn sie ein letztes Mal das Emblem mit den gekreuzten Hämmern sehen.

Heinrich Böll, der Rheinländer, wurde einmal gefragt, wie er das Ruhrgebiet beschreiben würde, und zwar zu einer Zeit, als die Ära noch in Blüte stand. Im Ruhrgebiet, so antwortete der Feinfühlige, im Ruhrgebiet, da riecht es nach Menschen. Das war eine treffende Charakterisierung, denn das Unmittelbare, das Sinnliche und das Unprätentiöse waren vielleicht wirklich das, was diese Zeit und diese Menschen am meisten ausmachte.

Und fragte man die, die längst in den Beinhäusern liegen, was denn ihr Fazit sei, von all dem Ganzen, dann wäre die Antwort eindeutig:

Alleine, bist du ein kleines Licht. Und ohne deinen Kumpel, da hast du keine Chance.

Es könnte auf jedem dieser Grabsteine stehen. Und es ist die teuerste Erkenntnis dieser Epoche. Tief im Westen. Glückauf!