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Komfortzone war gestern!

Wie schrieb mir ein politischer Journalist, dessen seismographische Fähigkeiten ich in den letzten Jahren zu schätzen gelernt habe? Noch kreuzen sich die verschiedenen Strömungen und es ist nicht abzusehen, was für eine Richtung aus dieser diffusen Bewegung wird. Was er damit meinte? Die Bewegungen, die momentan in der Parteienlandschaft zu verbuchen sind. Einerseits ein schlingern der so genannten Etablierten, dann die angekündigten Neugründungen jenseits von SPD und CDU und der immer noch anhaltende Trend hinsichtlich der AFD. Hinzu kommen nicht an bestimmten Parteiprogrammen orientierte Manifestationen wie die Bauernproteste, ihrerseits unterstützt durch verschiedene Gewerbe wie dem des Transports und der Streik der Lokführer. Und, nicht zu vergessen, die Demonstrationen gegen vermeintliche Pläne von Remigration in großem Maßstab. Für eine Prognose, so der kluge Mann, ist es zu früh.

In guter Tradition werden nun alle möglichen Experten befragt, wie sie die Lage einschätzen und ihr Ausblick aussieht. Zur Beruhigung kann man feststellen, dass diese auch nicht wissen, wie das Ganze ausgeht. Was sie nahezu alle an den Tag legen, ist die Diskreditierung aller möglichen dieser Regungen, je nach Standpunkt. Mal sind es die Rechten, mal die Linken, mal die begriffsstutzigen Bauern – man kann es drehen, wie man will, sicher ist nur eines, und das sollten sich alle beherzigen: so, wie es läuft, kann es nicht weitergehen. 

Die Perspektive für eine radikalere Veränderung im Spektrum der politischen Parteien ist gewaltig. Wohin die Reise geht, ist bis dato jedoch ungewiss. Und wieder sind wir an jenem Punkt angelangt, wo die Spekulation um Parteien und ihre Anteile darauf hindeuten, dass sie in einer Sackgasse landen. Es ist erforderlich, sich Klarheit über die angestrebten Ziele zu verschaffen und sich gleichzeitig von dem Gedanken zu verabschieden, man könne die Lösung der anstehenden Probleme in altbewährter Weise an die Parteien delegieren. Selten war die Gewissheit so groß, dass es auf alle Bürgerinnen und Bürger ankommt. Und, auch das sollte klar sein, dass damit nicht die Teilnahme an der einen oder anderen Veranstaltung reichen wird, um das Schiff auf einen vernünftigen Kurs zu bringen. Komfortzone war gestern!

Zudem ist gut zu wissen, welche Fehler und Fehleinschätzungen zu Entwicklungen geführt haben, die die gegenwärtige Krise ausgelöst haben. Es sind nicht, wie immer wieder behauptet wird, „Corona“ oder der „Ukraine-Krieg“ als abstrakte Veranstaltungen einer höheren Gewalt, sondern sehr konkrete Entscheidungen der eigenen Politik, die zum Erfolg oder Misserfolg führen. Wer an dem Desaster beteiligt war und gleichzeitig reklamiert, alles richtig gemacht zu haben, hat hinsichtlicher zukünftiger Gestaltung seinen Platz verloren. Das hat sich bei vielen Apologeten bis heute noch nicht herumgesprochen, aber es gehört zu den wenigen Sicherheiten, über die wir zur Zeit verfügen: ihre Zukunftsprognose ist düster.

Die Fragen, um die sich vieles drehen wird, liegen auf dem Tisch: Was ist erforderlich, um das eigene Land zu verteidigen? Welche Bündnisse würden das garantieren und welche führen in das Abenteuer kontinuierlicher Kriege? Welche Investitionen müssen getätigt werden, um die Bildungsabschlüsse in diesem Land auf ein Niveau zu bringen, das eine gesellschaftlich prosperierende Perspektive bietet? Wie muss eine Infrastruktur beschaffen sein, die den Erfordernissen von Wirtschaft und Gesellschaft entspricht? Welches Gesundheitssystem ist erforderlich, um allen Bürgerinnen und Bürgern eine Versorgung zu garantieren, die dem angestrebten Zivilisationsgrad entspricht? 

Alleine diese fünf Fragen reichen aus, um zu verdeutlichen, was im Argen liegt und wo strategische Versäumnisse zu verbuchen sind. Entscheidend wird jedoch sein, die Weichen so zu stellen, dass derartige Fragen sehr konkret und positiv beantwortet werden können.  

Prognosen: die süßeste Form der Rache

Es ist erstaunlich. Alles, was in diesen Tagen und zu diesem Anlass an Ansichten, Meinungen, Analysen, vermeintlichen Gewissheiten und Spekulationen geschrieben und aufgenommen wird, war schon einmal da. Ob in den Nachrichtensendungen, den politischen Journalen, in allen möglichen Diskussionsrunden, in den Predigten von der Kanzel und im Wort zum Sonntag: Appelle an die Vernunft, Klagen, über die Boshaftigkeit der Welt im Allgemeinen, über die Unbelehrbarkeit des Menschen im Besonderen und bestimmter Artgenossen im Spezifischen, das Beteuern der Fragilität der menschlichen Existenz und der Entwurf von Szenarien, die den unvermeidlichen Untergang schmücken werden. Manche derer, die da kommentieren, schluchzen förmlich laut auf und andere, von denen es nicht wenige gibt, ergötzen sich an den verschiedenen Versionen des Untergangs, als handele es sich jeweils um eine lang ersehnte Erlösung mit dem kleinen Preis höchst möglichen Schmerzes. Und wiederum andere Kommentatoren des Zeitgeschehens werden nicht müde, die tatsächlichen oder nur gefühlten Bedrückungen als Notwendigkeiten auf dem Weg zur Erlösung zu sehen. Denn diese steht genauso vor der Tür wie die sprichwörtliche Hölle auf Erden. Auch das Paradies ist nicht fern. 

Es sollte beruhigen, dass beide Varianten, die des Untergangs wie die der Befreiung, immer dann Hochkonjunktur haben, wenn sich die Verhältnisse ändern. Wenn die Krise, als Chance wie als Verhängnis, von den Menschen und ihren Ordnungen Entscheidungen verlangen, weil es so, wie es für einen bestimmten Zeitraum war, nicht mehr weitergehen kann. Da reichten mal kleine technische Erfindungen und mal waren es große, blutige Revolutionen, die die Zustände nicht mehr so zuließen, wie sie sich eingerichtet hatten. Und dann tauchten sie alle auf, die Untergangsphilosophen wie die Heilsbringer. Und zumeist erging es ihnen so, wie sie es prophezeit hatten. Manche endeten auf dem Scheiterhaufen und andere im Götzentempel. Die Verhältnisse hingegen, die aus dem Tumult entstanden, waren da weitaus rationaler und ohne großes Pathos. Vieles wurde ohne großes Aufheben gelöst und anderes, was vorher als Unglaublichkeit gefürchtet war, interessierte plötzlich nicht mehr sonderlich. 

Wenn aus dem, war wir momentan an Erhitzung in der einen wie der anderen Richtung erleben, ein Schluss gezogen werden kann, dann ist es, dass es eine typische Erscheinung in Krisenzeiten ist, die emotional das hochspielt, was sich zu einem späteren Zeitpunkt, wenn die Kühlung eingesetzt hat, ganz pragmatisch lösen lässt. Oder, um einen Umkehrschluss nicht außer Betracht zu lassen: alles, was derzeit als kochend heißes Problem beschrieben wird, wird sich in nächster Zeit nicht lösen lassen oder ändern. Und alles, was schon lange als problematisch beschrieben wurde, aber von der Hitze aktueller Fragen überstrahlt wird, ist kurz vor der Möglichkeit einer vernünftigen Lösung. 

Noch eine Schlussfolgerung? Ja. Lasst die Schreier schreien, lasst sie Hölle wie Paradies versprechen. Es wird nichts mit dem zu tun haben, wie eine von Menschen gemachte Zukunft aussehen wird. Betrachten Sie das als ein Theaterstück zum Ende der wabernden Wechsel. Und sehen Sie zuversichtlich in die Zukunft. Nicht nur die Rache ist etwas, um eine alte sizilianische Weisheit zu zitieren, das man eiskalt serviert. Die Lösung heikler Fragen ebenso. Es ist die süßeste Form der Rache.